Pioniere des Weltraums

Von Florian Hildebrand |
"Der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben." Ein berühmtes Wort von Konstantin Ziolkowski, dessen Geburtstag sich am 19. September zum 150. Mal jährt. Der Mann, ein tauber und schlecht bezahlter Mathematik- und Physiklehrer auf dem russischen Land, hatte eine Vision. Wie, so fragte er sich Ende des 19. Jahrhunderts, kommt der Mensch von der Erde los?
Er fand die berühmte Formel, nach der noch heute alle Raketen die Erde verlassen, und entwarf Raketenmotoren und Raumschiffe. Der erste Raketenmotor in der Sowjetunion entstand 1933 nach seinen Angaben. Die sowjetische Raumfahrt verblüffte die Weltöffentlichkeit immer wieder mit Erstleistungen: der erste Satellit – vor 50 Jahren am 4. Oktober 1957 - , die erste (unbemannte) Landung auf dem Mond, die erste Raumstation, der erste Außenbordeinsatz im Weltall, die erste Frau im Weltraum. Heute ist die russische Raumfahrt nach 15-jährigem Rückzug wieder im Aufwind. Ein Gang durch die Geschichte der russischen Raumfahrt:

Die Raumfahrt ist russisch. Im Zarenreich hat sie angefangen. Mit dem Sputnik trat sie vor fünfzig Jahren das erste Mal an die Weltöffentlichkeit und mit Juri Gagarin schickte sie vor 46 Jahren den ersten Menschen ins All. Immer wieder waren es Russen, die im Kosmos die Nase vorn hatten. Angefangen hatte alles mit einem Mann, der im Westen kaum bekannt ist: Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski.

Wjatscheslaw Finajew: "Ziolkowski wurde am 17.September 1857, also vor jetzt 150 Jahren ca. 80 km von Moskau entfernt in einem Städtchen geboren. Dort gibt es jetzt ein kleines Museum, das an ihn erinnert. In seiner Genialität nahm er die Entwicklung der Raumfahrt in den folgenden hundert Jahren bereits vorweg, sei es mit seiner Raketengrundgleichung oder mit etlichen technischen Lösungen für die Kosmonautik. Vieles davon ist erst in unserer Zeit praktisch verwirklicht worden. Dass seine Berechnungen, Konstruktionen und Ideen heute in der internationalen Raumfahrt selbstverständlich sind, zeigt, wie herausragend er als Wissenschaftler gewesen ist."

Dr. Wjatscheslaw Finajew ist der Repräsentant der staatlichen russischen Raumfahrtagentur Roskomos in Deutschland.

Konstantin Ziolkowski, der bescheidene Mann aus Kaluga mit den großen Visionen, ist in Russland jedem Raumfahrtbegeisterten bekannt. Nach einer Scharlacherkrankung im Alter von zehn Jahren verliert Ziolkowski für den Rest seines Lebens das Gehör. Er zieht sich von seiner Umwelt zurück und wird zum Eigenbrötler. In seine Biographie schreibt er:

"Die Taubheit entzieht mich dem Umgang mit Menschen, der Beachtung, dem Austausch, daher ist meine Biographie arm an Personen und Begegnungen."

Das hindert ihn aber nicht daran, Lehrer zu werden. Zunächst studiert er in Moskau Physik, Astronomie, Mechanik und Geometrie. Danach gibt er als Hauslehrer Unterricht in Mathematik und Physik, bis er 1882 als Mathematiklehrer an die Kreisschule von Borowsk in der Provinz Kaluga berufen wird.

Zeitgenossen schildern ihn trotz seiner Arbeit als Gymnasiallehrer als introvertierten Menschen. Hinter seiner Stirn grübelt er aber geradezu besessen über Vorstellungen, die ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen. Er entwirft praktisch die gesamte Raumfahrt des 20.Jahrhunderts.

1903 veröffentlicht Ziolkowski in der Zeitschrift "Nautschnoje Obosrenije", zu deutsch "Wissenschaftliche Rundschau", eine Arbeit mit dem Titel "Erforschung des Weltraums mittels Reaktionsapparaten":

"Zur Erforschung der Atmosphäre schlage ich ein Rückstoßgerät vor, d.h. eine Art Rakete, aber eine große Rakete besonderer Bauart. Diese meine Arbeit befasst sich bei weitem nicht mit allen Seiten der Angelegenheit und entscheidet durchaus nicht über ihre Realisierbarkeit von der praktischen Seite her. Aber in ferner Zukunft wird sich schon der Nebel lichten, und es werden sich dermaßen verführerische und bedeutungsvolle Perspektiven abzeichnen, von denen heute schwerlich jemand träumt."

Dieser Aufsatz enthält eine Formel, die später unter der Bezeichnung Raketengrundgleichung zur physikalisch-technischen Grundlage für den Raketenbau wird, erklärt Dr. Michael Grässlin vom Institut für Raumfahrtsysteme an der Universität Stuttgart:

"Die Geschwindigkeit, die eine Rakete erreichen kann, hängt davon ab, wie viel Brennstoff sie verbrauchen kann, d.h. wie groß ihr Anteil des Brennstoffs am Gesamtgewicht der Rakete ist. Je höher er ist, desto schneller wird sie sein. Der andere Faktor ist die Austrittsgeschwindigkeit der Gase am Triebwerk, d.h. wie schnell kann ich die verbrannten Abgase aus der Rakete herausschleudern, und das ist bei herkömmlichen Raketen mit 4500 m /sec beschränkt. Hier kommt man nicht darüber hinaus, das ist die physikalische Grenze derzeit bei Raketentriebwerken."

Darauf kommt Ziolkowski sehr viel später. Erstaunlich ist aber, dass er erkannt hat: Die bisherigen Raketen, auch wenn noch so viel Pulver in ihnen steckt, haben nicht die Energie, die Anziehungskraft der Erde zu überwinden und den Weltraum zu erreichen. Dies gelingt nur mit Treibstoff-Verbindungen wie Kerosin und flüssigem Sauerstoff oder flüssigem Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff.

Später findet er auch heraus - und zwar durch reines Nachdenken und Berechnen: für den Weltraum muss eine Rakete zwei Stufen haben, eine, um überhaupt in den Orbit zu gelangen und eine zweite, um dort weiter navigieren zu können.

Er bleibt nicht bei der Raketentechnik, sondern entwirft ganze Raumschiffe und komplette Raumstationen. Und er geht bis zur Besiedelung des Weltalls durch den Menschen. Bei all seinen Veröffentlichungen lässt er sich von dem Satz leiten:

"Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben. Das Sonnensystem wird unser Kindergarten."

Ziolkowski schreibt Science Fiction Romane mit dem bewussten Ziel, seinen großen Traum von der Raumfahrt unters Volk zu bringen. Aber im Ausland bleibt er ein Unbekannter, und dort sogar bei anderen Raumfahrtpionieren. Das hat der Berliner Wissenschaftshistoriker und Astronom Professor Dieter B. Herrmann noch selbst erfahren:

"Wir wissen, dass der deutsche Raumfahrtpionier Herrmann Oberth im Jahr 1923 sein berühmtes Buch ´Die Rakete zu den Planetenräumen´ geschrieben hat. Ich hatte aus raumfahrthistorischem Interesse eine kleine Korrespondenz mit Herrmann Oberth und er schrieb mir, dass ihm der Name Ziolkowski zu dieser Zeit völlig unbekannt gewesen sei. Das ist immerhin zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Arbeit Ziolkowskis gewesen, da wusste ein Mann wie Oberth nichts über Ziolkowski. Das hat auch zur Folge gehabt, dass seine Ideen in Westeuropa nicht zur Wirkung gekommen sind."

Geschweige denn in den Vereinigten Staaten. Dort zündete Robert Hutchings Goddard, Professor für Mathematik und Physik, 1926 die erste Rakete überhaupt – es war aus heutiger Sicht nicht mehr als eine bessere Spielzeugrakete. Sie stürzte nach wenigen Sekunden ab und explodierte am Boden. Trotzdem ist das Datum in die Raketengeschichte eingegangen, weil Goddard eben überhaupt den allerersten Startversuch mit einer Flüssigtreibstoff-Rakete unternommen hatte. Simple Pulverraketen waren schon Jahrhunderte vorher in China und Siebenbürgen durch die Luft geheult.

Russland stand trotz Ziolkowski bei den frühen Experimenten also allenfalls dicht hinter der ersten Reihe. 1931 startete der Deutsche Johannes Winkler in Dessau die erste europäische Flüssigkeitsrakete, in der Sowjetunion war es erst 1933 soweit. Da lebte der inzwischen in der Sowjetunion berühmt gewordene Raumfahrtpionier noch zwei Jahre. Ziolkowski starb am 19. September 1935.

Fast genau einen Monat zuvor stieg in Nachabino bei Moskau die sogenannte GIRD-09 in den Himmel. Ob Ziolkowski das noch erfahren hat, ist leider nicht überliefert. Abgefeuert wurde die GIRD-09 von der "Gruppe zur Erforschung reaktiver Antriebe", kurz GIRD, die 1924 entstanden war. Sie stand 1935 unter der Leitung ihres Chefingenieurs Sergei Koroljow, der später die berühmte Interkontinentalrakete R-7 entwickelte.

Diesen ersten Raketenversuchen sah das Militär von Anfang an interessiert zu. Anatoly Zak hat sich mit der Geschichte der russischen Raumfahrt beschäftigt. Er ist Fachjournalist, stammt aus Moskau und emigrierte 1993 nach New York. Heute arbeitet er als Redakteur in New Jersey, unterhält aber über die russische Raumfahrt eine sehr kenntnisreiche Website:

"In den dreißiger Jahren, als die Sowjetregierung begann, die Modernisierung der Roten Armee und deren Waffentechnik zu finanzieren, da baute sie eine Organisation auf, die OSSOAWIACHIM, die Strömungstriebwerke untersuchte; und die entwickelte auch die ersten Raketen, testete sie und lieferte so die Vorarbeiten für ein russisches Raketenprogramm."

Die OSSOAWIACHIM, eine Massenorganisation zur Förderung der sowjetischen Luftwaffe, in die auch die GIRD mit ihren Raketenversuchen eingegangen war, die OSSOAWIACHIM also lieferte die Prototypen für die gefürchteten Katjuscha-Werfer, die im Zweiten Weltkrieg als Stalinorgeln einen Namen bekamen. Daran hatte Konstantin Ziolkowski mit seinen Visionen allerdings nicht gedacht.

Nach der Kapitulation des Dritten Reiches befassten sich die Alliierten mit dem Erbe des nationalsozialistischen Raketenprogramms. Die US-Armee schickte Wernher von Braun mit einer Gruppe deutscher Raketenspezialisten in die USA. Eine andere Gruppe wurde von der Roten Armee in die Sowjetunion gebracht. Doch eine große Rolle scheint sie dort in den folgenden Jahren bei der Entwicklung großer Interkontinentalraketen nicht gespielt zu haben:

Dieter B. Herrmann: "Man wollte schon, dass die großen zentralen Aufgaben voll in sowjetischen Händen blieben und sich die Informationen an die deutschen Mitarbeiter möglichst in Grenzen hielten. Man hat sie schon vollständig abgeschöpft, aber die Entwicklung war eine eigenständige wie auch die Namen sagen, die mit den sowjetischen Raketenentwicklungen verbunden sind."

Herrmann spielt hier auf Sergei Koroljow an, der in der Sowjetunion als Schlüsselfigur der Raumfahrt gilt. Zunächst dachte nach dem Krieg dort noch niemand an die Eroberung des Weltalls. Vielmehr wollten die Sowjets in der strategischen Rüstung mit den USA gleichziehen. Eugen Reichl ist in der Auslandsabteilung des europäischen Rüstungs- und Raumfahrtkonzern EADS tätig:

"Die hatten nach dem 2. Weltkrieg keine strategische Flugzeugflotte zur Verfügung, mit denen sie große Mengen Waffen über große Entfernungen hätten bringen können. So eine aufzubauen, tausend Flugzeuge und mehr, was die Amerikaner hatten mit ihrer strategischen Bomberflotte, hätte enorme Ressourcen verschlungen. Deswegen hatten die von Anfang an überlegt: Was gibt es sonst für Möglichkeiten? Und sind, inspiriert durch die deutschen Waffenerfolge mit der V2, auf die Idee gekommen: Das entwickeln wir weiter, da ist schon was da, und haben das auch konsequent gemacht, was die Amerikaner zunächst einfach liegen gelassen haben."

Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Die Sowjets zündeten 1949, vier Jahre nach den USA, in Semipalatinsk ihre erste Atombombe und suchten nun nach einem großen Trägersystem, um ihrerseits auch die USA damit ernsthaft bedrohen zu können. Da entsann man sich eines Mannes, der schon in den dreißiger Jahren an Raketen gearbeitet hatte, dann aber durch eine Intrige während der Stalinschen Säuberungsaktionen 1938 verhaftet und ins Arbeitslager gesteckt worden war: Sergei Koroljow. 1944 wurde er begnadigt und nach dem Weltkrieg zum Chefkonstrukteur des sowjetischen Raketenprogramms ernannt, das damals zunächst rein militärisch orientiert war - eine Aufgabe, die zur größten technologischen Herausforderung wurde, die Russland bis dahin erlebt hatte.

Anatoly Zak: "Die meisten Historiker sind überzeugt, dass Koroljows Einfluss enorm gewesen ist. Er wird meist als der `Vater der sowjetischen Raumfahrt´ betrachtet. Seine Fähigkeit, die richtigen Leute auszusuchen und auf die beste Technik zu setzen, das war entscheidend für die raschen frühen Fortschritte in der russischen Raumfahrt."

Das russische Raketen- und Raumfahrtprogramm war in den ersten Jahren in der Welt unübertroffen.

Anatoly Zak: "Das geht zunächst auf den Genius von Koroljow zurück, aber auch auf den Nachdruck, mit dem die Sowjets die Raketentechnik vorangetrieben haben, und auf die Summen, die sie investiert haben. So erreichte die Sowjetunion einen großen Vorsprung gegenüber den USA bei den großen und starken Raketen. Für die USA war es schwierig, in dieser frühen Zeit so viel für die Raumfahrt zu tun. Nicht, weil die USA das nicht gekonnt hätten, sie waren einfach nicht darauf vorbereitet in dieser Zeit. Sie investierten lieber in ihre Langstreckenbomber, und so hatte die Sowjetunion bei der Raketenentwicklung die Nase vorn."

Auch deswegen, weil die Sowjets eine zentrale Abteilung für Raketen und Raumfahrt hatten. In den USA hingegen kümmerten sich Marine, Heer und Luftwaffe gleichzeitig um die Entwicklung großer Raketen, aber eben nicht mit großem Nachdruck und ohne sich gegenseitig auszutauschen, geschweige denn zu koordinieren. Wernher von Braun arbeitete in Huntsville/Alabama zwar mit einer großen Gruppe an der Verbesserung der V2-Rakete, aber ohne dass die Armee dem zunächst eine besondere militärische Bedeutung beigemessen hätte. Das änderte sich erst nach dem so genannten Sputnik-Schock 1957. Nun sollte von Braun eilig eine große Interkontinentalrakete, die Saturn bauen. Mit zu diesem Zweck wurde auch die amerikanische Raumfahrtagentur NASA gegründet.

Zu dieser Zeit hatte Sergei Koroljow den ersten Einsatz seiner Rakete R-7 bereits hinter sich. Diese 34 Meter hohe, weltweit erste Interkontinentalrakete war im kasachischen Baikonur getestet worden und trug am 4. Oktober 1957 den ersten Sputnik-Satelliten in eine Erdumlaufbahn. Mit gewissen Modifikationen ist die R-7 immer noch im Einsatz – ein in der Geschichte des Raketenbaus unvergleichlicher Erfolg:

Anatoly Zak: "Dafür gibt es verschiedene Gründe. Trotz ihrer Größe und ihres komplizierten Aufbaus ist sie sehr zuverlässig, manche sagen, sie ist überhaupt die zuverlässigste Rakete der Welt. Mit ihr konnte die russische Raumfahrt viele und erfolgreiche Langzeitmissionen auf die Reise schicken. Deshalb haben die Russen im Ganzen mehr Starts gehabt, die fehlerlos über die Bühne gegangen sind. Neben der Zuverlässigkeit ist sie auch stark genug. Selbst in einem frühen Raketenstadium war sie schon stark genug, Satelliten hochzubringen und mit wenigen Nachbesserungen auch Raumschiffe, sodass die Sowjetunion die verschiedensten Missionen mit dieser Rakete fliegen ließ."

Eugen Reichl: "Die R-7 tut Dienst bis auf den heutigen Tag in der Sojus. Es ist erstaunlich, dass sich dieses Prinzip so durchgesetzt hat. Nach über 60 Jahren ist die R-7 in Form der Sojus immer noch im Einsatz. Wenn man sich die Raketen von damals anschaut und sich die neueste Variante Sojus 2.1 ansieht, erkennt man auf den ersten Blick: die haben eine gemeinsame Basis, diese beiden Raketen. Es ist doch genau das Prinzip, das sich Koroljow Anfang der fünfziger Jahre ausgedacht hat, ist noch heute im Einsatz und sie ist nach wie vor die am meisten verwendete Trägerrakete der Welt."

1953 hatte Sergej Koroljow im Experimental-Konstruktionsbüro OKB-1 den Auftrag erhalten, eine zweistufige Rakete zu entwickeln, die einen Atomsprengkopf mit drei Tonnen Gewicht 8000 Kilometer weit tragen konnte. Die Idee der Zweistufigkeit ging auf Ziolkowski zurück, denn 8000 Kilometer sind in einem ballistischen Flug nur jenseits der Erdatmosphäre zu überwinden. Auch die Idee, mehrere Triebwerke zu bündeln und gleichzeitig zu zünden, stammt von dem russischen Raumfahrtpionier.

Charakteristisch ist, dass die seitlichen Booster nicht senkrecht stehen, sondern schräg ans zentrale Triebwerk angesetzt sind, sodass die Rakete wie von Rockschößen umgeben ist. Das sollte verhindern, dass sie bei heftigen Windstößen in der kasachischen Steppe von Baikonur umgefegt wird. Beim Start drücken die Booster auseinander und stabilisieren so den Start.

Wjatscheslaw Finajew: "Man muss sich immer vor Augen halten: am 4.Oktober 1957 hat die die Erforschung des Weltalls begonnen. Mit dem Start des ersten künstlichen Satelliten."

Dieter B. Herrmann: "Die Aufgabe dieses ersten Satelliten bestand in einer Demonstration: Wir können das, und der Sputnik hat dann auch nicht mehr geleistet von seiner technischen Ausstattung her als seine Piepssignale abzugeben, die überall auf der Welt empfangen werden konnten. Das tat er 96 Tage lang und ist dann verglüht in der Erdatmosphäre."

Nur 60 Zentimeter hatte er im Durchmesser, dafür wog er aber stattliche 83 Kilo. Die Weltöffentlichkeit staunte. Ab sofort stand der Himmel offen. Die erste Etappe des Wettlaufs ins All war an die Sowjets gegangen.

1955 noch hatten die USA versprochen, zum Internationalen Geophysikalischen Jahr 1957/58 einen künstlichen Erdsatelliten in den Orbit zu schicken. Vier Tage später zog die UdSSR nach. Die Amerikaner waren überzeugt, die Russen würden es nicht vor 1958 schaffen, wenn überhaupt. Die Sowjetunion hatte sich, wie Wjatscheslaw Finajew von Roskosmos erzählt, dabei einiges vorgenommen:

"Der Satellit, er hieß intern PS 1, war nicht der erste. Geplant war ursprünglich, eine Sonde D zu starten mit einer sehr umfangreichen wissenschaftlichen Nutzlast. Aber wir waren ja unter Druck und hatten Angst, die USA würden uns im Weltraum zuvorkommen. Deswegen schlug Koroljow vor, ein vereinfachtes Gerät in den Weltraum zu schießen, das sog. PS 1. Man nannte es dann liebevoll "Kügelchen", weil es kreisrund war genau so wie die Erde."

Das durften sich die US-Raumfahrtexperten fast vier Monate lang grimmig ansehen, ehe sie selbst ihren ersten Satelliten "Explorer" ins All brachten. Drei Jahre später gelang der sowjetischen Raumfahrt eine weitere Premiere, auf die niemand gefasst gewesen war: Am 12. April 1961 umkreiste der 27-Jährige Offizier Juri Gagarin in der Raumkapsel "Wostok 1" als erster Mensch einmal die Erde. Aus der Raumkapsel meldete er:

"Ich fühle mich wohl, ich beobachte die Erde, die Sicht ist gut, und das Raumschiff funktioniert einwandfrei."
Meldung Moskauer Rundfunk: "Nach den erfolgreichen Vorbereitungen und dem gelungenen Flug ist das sowjetische Raumschiff Wostok um 10.55 h Moskauer Zeit an der vorgesehenen Landestelle in der Sowjetunion niedergegangen."

Was Juri Gagarin zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit am eigenen Leib erlebt hatte, war bereits in den Schriften Konstantin Ziolkowskis Jahrzehnte zuvor zu lesen:

"Die Schwere hat nicht nur nachgelassen, sie ist spurlos verschwunden. Alle Gegenstände, die nicht in der Rakete befestigt sind, verlassen ihren Platz und schweben in der Luft. Auch wir selbst berühren den Boden nicht und nehmen eine beliebige Lage und Richtung ein: stehen auf dem Boden und auch auf der Decke und auf den Wänden, stehen senkrecht und schräg, schwimmen in der Mitte der Rakete wie Fische, aber ohne Kraftaufwand."

Nach 108 Minuten landete Gagarin wieder, aber nicht in seiner Kapsel, sondern separat am Fallschirm.

Über Nacht war der erste Mensch im All Juri Gagarin weltweit ein Star. Dass nur drei Wochen nach Gagarin der amerikanische Astronaut Alan Shepard in einer Mercury-Raumkapsel einen fünfminütigen ballistischen Raumflug unternahm, ging dabei nahezu unter. Weltweit wurde der russische Kosmonaut herumgereicht. So trat er zum Beispiel bei den Weltjugendspielen in Helsinki vor großem Publikum auf. Das war 1962 und Gagarin war nicht mehr der einzige Kosmonaut:

"Bald feiern wir den ersten Jahrestag unseres Kosmonauten German Titow. Jetzt bereiten sich unsere künftigen Kosmonauten auf neue Flüge vor; die werden noch weiter reichen und länger dauern als der Flug von German Titow und mir. In Völker verbindender Freundschaft wollen wir Kosmonauten aus anderen Ländern einladen mit zu fliegen, denn wir möchten mit ihnen nicht nur die Erde teilen, sondern auch den Weltraum."

Das war ein weitsichtiges Versprechen, denn in den Jahrzehnten darauf trafen auf den sowjetischen Raumstationen Saljut und MIR tatsächlich Raumfahrer aus vielen östlichen und westlichen Staaten ein.

1966 gelang den Sowjets nach vielen desaströsen Versuchen auch die erste unbemannte Landung auf dem Mond. Zwei Jahre darauf lassen die USA 1968 eine bemannte Apollo-Mission den Mond umrunden. Und 1969 betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mondboden.

Da war die Sowjetunion das erste Mal ins Hintertreffen geraten. Zu lange, zu oft hatte sie versucht, endlich eine Sonde auf dem Mond niedergehen zu lassen. Zurückgeworfen war sie auch dadurch, dass der erste Raumflug mit der neuen Raumkapsel Sojus katastrophal geendet hatte: die Bremsfallschirme waren ineinander verwickelt. Die Kapsel stürzte vor der Landung wie ein Stein zur Erde, Kosmonaut Wladimir Komarow kam dabei ums Leben.

Vier Jahre später, 1971, überraschte die Sowjetunion hingegen wieder mit der ersten Raumstation Saljut 1. Die NASA konnte ihre erste Raumstation "Skylab" hingegen erst zwei Jahre später ins All bringen.

1978 wurde auch die DDR Raumfahrernation. Im Sommer jenes Jahres flog der erste Deutsche zur russischen Station. Es war der gelernte Buchdrucker Sigmund Jähn.

Sigmund Jähn: "Die Russen hatten Erfolg mit ihren Stationen, sie konnten solche Arbeitsplätze und -pakete anbieten. Dann kam Frankreich, dann kam Indien, dann kam Syrien, also auch Länder, die nicht zu dem Interkosmos-Programm gehörten: Die haben bezahlt, die haben eigenen Flüge gemacht, Jean Lou Gredian war der erste Franzose, der da geflogen ist und als wir dann den zweiten Flug machen wollten, wurde uns gesagt:´Geld auf den Tisch!´ Und da waren wir schon zu knapp bei Kasse."

2001 versinkt die russische Raumstation MIR 15 Jahre nach ihrem Start ins Weltall mit einem kontrollierten Absturz im Pazifik. Mit ihr geht die glorreiche Geschichte der russisch-sowjetischen Raumfahrt zu Ende. Es war auch eine verlustreiche gewesen.

1961 verbrennt Kosmonaut Walentin Bondarenko während eines mehrtägigen Trainings in einer mit reinem Sauerstoff gefüllten Isolationszelle. 1967 stirbt Wladimir Komarow bei der ungebremsten Landung von Sojus 1. 1971 ersticken die drei Kosmonauten Georgi Dobrovolksi, Viktor Patsayev und Vladislav Volokov bei der Rückkehr zur Erde in der Kapsel Sojus 11. Über die Jahre hinweg kommen an die 200 Soldaten und Raketentechniker beim Start verschiedener Raketen ums Leben.

Als ab 1991 das alte Sowjetreich zerfällt und Russland arm wird, verliert auch die russische Raumfahrt an Glanz und staatlicher Unterstützung. Aus einem Pionier wird ein Dienstleister. Russland beteiligt sich aber bei Aufbau und Unterhalt der neuen Internationalen Raumstation ISS, die ab 1998 in 400 Kilometern über der Erde installiert wird.

Seit kurzem indes fließt aus den Gas- und Ölexporten viel Geld ins Land, und der Kreml denkt daran, mit der Raumfahrt an alte Zeiten anzuknüpfen.

Amerika zieht sich in drei Jahren von der Internationalen Raumstation zurück, die seit fast zehn Jahren um die Erde kreist. Europa will jedoch darüber hinaus dort vertreten sein, aber Russland denkt weiter, sagt Roskomos-Vertreter Finajew:

"Die Internationale Raumstation ISS soll bis 2018 besetzt sein. Russland ist dafür, die Lebensdauer zu verlängern. Danach will Russland allerdings eine eigene Raumstation ins All bringen. Wir laden andere Länder ein, sich daran zu beteiligen."

Eugen Reichl: "Hier ist bei der russischen Raumfahrt eine enorme Aufwärtsbewegung drin. Da ist auch dieser Nationalstolz dabei, dieses Wissen: Wir waren früher die besten und können das wieder sein. Ich denke, das wird von breiten Kreisen der Bevölkerung mitgetragen und dadurch, dass dieses Land jetzt immer reicher wird, auch ein Wirtschaftsboom herrscht, wird das auch finanzierbar sein auf die lange Frist und deswegen, denke ich, man kann noch viel erwarten in der interplanetaren Raumfahrt, bei Mondflügen und auch in der Erdumlaufbahn. Die Russen werden sicher ganz, ganz vorne mit dabei sein."

Beim Flug in fernere Weiten verliert die Raketengrundgleichung des russischen Raumfahrt-Vordenkers ihre Gültigkeit. Doch Ziolkowski hat auch daran bereits gedacht und von radioaktiv befeuerten Antrieben geschrieben.

Doch was immer die Raumfahrt in den kommenden Jahrzehnten an neuen Erkenntnissen über das Sonnensystem gewinnen wird, Konstantin Ziolkowski mahnt zur Bescheidenheit:

All unser Wissen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist ein Nichts im Vergleich zu dem, was wir niemals wissen werden.
Die Erde
Die Erde© Esa
Nachbau einer "V2"-Rakete auf dem Gelände des "Historisch-technischen Informationszentrums" in Peenemünde auf der Insel Usedom
Nachbau einer "V2"-Rakete auf dem Gelände des "Historisch-technischen Informationszentrums" in Peenemünde auf der Insel Usedom© AP Archiv
Skylab, das erste amerikanische Weltraumlabor
Skylab, das erste amerikanische Weltraumlabor© AP Archiv