Denis Diderot: Jacques der Fatalist und sein Herr
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
München 2014, Matthes & Seitz
428 Seiten, 29,90 Euro
Die Tücken des freien Willens
Hinrich Schmidt-Henkel hat Diderots "Jacques der Fatalist und sein Herr" neu übersetzt. Dabei ist es ihm gelungen, das Vokabular Diderots in unsere Zeit zu transportieren, aber auch den Witz des Originals zu erhalten.
Alles, was hier unten geschieht, steht dort oben geschrieben. An einen Gott des Schicksals glaubt Jacques, der Fatalist. Doch schon im nächsten Satz ruft Jacques den Teufel an. Der soll den Wirt holen, denn der Wirt und sein schlechter Wein sind daran schuld, dass Jacques bei der Armee gelandet ist und jetzt hinkt.
Für diesen Diener Jacques gibt es keinen freien Willen. Wir handeln, weil wir müssen. Da ist er ganz auf der Seite der heutigen Neurobiologen. Die Freiheit des Willens, diesen höchsten Trumpf der Aufklärung, will Jacques‘ Meister jedoch nicht so leicht an Gott oder den Teufel verlieren. Jacques´ Meister und der Meister des Meisters, der Erzähler und sein Herr Diderot greifen in den Erzählfluss ein. Es könnte auch alles anders laufen, wenn ich, der Erzähler, es so will.
So will Jacques von Beginn an seine Liebesgeschichte erzählen. Aber stets geschieht irgendein Zufall. Oder sein Zuhörer lässt sich ablenken. Oder der Erzähler greift ein. Ich könnte jetzt meinen Jacques auf eine Insel schicken und seinen Herrn heiraten und dann sich betrügen lassen. Mit solchen Unterbrechungen und anderen Abschweifungen erweist sich Diderot als Vorläufer des modernen Anti-Romans. Es geht nicht mehr um die Handlung sondern um die Form des Erzählens. Doch "Jacques" wird dadurch kein spröder, sperriger Theorieroman. Denn Diderot will sein Publikum unterhalten. Mit Anekdoten und Schwänken, mit Enthüllungen und Attacken etwa gegen die gängige Moral.
Dialektik von Herr und Knecht
Aktuell bleibt der Kern des Dialogs zwischen Herr und Diener, den Hegel zu seiner Dialektik von Herr und Knecht ausgebaut hat. Jacques hat Erzählkraft und Wissen auf seiner Seite. Sein Herr die Macht und das Geld. Bei Diderot kehren sich jedoch die Herrschaftsverhältnisse nicht um, wie bei Hegel. Beide bleiben aufeinander angewiesen. Es geht um die gegenseitige Anerkennung. Wie bei einem modernen Paar. Man fällt sich gegenseitig ins Wort, man nervt sich, aber man kann nicht ohne einander leben. Also bleibt man zusammen.
Modern und zeitgemäß wird Diderots Dialog aber vor allem durch die neue Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel. Mit Ausdrücken wie "Schüssel" für Kopf, "Dummbeutel", Plaudertasche", perlt dieser "Jacques" wie einst das Original. So bleiben der Witz und auch das Derbe des Originals erhalten. "Das passt wie Topf auf Deckel", heißt es an einer Stelle.
Die ständigen Unterbrechungen scheinen unzeitgemäß. Sie passen nicht in unsere heutige Zeit, wo man alles in verdaulichen Häppchen mundgerecht präsentiert, es mit Gefühlen pfeffert, oder als historische Schinken auf Krimi trimmt.
Hat man sich als Leser jedoch auf die ständigen Umleitungen eingelassen, macht diese arabeske Art richtig Spaß. Außerdem versteht sich Diderot auf kleine Späßchen. Er hat Witz und Esprit. Man muss als Leser am Ball bleiben, aufpassen, sich durch Ablenkungen nicht ablenken lassen. Abschweifung statt Ausschweifung heißt die Devise.