Plant die Elite ihren Abflug?
Warum handeln die Mächtigen oft so, als ginge sie der Klimawandel nichts an? In seinem "Terrestrischen Manifest" spekuliert der französische Philosoph Bruno Latour, dass sie sich schlichtweg von der Idee einer gemeinsamen Lebensgrundlage verabschiedet haben.
Wer die Sommertage gerade am See oder im Freibad verbringt, dem mag schon mal der Gedanke gekommen sein: "Na, wenn der Klimawandel so aussieht, dann aber her damit!" Sicher, derlei Sprüche meinen wir als Witz. Denn man muss schon reichlich verbohrt sein, um die aktuelle globale Hitzewelle nicht in Zusammenhang mit dem Klimawandel zu bringen.
Deshalb wendet sich der französische Wissenschaftsphilosoph Bruno Latour in seinem jüngst erschienenen "Terrestrischen Manifest" besonders vehement gegen jene, die die politischen Schalthebel in der Hand haben, aber nichts gegen den Klimawandel tun, zumindest nichts Effektives. Latour meint die "Denier" in der politischen Weltführung. Jene also, die leugnen, dass der Klimawandel stattfindet und von den Effekten menschlichen Lebens maßgeblich mitbestimmt wird. Allen voran Donald Trump. Aber auch jene, die es zwar eigentlich besser wissen, aber trotzdem nicht genug unternehmen. Auch die vermeintlich klimabewusste Bundesregierung darf sich hier gemeint fühlen.
Ein neues politisches Paradigma
Doch warum handelt ein Großteil der Mächtigen – Politiker, Manager, Banker – überhaupt so, als würde sie der Fortbestand der Erde nichts angehen? Latour sagt: Weil sie genau davon überzeugt sind. Sie meinen tatsächlich: Als kollektive Lebensgrundlage und Garant einer gemeinsamen Zukunft ginge sie der Planet schlichtweg nichts mehr an. Für sie stellt die Welt nur noch eine ökonomische Ressource dar, meint Latour, aus der es so viel Profit zu schlagen gilt wie möglich, bis es mit der Welt zu Ende ist. Und dabei haben wir es nicht nur mit einer Ansammlung von Egoismen zu tun, sondern hier zeigt sich in Latours Augen ein neues politisches Paradigma.
Ging es der politischen Elite früher darum, in einer gemeinsamen Welt für eine gemeinsame Welt zu kämpfen – so sieht es Latour, hat sie sich heute von der Idee einer geteilten Lebensgrundlage verabschiedet. Die großen Industrienationen handeln heute also eher nach dem Motto: "Nach uns die Sintflut" oder "Rette sich, wer kann!"
Der Solidarität entledigt
Dieser Paradigmenwechsel offenbart sich dabei nicht nur in ökologischen Fragen. Ebenso habe man sich auch im Sozialen der Solidarität entledigt und dereguliere den Weltmarkt, trotz aller protektionistischen Unkenrufe, immer hemmungsloser. Die explodierende Ungleichheit auf dem Globus nehmen die "Happy Few" dabei in Kauf, polemisiert Latour, um ihre eigene finanzielle Festung weiter auszubauen – denn sie können sich die Sintflut ja im wahrsten Sinne leisten.
Diesen Paradigmenwechsel konsequent weitergedacht, heißt das: Heute hat sich die Abkehr von der Erde bereits politisch vollzogen. Morgen könne sie buchstäblich werden. Latour ist überzeugt: Die Elite plant ihren Abflug.
Doch wohin? Was wäre die Alternative? Eine Flucht zum Mars? Immerhin wurde vom Nationalen Institut für Astrophysik in Bologna gerade ein zwanzig Meter großer und rund ein Meter tiefer See auf dem roten Planeten entdeckt. Was heute noch Science Fiction ist, könnte morgen also tatsächlich Realität werden.
Wir brauchen eine "anti-kopernikanischen Wende"
Bevor es jedoch so weit kommt und wir der Erde den Rücken kehren müssen oder mit ihr untergehen, ruft Latour dazu auf, sich folgendes Szenario vorzustellen: Wir sitzen in einem Spaceshuttle und betrachten lange und eingängig die Erde aus dem Weltraum. So würden wir in aller Deutlichkeit erkennen, dass unser Planet zwar nicht im Zentrum des Universums steht, aber doch im Mittelpunkt des menschlichen Kosmos. Latour hilft uns also zu erkennen: Was wir schleunigst brauchen, ist eine "anti-kopernikanische Wende".