Pierre Rosanvallon: "Das Jahrhundert des Populismus. Geschichte, Theorie, Kritik"
Aus dem Französischen von Michael Halfbrodt
Hamburger Edition, Hamburg 2020
266 Seiten, 35 Euro
Profunder Einspruch gegen die Denkfaulheit
06:32 Minuten
Mit seinem Buch über Populismus trifft der Demokratietheoretiker Pierre Rosanvallon ins Zentrum aktueller Debatten. Mit seinem historisch geschärften Blick und einer genauen Analyse bietet er mehr als die übliche Warn-Rhetorik.
Bücher über den Populismus gibt es viele. Ihre Wirkung? Überschaubar, bestenfalls. Selbst wenn man den weltweit zu beobachtenden Siegeszug jenes Populismus, der immer mit autoritärer Politik einhergeht, einmal außer Acht ließe: Auch viele jener sich kritisch Dünkenden, die zur Meinungsbildung weiterhin auf seriöse Medien vertrauen oder in diesen kommentieren, scheinen oftmals in einer rechthaberischen Endlosschleife gefangen zu sein.
Denn auch in deren Wahrnehmung, so beschreibt es der französische Historiker und renommierte Demokratietheoretiker Pierre Rosanvallon in seinem neuen Buch, scheint alles sehr eindeutig: Der Populismus - gern auf "Rechtspopulismus" reduziert - quasi als "Betriebsunfall" der Demokratie, als missliche Ausnahme, die jedoch mittels moralisch aufgeladener Verdammungsrhetorik oder auch guter Zurede und sozialer Förderprogramme zu beheben sei.
Ohne Polemik und Süffisanz
Rosanvallons Buch ist ein profunder Einspruch gegen derlei Denkfaulheit, wobei der durchaus transparent und verständlich schreibende Wissenschaftler nirgendwo in Polemik und Süffisanz verfällt. Stattdessen widmet sich sein plausibel-streng aufgebautes Buch der Geschichte und der Kritik jenes Populismus, der beunruhigenderweise ja ungleich älter ist, als unser medial geeichtes und verkürztes Gedächtnis wahrhaben möchte.
An Beispielen wie Mussolini oder Juan Perón, dem bis heute fatal wirkungsmächtigen ehemaligen argentinischen Präsidenten, macht er jene diktatorisch-aktivistische Politik deutlich, die schon damals nicht in ein traditionelles Links-Rechts-Schema einzupassen war. Antikapitalismus und administrativ durchgesetzte soziale Verbesserungen waren nämlich keineswegs nur rhetorischer Art - und führten dennoch letztlich zum Ruin: Benötigt doch Populismus in jeder seiner Ausformungen klar umrissene Feindbilder (die Oligarchie, die Gewerkschaften, die Juden, die Katholiken, die Säkularen, die Intellektuellen, die Mittelschicht, die Eingewanderten oder der sogenannte "Neoliberalismus").
Die identitären Gelüste der autoritären Linken
Die Tatsache indessen, dass bislang mit Populismus noch nie etwas strukturell verbessert worden ist, sollte Demokraten nicht zu einem bräsigen "Es ist ja noch immer gut gegangen" verführen. Schon gar nichts brächte es, auch darauf weist Pierre Rosanvallon immer wieder hin, sich der eigenen Aufgeklärtheit allein dadurch zu versichern, dass man den Populisten vorwirft, illiberal zu sein und die Gewaltenteilung auszuhebeln - ein geradezu unsinniges Unterfangen angesichts politischer Kräfte, die aus ihrer Verachtung von Liberalismus und "checks and balances" ohnehin kein Hehl machen.
Auch ein statisch gewordener "Blick nach rechts" wäre unheilvoll, nähme er nicht ebenso die identitären Gelüste der autoritären Linken wahr: Das ostentative Liebäugeln eines einflussreichen französischen Linkspolitikers wie Jean-Luc Mélenchon mit einem "volkstümlichen" Cäsarismus lässt jedenfalls Böses ahnen.
Wo aber bleibt das Heilmittel? Ganze zehn Seiten werden am Schluss des Buches dem "Geist einer Alternative" gewidmet - Resignation oder kluge Selbstbescheidung? Wohl eher Letzteres, ein Rekurs auf reflektierten common sense - etwa im Appell, die allerorten versprochene "Transparenz" endlich umzusetzen in eine bürgernahe "Lesbarkeit" von Verwaltungsentscheidungen. Oder auch repräsentative Demokratie nicht länger misszuverstehen als ein "Alle vier Jahre kommt der Bürger zu Wort".
Erweiterte Partizipation ohne Tremolo mahnt Rosanvallon an - und dass er auch dies in modester Zimmerlautstärke tut, spricht zusätzlich für sein Buch.