Philosophischer Wochenkommentar

Islam + Satire = Terror ?

Eine nicht zu sehende Frau liest eine Ausgabe des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo.
Das französische Satiremagazin Charlie Hebdo hatte zuletzt 2013 mit einer Comic-Biografie "Das Leben des Mohammed" für Empörung unter Muslimen gesorgt. © AFP/ Miguel Medina
Von Michael Rutschky · 11.01.2015
Jeder will mitreden – beim Thema Terror und seinen Ursachen. Dabei wäre es viel wichtiger, gründlich nachzudenken und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das aber wird natürlich nichts, weil das "Dringlichkeitsgefühl" von der Reflexion kaum aufzuhalten ist, meint Michael Rutschky.
Was tun? Bieten sich Handlungsmöglichkeiten an, die der Reflexion standhalten? Bei diesen Schreckensereignissen befinden sich die Radiohörer, Zeitungsleser, Fernsehzuschauer, befindet sich das räsonierende Publikum in der Position des Beobachters, der am Strand dem Schiffbruch draußen auf dem Meer, dem schweren Unglück in sicherer Entfernung zuschaut. Der antike Philosoph Lukrez hat dies berühmte Bild geprägt.
Aber das lässt die Radiohörer, Zeitungsleser, Fernsehzuschauer unbefriedigt. Man muss doch etwas Grundsätzliches, Kategorisches in den Blick nehmen. Wie hätte man das Verbrechen verhindern können? Wie kann man solche Verbrechen in Zukunft verhindern?
Gebirge von Rede- und Textwolken ziehen über das Land, und es schwant der Reflexion, dass sie selbst dort oben nicht mitfliegen sollte. Denn die Diskurse brausen bei jeder dieser Gelegenheiten auf, bemerkenswert gleichförmig. Regelmäßig berufen die Mörder sich auf den Islam - ist das womöglich die Täterreligion par excellence? Die Täter kommen oft aus Immigrantenfamilien und leben, wie das früher hieß, unterprivilegiert - muss man sie nicht als die wahren Opfer erkennen? Aber was war mit Osama bin Laden, Milliardärssohn? Und wie soll man hier Anders Breivik einordnen, der seine eigenen Landsleute massakriert hat? Die Mörder kommen ja nicht nur von jener, sondern auch von dieser Seite.
Während Wissenschaftler Antworten suchen, finden weitere Verbrechen statt
Was der Reflexion rasch aufgeht: Dass die Fragen in dieser Grundsätzlichkeit gar nicht zu beantworten sind. Sie sind mit der reinen praktischen Vernunft, den moralischen Intuitionen oder mit Gedankenexperimenten nicht greifbar. Man müsste sie an die Einzelwissenschaften verweisen, Religionsgeschichte, Migrationsforschung, Kriminalpsychologie und so weiter. Aber während die Wissenschaftler sich auf Antworten verständigen, finden weitere Verbrechen statt, die neue Fragen stellen - politische Verbrechen.
Also Politik. Die Reflexion ist zurückzudrängen, wir - wer immer das sei - wir fordern von der Politik, dass sie die Fragen durch Entscheidungen beantwortet. Das käme zugleich der Dringlichkeit entgegen, mit der die Beobachter am Ufer die Rettungsmaßnahmen erwarten.
Den Ausländerzustrom drosseln. Nur qualifizierte Arbeitskräfte hereinlassen. Für die, welche schon hier sind, Loyalitätsprüfungen einführen: Stehen sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Für religiöse Propaganda Zensurregeln einführen: Wann handelt es sich klar um Hassprediger? Ebenso für die Kritik der Religion: Wodurch wird Gott so gründlich beleidigt, dass die Frommen Widerstand leisten müssen? Welcher Widerstand ist erlaubt?
Um diese Fragen zu beantworten, müsste man die Entscheidungen treffen. Jetzt. Gleich. Aber es kostet wenig Reflexion, um zu wissen: Das wird nichts. Und damit tobt das Dringlichkeitsgefühl weiter vor sich hin. Wenn die Reflexion es nicht aufhält.
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