Die Ausstellung "Pieter Hugo. Between the Devil and the Deep Blue" ist vom 19. Februar bis zum 23 Juli 2017 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.
Porträts mit überwältigender Wirkung
Obdachlose, Schrottsammler, Albinos: Scheinbar ungerührt schaut der Fotograf Pieter Hugo auf die Menschen am Rande der Gesellschaft. Die Porträtaufnahmen des Südafrikaners treffen den Betrachter wie ein Faustschlag – zurzeit im Kunstmuseum Wolfsburg.
Die Ausstellung "Between the Devil and the Deep Blue" im Kunstmuseum Wolfsburg beginnt geradezu idyllisch. Ein vielleicht achtjähriger schwarzer Junge liegt auf einer Blumenwiese, eingehüllt in eine viel zu große, hellbraune Jacke und schaut uns an: selbstbewusst, mit erwachender Skepsis. Ein Mädchen, eingehüllt in ein lachsfarbenes Tuch, sitzt an einer braunen Hauswand und hält zwei Pflanzen in ihren Händen. Das Tuch zeigt ihr Gesicht nur halb, nur die Hälfte ihres intensiven Blicks. "1994" heißt diese Serie arglos wirkender Kinderporträts im Format 1 Meter 20 mal 1 Meter 60. Sie ist zwischen 2014 und 2016 entstanden. - Ein überraschender Auftakt. Will uns Pieter Hugo, bekannt als Fotograf einer unbarmherzigen afrikanischen Wirklichkeit, gleich zu Beginn seiner Retrospektive in die Irre führen? Kuratorin Uta Ruhkamp:
"Es ist zum Teil eine Ästhetisierung der Katastrophe, das ist sowohl bei Ruanda, The Vestiges of a Genocide, von 2004, wo er die noch nicht beerdigten menschlichen Überreste in Ruanda fotografiert hat, oder auch in dieser extrem ästhetischen Serie '1994', wo er eben diese Kinder in den scheinbar arkadischen Landschaften positioniert. Aber es sind eben die Landschaften, wo sich der Genozid in Ruanda abgespielt hat, wo sich die Massengräber, die unverschlossenen, befunden haben."
Immer schwingt die Katastrophe mit
1994, da war Pieter Hugo 18 Jahre alt, da erlebte er das Ende der Apartheid und erfuhr von dem Völkermord in Ruanda. Und um dieses Jahr 1994 kreist sein Denken, so sagt er. Seine Bilder gehören nicht mehr zur Tradition direkt politischer Fotografie, sondern sind postkoloniale Bestandsaufnahme. "Reportagen in Porträtform", so nennt es die Kuratorin Uta Ruhkamp. Die politische und ökologische Katastrophe schwingt immer mit, aber wird selten so direkt thematisiert wie in einer Serie über einen Schrottplatz für Elektromüll in Ghana. Dort versuchen die Ärmsten der Armen durch Einschmelzen des Mülls wertvolle Metalle zu gewinnen und leben auf einer völlig kontaminierten Erde. Und immer trifft uns dieser Blick: fragend, arglos, aggressiv, selbstbewusst, hoffnungslos, verzweifelt, wütend.
Uta Ruhkamp: "Ich glaube, dass seine Bilder deshalb auch so physisch sind, die Porträtierten haben ja eine ganz extreme physische und psychische Präsenz, und dadurch diesen Überwältigungseffekt. Er hat ganz viel von August Sander gelernt, wie er selber sagt, eben die Sparsamkeit der Mittel, und ich denke auch die Neutralität des Blickwinkels. Und durch diese Neutralität, die Direktheit, bei gleichzeitigem Respekt haben seine Bilder so eine physische Wirkung, dass man das Gefühl hat, diesen Menschen wirklich, in realiter, zu begegnen."
Wie ein LKW-Fahrer in der Kaffeepause
Auch die Begegnung mit Pieter Hugo, dem Fotografen selbst, ist Respekt einflößend. Er wirkt wie ein LKW-Fahrer in der Kaffeepause, wie der Türsteher eines Clubs, wie ein dubioser Kleinunternehmer: kurz geschorenes Haar, muskulös, kräftig, tätowiert. Erste Frage: Warum diese manische Beziehung zum Blick?
Pieter Hugo: "Ich will mich nicht rechtfertigen beim Schauen. Aber die Porträtierten sollen mit derselben Intensität zurück schauen. Darin besteht die Spannung in meinen Porträts. Ich will Porträts machen, die Dich packen, die Dich nicht entwischen lassen."
Pieter Hugo ist kein zaghafter oder ängstlicher Mensch. Das kann sich jemand, der die psychische Wirklichkeit Afrikas erkunden will, nicht erlauben. Er ist wochenlang mit den sogenannten Hyänen-Männern in Nigeria herumgezogen, er hat sich den Bildern der Leichenreste und Schädelhäuser in Ruanda gestellt. Und ab und zu, vielleicht als Tribut an seinen eindringlichen Blick, baut er sich selbst in seine Fotoserien ein: als tätowierter nackter Mann mit Baby auf dem Schoß. Oder in seiner Porträtserie von afrikanischen Albinos, Blinden und herunter gekommenen Weißen:
"Ich will jetzt nicht auf die Analytiker-Couch. Aber ich habe als weißer Südafrikaner den Konflikt, dass ich dort lebe, aber nicht wirklich dazu gehöre, nicht wirklich gewollt werde. Und das übt einen unglaublichen psychologischen Druck aus. Und ich habe versucht, dem nachzugehen und mit meiner Arbeit diese Probleme zu lösen."
Es hört sich vielleicht merkwürdig an, wenn man angesichts von Fotografien, die aus einem unverwechselbaren Kontext stammen und unter der Bürde kolonialer Geschichte geradezu bersten, von "Zeitlosigkeit" spricht. Aber das ist tatsächlich die Sensation, mit der diese Bilder eines weißen, südafrikanischen Fotografen aufwarten: Da geht jemand mit Geschichte um, indem er ihr den Rücken zudreht und den Menschen nur – in die Augen schaut.