Elon Musks Übernahme

Twitter hat nen Haken

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In einer Fotoillustration wird das Vogel-Logo des sozialen Netzwerks Twitter in unterschiedlichen Größen und Farben auf die Silhouette eines Mannes mit Handy in der Hand projiziert.
Wenn Musk den freien Meinungsaustausch fördern will, sollte er den blauen Haken lieber abschaffen und die Verifizierung verpflichtend machen, meint Philipp Hübl. © Getty Images / Leon Neal
Von Philipp Hübl |
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Elon Musk will mehr Meinungsfreiheit auf Twitter – und den blauen Haken für verifizierte Accounts kostenpflichtig machen. Dem Debattenklima wäre mehr damit geholfen, den Haken abzuschaffen, meint der Philosoph Philipp Hübl.
Vor Kurzem hat Elon Musk auf Twitter verkündet, dass er Prominente und Influencer mit einem verifizierten Account, erkennbar an einem blauen Haken, monatlich zur Kasse bitten will. Stephen King, einer der kommerziell erfolgreichsten Autoren aller Zeiten, antwortete ihm darauf sinngemäß „20 Dollar für einen blauen Haken? ... Wenn das umgesetzt wird, bin ich raus“, woraufhin Musk zu feilschen begann: „Wie wär‘s mit 8 Dollar?“

Der blaue Haken steht vor allem für Prestige

Musks Übernahme hat viele Kritiker auf den Plan gerufen. Eine einzige Person herrscht jetzt über eine der wichtigsten Kommunikationsplattformen der Welt. Keine Frage, ein privates Machtmonopol über die öffentliche Meinung ist gefährlich. Allerdings lag Twitter schon vor Musks Übernahme in den Händen weniger Privatleute, wie übrigens auch Facebook, Instagram und YouTube.
Ein zweites, tieferes Problem der sozialen Medien bekommt in der Debatte zu wenig Aufmerksamkeit: Twitter und andere Plattformen erschaffen keine basisdemokratische Öffentlichkeit mit einem freien Austausch von Ideen, wie ihn sich John Stuart Mill vorgestellt hat. Soziale Netze sind vielmehr ein Abbild des menschlichen Statusspiels, in dem es darum geht, sich durch Leistung, Besitz, Attraktivität oder Moral hervorzutun. Status ist ein universelles Bedürfnis, auf das wir viel Zeit und Energie verwenden. So ist auch der blaue Haken ein Prestige-Signal, das nicht nur sagt „dieser Account ist echt“, sondern natürlich zuallererst „dieser Account ist wichtig“.
Philipp Hübl, Gastprofessor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin.
Die Statuslogik auf Twitter und anderen Sozialen Medien vergiftet das Diskussionsklima, meint der Philosoph Philipp Hübl.© Philipp Hübl
Unternehmerisch ist es also folgerichtig, den Wert von sozialem Prestige zu Geld zu machen. Doch damit heizt Musk den Statuskampf noch weiter an – und der läuft nun gerade dem Ideal der demokratischen Öffentlichkeit zuwider. Sein Bezahlsystem düpiert nicht nur Prominente wie Stephen King, die sich bereits analoges Prestige durch Leistung erarbeitet haben, es zieht im Gegenzug auch Selbstdarsteller an, die sich einen digitalen Pseudostatus über Likes und Follower aufbauen, indem sie viel Mühe und sogar Geld in ihr Reputationsmanagement investieren.

Treffpunkt für Narzissten und Trolle

Mehr noch: Sobald es um Werte und Normen, also um moralische Fragen geht, verschrecken die aufgeheizten sozialen Medien all jene, die ausgewogen und fair über politische Themen diskutieren wollen.
Umgekehrt schenken sie, wie verschiedene Studien zeigen, Trittbrettfahrern Aufmerksamkeit, also Leuten, die nicht auf den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ setzen, sondern sich mit ihren Äußerungen bloß inszenieren wollen: zum Beispiel Narzissten, die sich einen moralischen Statusgewinn versprechen, indem sie sich künstlich über andere empören.
Die sozialen Netze geben auch zu viel Macht in die Hände von Leuten mit einer sogenannten „Opfermentalität“, einem in der Forschung neu entdeckten Persönlichkeitstyp, der sich als Teil der moralischen Elite sieht, aber bei kleinster Kritik schnell eingeschnappt ist und rachsüchtig einen Shitstorm startet. Außerdem können durch die Anonymität Bullys, Trolle und andere aggressive Menschen ihr Unwesen treiben, die nicht durch Prestige, sondern durch Dominanz in der Hierarchie aufsteigen wollen, indem sie andere einschüchtern oder angreifen.

Verifizierung für alle

Wenn Musk also wirklich eine Plattform für den freien und gleichberechtigten Meinungsaustausch schaffen will, sollte er lieber Statusmerkmale wie den blauen Haken ganz abschaffen und stattdessen die Anmeldung bei Twitter verifizieren. Dann müsste sich nämlich niemand mehr mit Bots herumschlagen, man könnte Accounts weiterhin unter einem Alias führen, gleichzeitig aber Hetze und andere Straftaten zügig zur Anzeige bringen. Twitter selbst müsste nicht mehr als übereifriger Zensor auftreten, und Onlinediskussionen würden sich dem Zivilisationsstandard von analogen Unterhaltungen annähern.
Mit einem bisschen Glück würde Musk dann neue Werbekunden hinzugewinnen, zum Beispiel die vielen nachdenklichen und moderaten Menschen, die im Laufe der Zeit aufgrund von Empörungserschöpfung aus Twitter ausgestiegen sind.

Philipp Hübl ist Philosoph und Gastprofessor für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Die aufgeregte Gesellschaft. Wie Emotionen unsere Werte prägen und die Polarisierung verstärken“ im Verlag C. Bertelsmann.

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