100 Jahre Verdun - Die sinnlose Schlacht
Keine Schlacht hat den Skandal des Krieges so deutlich vor Augen geführt, wie die Tragödie von Verdun. Der Mensch: verwundet, verstümmelt, traumatisiert, getötet. Schon Kant hatte gesehen, dass der Einzelne im Krieg nur noch Werkzeug der kriegführenden Mächte ist.
Sinnlos. In unbegreiflicher Weise, zum Verzweifeln sinnlos: So lautet das meistgefällte Urteil über das zehnmonatige Inferno von Verdun. Eingesetzte Soldaten: Über 3 Millionen. Tote: Über 300.000. Verstümmelte, Schwerstverwundete und Traumatisierte: Über 400.000. Geländegewinne: Keine. Auswirkung auf den weiteren Kriegsverlauf: Keine.
Die Erfahrung der Sinnlosigkeit, die aus den Schilderungen der Überlebenden spricht: sie hat ihre Wurzel allerdings nicht primär darin, dass die Schlacht niemandem einen militärischen Nutzen brachte. Vielmehr brachte sie die Aporie des modernen Krieges so unverhüllt zu Bewusstsein wie nie zuvor. In diesem Krieg stehen sich Staaten gegenüber, nicht Individuen. Es treten keine Helden mehr zum edlen Zweikampf an. Stattdessen werden Kompanien anonymen Menschenmaterials von Strategen wie Figuren auf einem Schachbrett zur gegenseitigen Abschlachtung hin- und hergeschoben.
Der Mensch "an sich" hat seinem Gegenüber nichts getan
Im Abschnitt zum Völkerrecht in der "Rechtslehre" seiner Metaphysik der Sitten hält Immanuel Kant fest, dass "nicht das [...] Volk, sondern der Staat, unter dessen Herrschaft es war, durch dasselbe Krieg führet". Das heißt: Der einzelne Soldat ist kein Akteur, sondern bloßes Mittel zur Ausführung des staatlichen Willens. Und so – als bloßes Mittel – muss er auch den gegnerischen Soldaten behandeln. Andernfalls bräche seine Legitimation zusammen, ihn zu töten.
Nur als Werkzeug der Aggression eines Staates bedroht mich der andere; nur als Werkzeug der Selbstverteidigung des Staates darf ich ihn angreifen. Menschen jedoch als bloßes Mittel zum Zweck zu behandeln, widerspricht dem fundamentalen Grundsatz nicht nur der kantischen Ethik, jeden Menschen "jederzeit als Zweck an sich selbst" zu behandeln.
An sich selbst, als Individuum betrachtet, hat der Mensch im feindlichen Schützengraben mir nichts getan. Es ist auch nicht sein Wille, mir etwas zu tun. Wahrscheinlich ist er noch nicht einmal aus freien Stücken hier. Und wenn wir uns begegneten, würden wir finden, dass wir dieselbe Sehnsucht teilen, nämlich diese Uniform auszuziehen und heim zu unseren Familien zu gehen. Was also tun wir hier? Warum töten wir uns?
Alle Theorien des gerechten Krieges sind sinnlos geworden
Wo die Perspektive des Individuums in dieser Weise in die Logik des Krieges einbricht, entsteht jenes moralische Schwindelgefühl, das alle Theorien des gerechten Krieges in den Abgrund der Sinnlosigkeit reißt. Es macht dann keinen Unterschied, ob ein Angriff ein Akt legitimer staatlicher Selbstverteidigung ist oder nicht. Angegriffen werden Staaten. Getötet werden Menschen.
Diese Perspektiven sind und bleiben inkommensurabel, und das ist der unaufhebbare Skandal des Krieges. Im Angesicht des anderen spricht die praktische Vernunft, so Kant in der Rechtslehre, "ihr unwiderstehliches Veto aus: Es soll kein Krieg sein". Dieses Veto ist der pazifistische Impuls schlechthin. Er hat sich selbst in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs trotz strenger Fraternisierungsverbote immer wieder Bahn gebrochen. Genau diese Perspektive auf den Feind als anderer Mensch systematisch zu vermauern, ist das Ziel aller Kriegspropaganda. In Verdun hat sie triumphiert.