"Ich liebe Chuzpe"
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Für die Übersetzung von "Oreo" erhielt Pieke Biermann den Preis der Leipziger Buchmesse. Der Roman war wegen seiner verschiedenen Slangs, Anspielungen und satirischen Elemente eine besondere Herausforderung, erzählt sie - gerade das hat sie gereizt.
"Ich glaube, es war das schwierigste, aber es war gleichzeitig auch das spannendste, das tollste Buch. Ich habe es in die Finger gekriegt und ich habe gedacht: Das ist saukomisch, das ist sauklug und das ist sauschwer zu übersetzen, aber das reizt mich", sagt Pieke Biermann. Für die Übersetzung des Romans "Oreo" von Fran Ross wurde sie mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.
Eine der größten Herausforderungen für die Preisträgerin: Es handelte sich bei "Oreo" nicht nur um eine Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch, sondern gleichfalls um eine Übersetzung aus dem Jiddischen und afroamerikanischen Englisch - nebst vieler verschiedener Idiome, dem Südstaatenakzent beispielsweise.
Das Jiddische sei noch vergleichsweise einfach gewesen, sagt Pieke Biermann, weil die jiddischen Wörter im Original kursiv gesetzt sind, wobei Jiddisch nicht gleich Jiddisch sei, das amerikanische Jiddisch sich von dem, was wir im Deutschen kennen, unterscheide. Da galt es, nachzuforschen.
Schwieriger waren die verschiedenen Idiome des schwarzen Englisch: Zum Beispiel Slangausdrücke, Fantasieworte, aber auch Anspielungen in Form von Witzen, Parodien und Satire, die sich auf die 50er- und 60er-Jahre beziehen, was Rassismus, aber auch Musik, Literatur und Bildungsgut aller Art angehe.
Oreo wie der Keks
Oreo ist der Spitzname der Heldin und hat mit der Kekssorte namens Oreo zu tun: eine Art Prinzenrolle, aber außen schwarz und mit weißer Füllung. Deshalb wird das Wort auch als Schmähbegriff von Schwarzen für andere Schwarze benutzt, wenn sie diese für ein bisschen zu weiß angepasst halten.
Als Tochter einer schwarzen Mutter und eines jüdischen Vaters ist Oreo eine doppelte Außenseiterin. Mit 16 macht sie sich von Philadelphia auf nach New York, um ihren Vater zu finden und das Rätsel ihrer Herkunft zu lösen.
Fran Ross orientiert sich dabei an dem antiken Mythos von Theseus. Eines seiner Abenteuer bestand darin, den Minotaurus im Labyrinth von Kreta zu töten und dank des Wollknäuels, das ihm Ariadne gegeben hatte, auch wieder aus dem Labyrinth herauszufinden. Bei Fran Ross ist der Minotaurus eine junge Bulldogge und Theseus das schwarze, jüdische Mädchen Oreo.
"Ich glaube, das ist einfach das Maximum an Chuzpe, das man haben kann, um so richtige europäische Hochkultur instand zu besetzen, würde ich sagen", so Pieke Biermann. Fran Ross habe sich dieses Stoffes ganz selbstbewusst bedient - nach dem Motto: "Ich schau mal, was ich heute aus meiner Position, mit meinen Talenten, mit meinem schrägen Blick und mit meiner Sprachkunst daraus machen kann."
Ein Schelmenroman
Diese Art von Chuzpe habe, erklärt Pieke Biermann, sowohl jüdische als auch schwarze Wurzeln: "Sich Sachen einfach zu nehmen und für sich zu drehen, gerne für sich halluzinatorisch die Schraube noch ein bisschen weiter zu drehen, damit so eine Wahrheit rauskommt: Das ist natürlich jüdische Tradition, das ist auch alteuropäische, jüdische Tradition, es ist aber gleichzeitig auch schwarze Tradition: Underdog- und Sklavenwitz, der aber überhaupt nicht aus der Sklavenposition heraus agiert, sondern aus der selbstbewussten: Ich erlaube mir das jetzt mal."
Parallel zur Theseussage muss auch Oreo Prüfungen und Abenteuer bestehen, trifft dabei auf schräge, skurrile Figuren und gerät in absurde Situationen. Eine Coming-of-Age-Geschichte sei das jedoch nicht, eher eine Art Schelmenroman.
Tapfer ist Oreo, und stark, eine richtige Superwoman. Ihr Motto: "Niemand reizt mich ungestraft". Wer ihr dumm kommt, in der Regel Männer, wird dank einer speziellen Selbstverteidigungstechnik namens WITZ, verprügelt.
Übersetzen durch Anverwandeln
Es sei für sie leicht gewesen, sich in die Erzählstimme einzufühlen, sagt Pieke Biermann: "Ich kann aber überhaupt nicht sagen, wie ich das mache. Ich weiß nur nach zig Jahren Übersetzen und Reden mit anderen Übersetzern darüber, wie die vorgehen, habe ich offensichtlich automatisch meine eigene Methode, nämlich: Ich verwandele mich an. Das geht relativ unkontrolliert. Ich kann nicht anders übersetzen, als durch Anverwandeln."
Mit Spaß sei sie an diese schwierige Übersetzung rangegangen: "Es klingt blöd, aber ich hatte einen unglaublichen Spaß an dieser Übersetzung. Und ich habe die deshalb auch so schnell fertiggekriegt, weil ich so gierig darauf war, weiterzumachen."
Übersetzen sei immer ein Transportieren in eine ganz andere Sprache, die an vielen Stellen aber ganz erstaunlich ähnlich sei und an anderen aber überhaupt nicht so funktioniere wie die eigene. Dazu müsse man auch Spaß an der eigenen Sprache haben.
Chuzpe als Überlebensprinzip
Auf das Buch aufmerksam geworden war Pieke Biermann durch eine Rezension im "Guardian". Von der Autorin Fran Ross, die das Buch 1974 im Selbstverlag herausgebracht und 1985 gestorben war, hatte sie bis dahin noch nie gehört. Damals war das Buch komplett untergegangen, bevor es in den USA kürzlich ein zweites Mal erschienen ist.
Das Buch habe an Aktualität nichts eingebüßt, findet Pieke Biermann. Im Gegenteil: Themen wie Rassismus, Sexismus und Identität seinen vielleicht erst heute viel mehr ins Bewusstsein geraten.
Sie schlug dem dtv Verlag vor, das Buch für dessen Klassikerreihe zu übersetzen. Chuzpe hat nicht nur die Autorin bei der Art und Weise, schwierige Themen satirisch zu verhandeln, bewiesen, sondern auch die Übersetzerin: "Ich liebe Chuzpe. Ist ein Überlebensprinzip. Und Lachen."
"Oreo" sei deshalb auch ein geeignetes Buch für diese Krisensituation: "Denn Lachen macht das Übel kleiner. Dann schrumpft es auf Menschengröße und dann kann man damit umgehen", sagt Pieke Biermann.