Mehr Freiheitspathos für Schwangere!
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An der von Gesundheitsminister Jens Spahn geplanten Studie zu "psychischen Folgen von Abtreibungen" gibt es viel Kritik. Aber weshalb diskutieren wir überhaupt wieder das Ob von Abtreibungen? Catherine Newmark kommentiert.
Vollkommen ergebnisoffen sei die geplante Studie, beteuert das Gesundheitsministerium. Aber natürlich liegt schon in der Fragestellung eine Vermutung – nämlich die, dass es für Frauen, die abtreiben, nennenswerte negative psychische Folgen gebe. Abwegig ist diese Vermutung erstmal nicht, angesichts der traditionellen Stigmatisierung und Kriminalisierung der Abtreibung. Allerdings wird sie von zahlreichen in den letzten Jahren durchgeführten internationalen Studien gerade nicht bestätigt.
Wenn also Gesundheitsminister Jens Spahn jetzt meint, eine bereits gut untersuchte Frage endlich mal seriös untersuchen lassen zu müssen, dann liegt es nahe, darin einen ungut instrumentellen Umgang mit Wissenschaft zu sehen: Auf die Autorität von geplanter Wissenschaft wird gesetzt, während zugleich die Autorität bereits vorhandener Wissenschaft unterminiert wird — sie wird schlicht ausgeblendet. Nun wissen wir alle, dass Wissenschaft nie abgeschlossen ist und in den seltensten Fällen vollkommen eindeutige Resultate liefert. Aber sie so ganz als frei wählbares Wunschmenü anzusehen, ist keine gute Idee, gerade in Zeiten populistischer Angriffe auf qualifiziertes Wissen.
Es geht nicht um Emotionen, sondern um Autonomie
Viel grundsätzlicher allerdings stellt sich die Frage, was denn Ziel und Zweck einer solchen Studie sein könnte. Denn selbst wenn sie anders als bisherige Studien zum Ergebnis käme, dass Frauen, die abgetrieben haben, verstärkt unter psychischen Problemen leiden: Sollte und dürfte das irgendetwas ändern an der Tatsache, dass Frauen als autonomen Individuen sowohl die Abtreibung als auch die ordentliche Information darüber nicht vorenthalten werden darf?
Selbst in den radikalsten feministischen Kreisen behauptet ja kaum jemand, dass Abtreibungen Freude machen oder Freude machen sollten. In der Abtreibung liegt natürlich ein moralischer Konflikt, und oft auch ein emotionaler. Das Argument für die Freiheit des Schwangerschaftsabbruches ist viel simpler – und viel grundlegender: Es geht um Autonomie. Wenn man Frauen nicht die autonome Entscheidungsfreiheit über ihr Leben, ihren Körper, ihr Selbst absprechen will, muss es die Option einer Abtreibung geben, eben weil Frauen auch ungewollt schwanger werden können – durch Unfälle etwa, oder Übergriffe.
Nun hat natürlich die Freiheit jedes Einzelnen ihre Grenze in der Freiheit und den Rechten der Anderen. Und ohne Zweifel wird es schwieriger, die Autonomie der Schwangeren über den eigenen Körper absolut zu setzen, je menschenähnlicher ein Fötus wird, und je mehr er sich der unabhängigen Lebensfähigkeit nähert. Aber um die moralisch so komplizierten Spätabtreibungen geht es weder in der Diskussion über den Paragraphen 219a, noch in der von Jens Spahn geplanten Studie. Für die Freiheitsrechte von Frauen gegenüber noch wenig geformten Zellmassen der ersten Schwangerschaftswochen einzutreten ist moralphilosophisch deutlich weniger kompliziert. Außer für ein paar hartnäckige Katholiken, besteht kein Zweifel daran: Die Selbstbestimmung der Schwangeren schlägt das Schutzrecht des Zellknäuels.
Die freie Entscheidung ist eine Säule der Demokratie
Den Menschen als vernünftigen und autonomen Träger seiner Entscheidungen anzusehen und zu achten, hat sich seit der Aufklärung mit guten Gründen durchgesetzt, auch wenn die angenommene vernunftgeleitete Autonomie unbestreitbar seit jeher eher ein regulatives Ideal als eine empirische Zustandsbeschreibung ist. Natürlich sind Menschen auch emotional und hormongesteuert, aber wir kommen nicht umhin, sie uns als freie und mündige Bürger zu denken, wenn wir unsere liberale Demokratie aufrechterhalten wollen. Und nicht in alte Modelle zurückfallen wollen vom dumpfen Volk, das Autoritäten braucht: Vater- und Führerfiguren oder spirituelle "gute Hirten".
Ohne ein bestimmtes Maß an klassisch aufklärerischem Pathos der Freiheit geht es eben nicht; und schön wäre es, diese Freiheitsliebe würde sich gegen Einschränkungen körperlicher Selbstbestimmtheit ebenso leidenschaftlich artikulieren wie bei der Furcht vor Tempolimits auf Autobahnen.