Musée Picasso Paris, bis 3. Januar 2021, "Picasso et la Bande Dessinée" und "Picasso Poète"
Er malte auch mit Worten
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Das Picassomuseum in Paris öffnet nach langer Coronapause mit gleich zwei Ausstellungen: "Picasso und der Comic" und "Picasso, der Dichter". Beiden Schauen offenbaren eindrucksvoll neue Seiten des Künstlers, der sich selbst als Poet sah.
Zwei Ausstellungen auf drei Etagen – ein langer Rundgang erwartet den Besucher. "Picasso und der Comic" - das ist erstaunlicherweise die erste Ausstellung überhaupt, die sich intensiv mit dem Interesse Picassos an der Kunst des Comics beschäftigt. Dabei gibt es so viele Berührungspunkte, Entsprechungen, Nachwirkungen, wie die Ausstellung eindrucksvoll belegt.
Schon in der Kindheit las Picasso Comics, und er tat es bis zum Lebensende. Früh schon zeichnete er Bilderfolgen, benutzte Sprechblasen, seine ganze Entwicklung zur kubistischen Malerei sei vom Comic geprägt worden, meint Kurator Johan Popelard.
"Es gibt dieses Exzessive in der Malerei Picassos", erklärt er, "diese Art, an Grenzen heranzugehen: an Grenzen des Realismus, des Grotesken, des Karikaturhaften, auch eine bestimmte Freiheit in der Erfindung und der Behandlung, der oft brutalen Behandlung seiner Figuren. Und diese Freiheit hat Picasso früh schon im Comic entdeckt, es ist genau die Freiheit des Comics."
Einfluss auf spätere Ikonen des Comics
Umgekehrt beeinflusste Picasso später ganze Generationen von Comicautoren und –zeichnern, die sich der Picassoschen Techniken bedienten, oft auch mit seinen Mitteln spielten - Multiperspektivisches, versetzte Körper, zerschnittene Köpfe.
Von Gemälden Picassos kontrastiert, wird viel Groß- und Kleinformatiges gezeigt: von Art Spiegelman und Roy Lichtenstein über die französische Comic-Ikone Hergé bis zu Nick Bertozzi, der 2012 Picasso zur Comicfigur machte. Wir sehen den Maler an der Staffelei, sein Modell ist Gertrude Stein. Sie hatte Picasso 1907 insbesondere mit amerikanischen Comics bekanntgemacht.
Und auch die Ausstellung "Picasso, der Dichter" ist eine Entdeckung. Wieder führen die Spuren bis in die Kindheit zurück. Picasso las zeitlebens viel, war befreundet mit Dichtern des Surrealismus wie André Bréton oder Guillaume Apollinaire. Vor allem Schriftsteller waren es, die seine ersten Ausstellungen finanzierten.
"Picasso schrieb Gedichte, er war ein Schriftsteller", sagt Kuratorin Androula Michael. "Ich glaube, er war als solcher so bedeutend wie als Maler - aber er sah sich eben nicht als klassischen Berufsschriftsteller. Und doch gehört das Schreiben ganz wesentlich zu seiner gesamten künstlerischen Arbeit. Deshalb sagte er selber von sich, er sei ein Schriftsteller, aber keiner wie alle anderen."
Buchstaben als Kunst
Picasso malte auch ganz konkret mit Worten, etwa eine Serie von elf Blättern, auf denen immer derselbe Satz steht: "ll neige au soleil", "Es schneit in der Sonne". Dabei werden die Buchstaben des Wortes "soleil", "Sonne", immer größer und dominanter. Sie lassen den Schnee regelrecht dahinschmelzen.
Die Kuratorin sagt: "Picasso ist jemand, der immer experimentiert. Wie bei einem Gemälde oder einer Zeichnung hat er auch beim Schreiben erst etwas entworfen, hat es dann verändert, hat gestrichen, Neues hinzugefügt. Manchmal folgt er grammatikalischen Regeln, oft nicht, es gibt Reime und Strophen, dann wieder seitenlange Wortfolgen, durch nichts geordnet, auch nicht durch Satzzeichen - auf sie verzichtet Picasso ganz. Sein Schreiben hat eine unglaubliche Vielfalt."
Ein Beispiel: "9. Dezember 1935/am runden Flügel des kleinsten Almosens die Farbe/genügt sich/die Hand die nagt spielen wir nicht als/die Blume die schreit ich will nicht ich will nicht".
Wortballungen auf Spanisch und Französisch
Exzessive Gedichte sind das, auf Spanisch und Französisch in kraftvoller Handschrift, Wortballungen, mit Zahlen durchsetzt, Zahlenkolonnen, die Themen sind die seiner Gemälde und Zeichnungen, nur eben in Worten ausgedrückt: Liebe, Hass, Frauen, Männer, die Sehnsucht, Pflanzen, Tiere, der Himmel.
Der Krieg ist präsent. Die Ausstellung zeigt Dutzende von Blättern, die den Arbeitsprozess nachvollziehbar machen, zeigt auch, wie Gedichte sich in Gemälden wiederfinden, etwa Liebesworte in einem Porträt seiner Geliebten Marie-Thérèse.
Dass der Schriftsteller Picasso nicht sehr bekannt sei, hat für Kuratorin Androula Michael einen einfachen Grund: Als Maler, Zeichner und Skulpteur habe Picasso in der Öffentlichkeit eine derart immense Bedeutung erlangt, dass der Dichter Picasso daneben einfach nicht mehr wahrgenommen werde. Die Pariser Ausstellung und ihr vorzüglicher Katalog könnten das ändern.