Hugo Steurer und Amadeus Webersinke
Das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls nehmen wir zum Anlass, an namhafte Pianisten der DDR zu erinnern. Neben den künstlerischen Verdiensten der Musiker soll auch der jeweilige Lebensweg mit all seinen Brüchen thematisiert werden.
Pianisten in der DDR? Im Abstand von 30 Jahren nach dem Ende der deutschen Teilung ist es Zeit, sich diesem Thema zuzuwenden – und vielleicht gerade, weil Verlauf und mentale Folgen der Wiederveinigung vehement in der Diskussion stehen. Das Klavierspiel spiegelt zwar nur einen Ausschnitt aus dem Musikleben der DDR, aber einen höchst spannenden und erkenntnisreichen, der mit einer undifferenzierten Schwarz-Weiß-Malerei nicht erfasst und beschrieben werden kann. Von den ersten Pianisten, die ab 1945 in der sowjetisch besetzten Zone auftraten und unterrichten, bis zu den letzten, die 1990 noch ihr Konzertdiplom an einer der sechs Musikhochschulen der DDR in Empfang nahmen, spannt sich ein zeitlicher Bogen von immerhin drei Generationen.
Lässt man die 39 Jahrgänge der Zeitschrift "Musik und Gesellschaft" von 1951 bis 1990 Revue passieren, so stößt man auf eine Reihe von Namen nicht nur männlicher, sondern auch weiblicher Pianisten, die in der DDR blieben und Erfolg hatten. Zu dieser Gruppe zählte die Dresdnerin Eva Ander, die über fast vier Jahrzehnte an der Berliner und Dresdner Hochschule Klavierspiel unterrichtete und sich besonders für die zeitgenössische Klaviermusik einsetzte. Dazu zählte der Chemnitzer Siegfried Rapp, der im Krieg seinen rechten Arm verlor und 1956 anstelle des Auftraggebers Paul Wittgenstein das 4. Klavierkonzert von Sergej Prokofiew mit 25-ähriger Verspätung in Ost-Berlin zur Uraufführung brachte. Und dazu zählte auch der Leipziger Werner Richter, der zusätzlich ein Orgelschüler des legendären Karl Straube gewesen war und dessen Schallplatten-Einspielungen von Konzerten Liszts und Tschaikowskys oder der Burleske von Richard Strauss dem Staats-Label Eterna Anfang der 1960-er Jahre hohe Auflagen garantierte.
Die Auswahl fiel auf acht, je paarweise vorgestellte Pianisten und Pianistinnen, die über die DDR hinaus gewirkt haben und in einem Fall noch wirken. Ihre Wirkung entfaltete sich in mehrfacher Weise: künstlerisch, pädagogisch, geographisch und damit auch kulturpolitisch. Die Rede ist von Hugo Steurer und Amadeus Webersinke, Siegfried Stöckigt und Dieter Zechlin, Elfrun Gabriel und Manfred Reinelt sowie Annerose Schmidt und Peter Rösel. Freilich war keiner von ihnen ein geborener DDR-Bürger.
Begründer der Leipziger Klavierausbildung - Hugo Steurer
Hugo Steurer war gebürtiger Münchner und begann als 18-jähriger sein Studium an der dortigen Staatlichen Hochschule für Musik. Er spielte als Solist in allen großen deutschen Orchestern, u.a. Berliner Staatskapelle, Leipziger Gewandhaus-Orchester, Dresdner Staatskapelle, Dresdner Philharmonie, Bayerische Staatskapelle, Münchener Philharmonie und Hamburger Staatskapelle. Seine Konzertreisen führten ihn nach England, Belgien, Italien, Dänemark, Norwegen, Frankreich und Österreich. Hugo Steurer wurde 1946 zum Professor ernannt und unterrichtete in den 1950-er Jahren an der Leipziger Musikhochschule. Steurer bot seinen Studierenden einen hervorragenden und anregenden Unterricht: Daraus gingen mit Annerose Schmidt und Siegfried Stöckigt zwei führende Pianisten der DDR hervor, während der nicht minder brillante Klaus Schilde die DDR 1952 in Richtung Paris verließ. Und Hugo Steurer hatte einen ausgezeichneten Assistenten, der für die Lösung der manuellen und technischen Probleme in seiner Klasse zuständig war. Sein Name, Karl-Heinz Kämmerling, ist allen Kennern der Klavierausbildung nach 1945 bestens vertraut.
Steurer kehrte 1958 in seine Geburtsstadt München zurück, in der er mehr als zwei Jahrzehnte an der dortigen Musikhochschule eine Professur wahrnahm; von seinen dortigen Schülern haben Michael Endres, Homero Francesch, Gerhard Oppitz und Yaara Tal Prominenz erlangt. Über die genauen Gründe seines Wechsels von Leipzig nach München ist nichts zu erfahren; vermutlich warb man ihn ab, und in der DDR quittierte man den empfindlichen Verlust nach außen hin mit Schweigen.
Poet am Klavier - Amadeus Webersinke
Zu Steurers wichtigsten Kollegen an der Leipziger Musikhochschule gehörte der sechs Jahre jüngere Amadeus Webersinke, der dem neuen deutschen Staat im Osten die Treue hielt. Er kam aus der nordböhmischen Stadt Broumov, wuchs im Sudetenland auf und studierte in Leipzig bei Carl Adolf Martienssen Klavier und bei Karl Straube Orgel – beide außerordentliche Lehrer. Martienssen zog durch seine Klaviermethode Klavierschüler aus aller Welt nach Leipzig; Straube, im Kaiserreich der größte deutsche Organist und Interpret der Werke seines Freundes Max Reger, begründete eine eigene, von Günter Ramin und Karl Richter fortgeführte Leipziger Schule. Der Pianist Amadeus Webersinke machte kein Aufheben um seine technische und musikalische Kompetenz. Er pflegte nicht nur alle Bereiche der Klaviermusik vom Solo-Repertoire über die Kammermusik bis zum Klavierkonzert, sondern war vor allem ein gelehrter und dienender Musiker. Er setzte sich mit allen Aspekten der von ihm gespielten Werke – Instrumentenbau, Quellenlage, musikgeschichtliche Kontexte – genauestens auseinander und diese Hingabe an die Sache forderte er auch von seinen Leipziger und ab 1966 dann Dresdner Studierenden.
Webersinke war bekannt für seine ästhetische Offenheit und Unvoreingenommenheit, die er prinzipiell gegenüber aller ihn interessierenden Musik – sei sie aus dem Barock oder der Gegenwart – besaß; diese Haltung fiel bei seinen hochbegabten Schülern – unter ihnen Manfred Reinelt und Elfrun Gabriel – auf einen fruchtbaren Boden. Webersinkes beeindruckende Diskographie weist daher manche Überraschungen auf, so etwa die Aufnahme von Beethovens eigener Bearbeitung seines Violinkonzerts op. 61 für Klavier oder die Einspielung von Bartóks großartiger Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug mit Manfred Reinelt als Partner. Amadeus Webersinke, dessen letzte Lebensjahre durch einen schweren Unfall überschattet waren, wird als ein universaler Musiker in Erinnerung bleiben, der – wie Ingo Harden es formulierte – den verschiedensten musikalischen Sprachen gerecht wurde, "ohne bezüglich gestalterischer Strenge die geringsten Kompromisse eingehen zu müssen."
(Teil 2 am 25.10.2019, 22:03 Uhr)