"Intelligente Maschinen brauchen eigene Ziele"
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Als Kind zog er durch die Felder des elterlichen Gutshofs, um in Ruhe zu denken. Später revolutionierte Christoph von der Malsburg die Konzepte denkender Maschinen. Heute ist er sich sicher: Bald werden künstliche Intelligenzen ein Bewusstsein haben.
Künstliche Intelligenz nutzen wir täglich, ob auf dem Smartphone, bei der Recherche im Netz oder beim Navigationsgerät im Auto. Maschinen das Denken beizubringen und ihnen so etwas wie Geist einzuhauchen, das treibt Christoph von der Malsburg an. Manche Menschen erfüllt das Thema künstliche Intelligenz mit Sorgen, der Physiker sieht hingegen vor allem den praktischen Nutzen.
"Es ist doch ein Riesenvorteil, wenn man Dinge, die man mühsam mit der Hand macht, automatisieren kann. Und dazu braucht man eben so was wie Intelligenz in der Maschine."
Klimawandel durch KI simulieren
Für die Bewältigung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel oder bei Pandemien könnte künstliche Intelligenz hilfreich sein, ist sich von der Malsburg sicher:
"Es ist ganz wichtig, was den Klimawandel angeht, dass man das Wetter, das Klima simulieren kann. Das ist wichtig, um einen Überblick zu bekommen, wo es langgeht. Jetzt in der Pandemie war es natürlich sehr wichtig, dass Daten sehr schnell übermittelt und analysiert worden sind. In dem Sinne werden auch die großen Probleme der Menschen durch den Computer und die künstliche Intelligenz beeinflusst erleichtert", prognostiziert der Physiker.
Bei Maschinen von echter Intelligenz zu sprechen, sie gar als eigenen Organismus zu betrachten, davon wären wir heute noch deutlich entfernt, sagt Christoph von der Malsburg. Um das zu erreichen, müsse man Maschinen eigene Ziele einbauen.
Das würde ihnen die Fähigkeit geben, in einer komplexen und unbekannten Umgebung Entscheidungen zu treffen. "So wie jede Maus in der natürlichen Umgebung sich seine Ziele setzt; also Gefahren aus dem Wege geht, in ein Loch verschwindet oder Nahrung findet. Diese Art von eigener Zielsetzung ist bisher in der Maschine überhaupt nicht eingesetzt."
"Ich will das Gehirn verstehen"
Um das zu realisieren, erklärt der Neurobiologe, müsse man vor allem auch begreifen, wie unser Gehirn arbeitet, wie Denkprozesse ablaufen. "Das Gehirn zu verstehen, ist meine persönliche Motivation. Und das beste Mittel dafür ist, es im Computer nachzubilden."
Selbstlernende Systeme, die sich ohne menschliches Zutun weiterentwickeln: Christoph von der Malsburg weiß, mit KI sind auch viele Ängste verbunden. Was, wenn sich künstliche Intelligenz gegen Menschen richtet? Ein Szenario, mit dem sich Science-Fiction-Filme schon lange beschäftigen.
Für Christoph von der Malsburg ist das kein abwegiger Gedanke, aber einer, der allenfalls in ferner Zukunft real werden könnte.
"Denn für eine sehr lange Zeit werden solche Maschinen von Menschen gebaut und betrieben. Und sie werden deswegen auch vom Menschen ihre Ziele eingehaucht bekommen."
Gefahr bei intelligenten Waffensystemen
Für realer halte der Wissenschaftler dagegen die Gefahr, die vom militärischen Bereich ausgehe. Hier wird die Entwicklung von intelligenten Waffensystemen mit Nachdruck vorangetrieben. Kampfroboter, die völlig selbstständig agieren, nicht von ihrer Mission abzubringen sind, Konflikte, die sich verselbstständigen , das sei gar nicht so abwegig, so von der Malsburg.
"Denn die Militärs empfinden sich ja furchtbar unter Druck, dass der böse Feind nun die oder jene Waffe entwickeln könnte. Die arbeiten mit vollem Druck an solchen Dingen. So ist auch die Atombombe entstanden, durch die Angst, dass Hitler-Deutschland sie entwickeln könnte."
Die Welt von Christoph von der Malsburg ist heute die der Physik und Neurobiologie. Ein völlig andere erlebte er in seiner Kindheit. 1942 in Kassel geboren, wuchs der Junge auf dem Gut seiner Familie in Nordhessen auf.
Schon früh interessierte er sich für Physik. Und seit von der Malsburg mit 16 einen Artikel über das Gehirn und das Denken entdeckte, hat ihn das Thema "nicht mehr losgelassen".
Zwischen Bochum und Los Angeles
Heute kann Christoph von der Malsburg auf eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere blicken. Er lehrte und forschte unter anderem am CERN in Genf, am Max-Planck-Institut in Göttingen. An der Ruhr-Universität Bochum gründete der Physiker das Institut für Neuroinformatik und war parallel Professor an der University of Southern California in Los Angeles.
Arbeiten in Los Angeles und in Bochum – an einen gravierenden Unterschied erinnert sich der Neurobiologe sofort:
"In den USA gibt es so etwas wie ein kollektives Selbstbewusstsein. Hier sind mir Ergebnisse aus den Händen gerissen worden und von der Universität groß herausgestellt worden. Sie wollten klarmachen, was da alles Tolles passiert. Das ist eine Art von Umgang mit Resultaten, die man in Deutschland in dieser Form überhaupt nicht hat."
Dabei könne Deutschland stolz sein, gerade auch im Bereich der KI-Forschung:
"Ich möchte nur auf eine kleine Sache hinweisen. In München gab es einen Jürgen Schmidhuber, der hat eine bestimmte Künstliche-Intelligenz-Thematik bearbeitet, nämlich das Verarbeiten von langen Textstücken."
Daraus habe man ein Modell entwickelt, das heute in Sprachverarbeitungsprogrammen wie Siri und Alexa eingesetzt werde. "Ich nehme an, Sie haben davon noch gar nicht gehört. Das war schließlich eine Entwicklung, die aus Deutschland kam", erklärt Christoph von der Malsburg lächelnd.
(ful)