Ehe für alle? Ehe für keinen!
Die Freude ist groß über den Erfolg der "Ehe für alle"-Kampagne. Dass die Ehe als Institution religiös-patriarchale Wurzeln hat, wird dabei vergessen. Im Grunde genommen sei sie gesellschaftlich überholt, sagt Catherine Newmark. Besser solle man über ihre Überwindung diskutieren.
Ehen werden nicht im Himmel geschlossen, sondern ganz eindeutig hinieden. Egal wieviel in letzter Zeit von Gefühlen und Gewissensentscheidungen die Rede war, und egal wie eindeutig sich seit der Romantik das Ideal der Liebesehe durchgesetzt hat: Die Ehe ist keine Gefühlssache. Sie ist eine ganz handfeste Rechtsinstitution. Keine besonders moderne überdies.
Die Bindung der Frau an den Mann
Schwer zu sehen, welch anderer Zweck ihr ursprünglich zugrunde lag, als durch die Bindung einer Frau und ihrer reproduktiven Fähigkeiten an einen einzelnen Mann eine zumindest einigermaßen zweifelsfreie Feststellung von dessen Vaterschaft zu ermöglichen. Ohne Ehe wäre über Jahrtausende das einzige verlässliche Verwandtschaftsverhältnis dasjenige zwischen Frauen und ihren Kindern gewesen.
Die Berliner Sozialphilosophin Rahel Jaeggi hat in ihrer eindringlichen Schrift "Kritik der Lebensformen" Institutionen wie die Ehe als Lösungen von jeweils zeitspezifischen Problemen beschrieben. Als spezifische Lösung für das in patriarchalen Gesellschaften dringliche Problem der Vaterschaft hinkt die Ehe aber seit geraumer Zeit der Realität hinterher. Nicht nur, weil wir seit den 1990ern Vaterschaft auch per DNA-Test feststellen können. Sondern auch in Folge der in den letzten Jahrzehnten hart erfochtenen Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Tatsache, dass lebenslange Monogamie zunehmend fragwürdig geworden ist.
Neue Normen und Formen
Nun ist es ohne Zweifel so, dass auch in post-patriarchalen Zeiten ein berechtigtes Bedürfnis besteht, Verwandtschaftsverhältnisse rechtlich zu etablieren, sowohl mit Blick auf Besitz- und Erbschaftsverhältnisse, als auch auf Sorge- und Verpflichtungsverhältnisse unter Partnern aber auch für Kinder und alte Menschen.
Dass aber die überkommene, erstarrte und auch noch religiös überhöhte Institution der Ehe heute die angemessene Antwort auf dieses Problem sein sollte, lässt sich rational nur schwer begründen. Wenn Institutionen den Lebensverhältnissen nicht mehr angemessen sind, dann können und sollten wir neue Normen und Formen schaffen.
Neue zivilrechtliche Vertragsformen
Im 21. Jahrhundert ist die Ehe, als Restbestand einer patriarchalen Gesellschaftsordnung, die staatliche Garantie für eine ganze Reihe von rechtlichen und finanziellen Privilegien. Insofern ist natürlich verständlich, dass die schwul-lesbischen Emanzipationsbewegungen in den letzten Jahren so sehr um den Zugang zu dieser Institution gekämpft haben.
Aber wäre es nicht viel zeitgemäßer, als die Ehe für alle auszuweiten, das Problem der Verwandtschaft durch die Etablierung ganz neuer zivilrechtlicher Vertragsformen zu lösen? Die es allen, Frauen, Männern, Queers, erlauben würden, ihre Sorgeverhältnisse staatlich absichern zu lassen?
Abkopplung der Ehe vom Zivilrecht
Dann ließe sich die Ehe ganz vom zivilrechtlichen Zusammenhang abkoppeln und könnte den Religionsgemeinschaften und ihren traditionellen Auffassungen überlassen werden. Auf diese Weise würde ihr "ursprünglicher christlicher Sinn", um den sich die CSU ja soviel Sorgen macht, erhalten bleiben, ohne Schaden anzurichten.
Sie hätte dann keinerlei bürgerlich-rechtliche Konsequenzen mehr, sondern nurmehr symbolische Bedeutung. Nicht anders als, sagen wir, das Segnen-Lassen einer polyamoren Gemeinschaft durch einen Guru – oder das konsensuale Halten eines privaten Sexsklaven zuhause.
Das wäre Fortschritt. Aber dazu bedürfte es – anders als mutmaßlich bei der Ehe für alle – tatsächlich einer Verfassungsänderung. Und einer wirklichen, nicht nur einer behaupteten, Trennung von Kirche und Staat.