Pionier der Multimedia-Kunst
Der Maler, Bildhauer und Objektkünstler Otto Piene revolutionierte in den 1950er- und 1960er-Jahren mit der Künstlergruppe "Zero" die Nachkriegskunst und war offen für viele neue Kunstrichtungen. "Die Neugierde ist unbedingt notwendig für jede Art von ernster Kunstausübung", betont Piene.
Susanne Führer: Heute erhält der Multimedia- und Objektkünstler und Maler und Bildhauer Otto Piene einen der renommiertesten Kunstpreise, nämlich den nur alle drei Jahre vergebenen Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Pienes Werk habe, so das Kuratorium in seiner Begründung, "internationale Strahlkraft", seine Experimentierfreude und sein Interesse an der Zusammenführung von Kunst, Natur und Technologie nehme besonders auf eine junge Künstlergeneration maßgeblichen Einfluss.
Otto Piene wurde schon 1959 zum ersten Mal auf die "documenta" in Kassel eingeladen, und ich habe ihn gefragt, wie seine Kunst eigentlich damals aufgenommen worden ist, denn die Avantgarde hat es ja meistens schwer.
Piene: Ja, die Tatsache, dass ich vertreten war, dass wir vertreten waren bei der documenta, bedeutet schon, dass wir eine gewisse Bekanntheit erlangt hatten unter denen, die die Kunst ernst nahmen und die Kunst auch aufmerksam beobachtet haben. Das heißt, wir kamen dann auf die documenta und haben das mit sehr viel Wachheit beobachtet und von da dann weiterhin unsere Positionen definiert und verfolgt.
Führer: Sie haben ganz früh mit Licht gearbeitet, also bei Zero schon – was hat Sie dahin gezogen?
Piene: Das war ja nach dem, also schon einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, und während des Krieges war ja durchgesetzt: alles dunkel. Das heißt also, die Nacht war, die natürliche Nacht, so weit das mit all dem Getöse des Krieges möglich war, und es gab also kein elektrisches Licht oder nur in ganz und gar geschlossenen Räumen, da wo Strom genug da war. Danach war also die Wiederentstehung des Lichts sozusagen wie eine Art von Wiedergeburt von normalem menschlichen Leben.
Führer: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit dem Künstler Otto Piene, der heute den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt erhält. Herr Piene, Sie haben dann später in Amerika ja verschiedene Medienarbeiten entwickelt, zum Beispiel auch die Arbeit mit Video, da waren Sie auch einer der ganz Frühen. Inwieweit ist in diesen Arbeiten eigentlich noch der Einfluss von Zero spürbar?
Piene: Zero war unter anderem auch neugierig. Ich hoffe, dass wir auch heute noch als neugierig gelten, das heißt aufmerksam. Das, was sich neu entwickelte über Routine hinaus und über normale Kunstgeschichte hinaus, besonders – wir waren dem gegenüber sehr aufmerksam und haben uns manche Dinge angenommen, die noch gar nicht als zum Bereich der Kunst gehörig angenommen waren.
Führer: Wie Video zum Beispiel …
Piene: Wie zum Beispiel Video. Oder andere elektronische Medien im Zusammenhang mit Kunst oder Performance.
Führer: Ja, und manches andere hat sich ja auch weiter durchgezogen, das Licht zum Beispiel. Also eines Ihrer berühmtesten Werke ist ja in New York entstanden, "Proliferation of the sun", da gibt es Sequenzen, Tempo-, Licht- und Farbwechsel und auch eine Lichtregie – das schien mir so wie eine Fortsetzung eigentlich der Zero-Arbeiten.
Piene: Das war eine Fortsetzung der Zero-Arbeiten, besonders meine Arbeit, denn ich habe das erste Mal, als ich überhaupt eine Einzelausstellung hatte, in diesem Falle in Düsseldorf in der Galerie Schmela, zur Eröffnung zum ersten Mal für ein Publikum das "Lichtballett" gespielt. Zu der Zeit noch mit sehr einfachen Mitteln, mit Handlampen und Lichtsieben, die ich selbst hergestellt habe.
Aber damit konnte ich Raumwirkungen erzeugen, die bis dahin nicht üblich waren unter den Künstlern meiner Generation und den Freunden, die mit mir zusammen in den Ateliers arbeiteten. Mehr oder weniger Trümmerateliers, aber doch geeignet für das, wie es dann hieß, "experimentelle Kunst".
Führer: Jetzt haben wir so viel über Licht gesprochen. Ein Artikel über Sie war mal überschrieben mit dem Titel "Der mit den Flammen malt", weil Sie ja auch immer wieder Wind und Feuer aufgenommen haben in Ihre Arbeit, damit gearbeitet oder damit gespielt haben. Also, Sie gehen sozusagen zu den ursprünglichen Elementen zurück.
Piene: Wir können ja doch wohl sagen, dass Feuer, gut oder nicht, eine elementare Form des Lichts oder der Erscheinung des Lichts ist. Und ich habe dann eben mit Licht, das ich durch Siebe artikuliert habe, Performances gemacht, die im dunklen Raum ins Leben geschickt wurden. Und dazu gehörte eben das Licht von einfachen elektrischen Lichtquellen. Und dazu gehörte auch das Element der Bewegung und der Performance. Daher also das "Lichtballett", zum ersten Mal, nennen wir es ruhig "vorgeführt" vor einem Publikum bei meiner ersten Einzelausstellung.
Führer: Herr Piene, ich hatte ja eingangs das Kuratorium des Max-Beckmann-Preises zitiert, das Ihren Einfluss auf die junge Künstlergeneration hervorhebt. Sehen Sie diesen Einfluss auch?
Piene: Zum ersten Mal wurde mir das ganz klar, und mit großer Freude habe ich das zur Kenntnis genommen, als ich in einer Ausstellung im Deutschen Künstlerbund, Studiogalerie in Berlin hatte, wie wach und neugierig die jungen Leute von den Universitäten und von den Kunstschulen diese Ausstellung, die weitgehend mit Licht als Medium arbeitete, aufgenommen haben und wie wach Fragen gestellt wurden und Antworten erwartet wurden, die über die Routinefragen in Künstlerateliers zu der Zeit hinausgingen. Das war vor ungefähr zehn Jahren.
Führer: Das wäre also ein Einfluss, gar nicht so sehr, dass die jetzt Ähnliches machen wie Sie, sondern ein Einfluss über die Haltung, nämlich die Neugierde und Wachheit?
Piene: Die Neugierde ist unbedingt notwendig für jede Art von ernster Kunstausübung. Man muss ja beobachten, was man tut, und aus dem, was man beobachtet, zieht man für sich selbst Schlüsse und auch für die Arbeit zieht man Anregungen, um weiterzuarbeiten und das eben weiterzutragen, besonders wenn man auch mit Lehrern und mit Kommunikation zu tun hat.
Führer: Sie waren ja in vielem einer der Ersten, also bei der Multimediakunst, den Performances, den Lichtinstallationen – all das ist ja heute nichts außergewöhnliches mehr, das machen ja unglaublich viele Künstler. Sehen Sie das eigentlich mit Freude, diese Entwicklung?
Piene: Grundsätzlich ja. Solange es gut ist, solange besonders die jungen Menschen das mit Interesse und mit Ernst machen, zeigt sich, dass überall neue Dinge entstehen, die eine Erweiterung und eine Erneuerung dessen sind, was sonst Routine wird und was sonst verbraucht wird.
Führer: Ich habe aber den Eindruck, dass Sie sich eigentlich davon wieder verabschiedet haben von dieser Art Kunst.
Piene: Ich arbeite nach wie vor sehr viel mit Licht, und ich habe also gerade bei uns zu Hause zwei bestehende Silos umgebaut. In dem einen findet eine Tonperformance statt, und in dem anderen findet die Lichtperformance statt mit dem heute vielfach mit Recht so genannten "Lichtballett". Es kommt immer Neues dazu, neue Gelegenheiten, neue Räume, neue Menschen, neue Kommunikation. Was also verbraucht ist, erledigt sich von selbst.
Führer: Das sagt der Künstler Otto Piene. Er erhält heute den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Piene, und wünsche Ihnen einen schönen Festakt nachher!
Piene: Ich danke Ihnen sehr und – wir werden es erleben. Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Otto Piene wurde schon 1959 zum ersten Mal auf die "documenta" in Kassel eingeladen, und ich habe ihn gefragt, wie seine Kunst eigentlich damals aufgenommen worden ist, denn die Avantgarde hat es ja meistens schwer.
Piene: Ja, die Tatsache, dass ich vertreten war, dass wir vertreten waren bei der documenta, bedeutet schon, dass wir eine gewisse Bekanntheit erlangt hatten unter denen, die die Kunst ernst nahmen und die Kunst auch aufmerksam beobachtet haben. Das heißt, wir kamen dann auf die documenta und haben das mit sehr viel Wachheit beobachtet und von da dann weiterhin unsere Positionen definiert und verfolgt.
Führer: Sie haben ganz früh mit Licht gearbeitet, also bei Zero schon – was hat Sie dahin gezogen?
Piene: Das war ja nach dem, also schon einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, und während des Krieges war ja durchgesetzt: alles dunkel. Das heißt also, die Nacht war, die natürliche Nacht, so weit das mit all dem Getöse des Krieges möglich war, und es gab also kein elektrisches Licht oder nur in ganz und gar geschlossenen Räumen, da wo Strom genug da war. Danach war also die Wiederentstehung des Lichts sozusagen wie eine Art von Wiedergeburt von normalem menschlichen Leben.
Führer: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit dem Künstler Otto Piene, der heute den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt erhält. Herr Piene, Sie haben dann später in Amerika ja verschiedene Medienarbeiten entwickelt, zum Beispiel auch die Arbeit mit Video, da waren Sie auch einer der ganz Frühen. Inwieweit ist in diesen Arbeiten eigentlich noch der Einfluss von Zero spürbar?
Piene: Zero war unter anderem auch neugierig. Ich hoffe, dass wir auch heute noch als neugierig gelten, das heißt aufmerksam. Das, was sich neu entwickelte über Routine hinaus und über normale Kunstgeschichte hinaus, besonders – wir waren dem gegenüber sehr aufmerksam und haben uns manche Dinge angenommen, die noch gar nicht als zum Bereich der Kunst gehörig angenommen waren.
Führer: Wie Video zum Beispiel …
Piene: Wie zum Beispiel Video. Oder andere elektronische Medien im Zusammenhang mit Kunst oder Performance.
Führer: Ja, und manches andere hat sich ja auch weiter durchgezogen, das Licht zum Beispiel. Also eines Ihrer berühmtesten Werke ist ja in New York entstanden, "Proliferation of the sun", da gibt es Sequenzen, Tempo-, Licht- und Farbwechsel und auch eine Lichtregie – das schien mir so wie eine Fortsetzung eigentlich der Zero-Arbeiten.
Piene: Das war eine Fortsetzung der Zero-Arbeiten, besonders meine Arbeit, denn ich habe das erste Mal, als ich überhaupt eine Einzelausstellung hatte, in diesem Falle in Düsseldorf in der Galerie Schmela, zur Eröffnung zum ersten Mal für ein Publikum das "Lichtballett" gespielt. Zu der Zeit noch mit sehr einfachen Mitteln, mit Handlampen und Lichtsieben, die ich selbst hergestellt habe.
Aber damit konnte ich Raumwirkungen erzeugen, die bis dahin nicht üblich waren unter den Künstlern meiner Generation und den Freunden, die mit mir zusammen in den Ateliers arbeiteten. Mehr oder weniger Trümmerateliers, aber doch geeignet für das, wie es dann hieß, "experimentelle Kunst".
Führer: Jetzt haben wir so viel über Licht gesprochen. Ein Artikel über Sie war mal überschrieben mit dem Titel "Der mit den Flammen malt", weil Sie ja auch immer wieder Wind und Feuer aufgenommen haben in Ihre Arbeit, damit gearbeitet oder damit gespielt haben. Also, Sie gehen sozusagen zu den ursprünglichen Elementen zurück.
Piene: Wir können ja doch wohl sagen, dass Feuer, gut oder nicht, eine elementare Form des Lichts oder der Erscheinung des Lichts ist. Und ich habe dann eben mit Licht, das ich durch Siebe artikuliert habe, Performances gemacht, die im dunklen Raum ins Leben geschickt wurden. Und dazu gehörte eben das Licht von einfachen elektrischen Lichtquellen. Und dazu gehörte auch das Element der Bewegung und der Performance. Daher also das "Lichtballett", zum ersten Mal, nennen wir es ruhig "vorgeführt" vor einem Publikum bei meiner ersten Einzelausstellung.
Führer: Herr Piene, ich hatte ja eingangs das Kuratorium des Max-Beckmann-Preises zitiert, das Ihren Einfluss auf die junge Künstlergeneration hervorhebt. Sehen Sie diesen Einfluss auch?
Piene: Zum ersten Mal wurde mir das ganz klar, und mit großer Freude habe ich das zur Kenntnis genommen, als ich in einer Ausstellung im Deutschen Künstlerbund, Studiogalerie in Berlin hatte, wie wach und neugierig die jungen Leute von den Universitäten und von den Kunstschulen diese Ausstellung, die weitgehend mit Licht als Medium arbeitete, aufgenommen haben und wie wach Fragen gestellt wurden und Antworten erwartet wurden, die über die Routinefragen in Künstlerateliers zu der Zeit hinausgingen. Das war vor ungefähr zehn Jahren.
Führer: Das wäre also ein Einfluss, gar nicht so sehr, dass die jetzt Ähnliches machen wie Sie, sondern ein Einfluss über die Haltung, nämlich die Neugierde und Wachheit?
Piene: Die Neugierde ist unbedingt notwendig für jede Art von ernster Kunstausübung. Man muss ja beobachten, was man tut, und aus dem, was man beobachtet, zieht man für sich selbst Schlüsse und auch für die Arbeit zieht man Anregungen, um weiterzuarbeiten und das eben weiterzutragen, besonders wenn man auch mit Lehrern und mit Kommunikation zu tun hat.
Führer: Sie waren ja in vielem einer der Ersten, also bei der Multimediakunst, den Performances, den Lichtinstallationen – all das ist ja heute nichts außergewöhnliches mehr, das machen ja unglaublich viele Künstler. Sehen Sie das eigentlich mit Freude, diese Entwicklung?
Piene: Grundsätzlich ja. Solange es gut ist, solange besonders die jungen Menschen das mit Interesse und mit Ernst machen, zeigt sich, dass überall neue Dinge entstehen, die eine Erweiterung und eine Erneuerung dessen sind, was sonst Routine wird und was sonst verbraucht wird.
Führer: Ich habe aber den Eindruck, dass Sie sich eigentlich davon wieder verabschiedet haben von dieser Art Kunst.
Piene: Ich arbeite nach wie vor sehr viel mit Licht, und ich habe also gerade bei uns zu Hause zwei bestehende Silos umgebaut. In dem einen findet eine Tonperformance statt, und in dem anderen findet die Lichtperformance statt mit dem heute vielfach mit Recht so genannten "Lichtballett". Es kommt immer Neues dazu, neue Gelegenheiten, neue Räume, neue Menschen, neue Kommunikation. Was also verbraucht ist, erledigt sich von selbst.
Führer: Das sagt der Künstler Otto Piene. Er erhält heute den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch, Herr Piene, und wünsche Ihnen einen schönen Festakt nachher!
Piene: Ich danke Ihnen sehr und – wir werden es erleben. Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.