Pionierin der Kurzgeschichte
Die britische Schriftstellerin Katherine Mansfield hat die Tradition der modernen short story mitbegründet. Jetzt hat der Haffmans Verlag unter dem Titel "Sämtliche Werke" ein rund 1000-seitiges Buch mit 89 veröffentlichten oder unvollendeten Kurzgeschichten vorgelegt.
Katherine Mansfield gilt weit über die angelsächsische Literatur hinaus als die Pionierin der Short Story. In Deutschland haftet ihr etwas seltsam Biederes an. Kurzgeschichten haben hier keinen guten Boden. Sie sind schultauglich, weil schön kurz, aber als literarische Gattung kaum geachtet. Vielleicht erklärt sich so, dass ihr Werk, das ebenso schmal ist wie seine Schöpferin war, auf Deutsch ein ähnlich unbehaustes Leben führen musste wie sie. Zahllose Verlage und zahllose Übersetzer.
Der Haffmans Verlag bei Zweitausendeins hat ihr jetzt eine Heimat verschafft und 74 veröffentlichte sowie 15 unvollendete Short Stories herausgebracht: neu übersetzt, ohne frühere Kürzungen "aus sittlichen Gründen", mit dezenten Anmerkungen. Gut 1000 Dünndruckseiten, fadengeheftet, gebunden, in jedem Sinn nachhaltig. Das ist gut so, weil Katherine Mansfields Prosa süchtig macht.
Die Stories - ob sechs oder sechzig Seiten lang - sind aufregend modern, thematisch wie stilistisch. Verhandelt wird alles, auch Tabuisiertes. Erotische Regungen, künstlerische Ambitionen, Kino-Träume, die jäh zerstäuben. Ausgelaugte Ehen, in denen auch Gewalt herrscht. Konventionen, mit scharfem Blick und Witz, aber nie von oben herab beobachtet.
In "Die moderne Seele" singt eine "Frau Oberlehrer mit einer Stimme, die aus einem verlorenen Fingerhut zu kommen schien". Ein Kellner in "Je ne parle pas français", steht rituell herum, als ob er wartet, "im Zusammenhang mit einer abscheulichen Mordtat photographiert zu werden". Die arme "Miss Brill" muss Spott über ihren Sonntagspelz hören: Der sehe aus "wie ein gebackener Karpfen." Die gedankenlose Grausamkeit der sich gerade sexuell entfaltenden Mädchenblüte gegenüber altjüngferlicher Einsamkeit, eingefangen in zehn Zeilen Dialog.
Nichts und niemand wird klassisch ein- und ausgeführt. Später, im New York der 20er-Jahre, wird dieser Stil als slice of life berühmt. Momentaufnahmen, wie mit dem Seziermesser herausgeschnittene Stückchen Leben. Katherine Mansfield erlaubt sich noch andere Regelbrüche, redet mittendrin den Leser an oder fügt Szenenanweisungen ein. Manche Stories sind fast Theater- und Filmvorlagen. Und alle haben einen irritierenden Effekt. Man meint, die vielen Figuren bald nach dem Lesen vergessen zu haben, und merkt plötzlich später, dass sie sich irgendwo tief innen festgesetzt haben - als Bilder, als Gefühl.
Katherine Mansfield lässt 1908 mit 20 Jahren ihre neuseeländische Heimat hinter sich. Sie geht nach London, um Schriftstellerin zu werden. Ironischerweise fängt sie just in Deutschland damit an. Vom falschen Mann schwanger, dem nächsten falschen nach der Hochzeitsnacht davongelaufen, von der Mutter enterbt wegen "lesbischer Neigungen", quartiert sie sich 1909 in Bad Wörishofen ein. Auf dem Meldezettel erklärt sie sich kühn zu: "Käthe Beauchamp-Bowden, Schriftstellerin". Und wird es. Die ersten Short Stories erscheinen in einer englischen Wochenzeitung, 1911 entsteht daraus ihr erstes Buch "In einer deutschen Pension". Im selben Jahr bricht, unentdeckt, ihre Tuberkulose aus. Als sie 1923 bei Paris stirbt, hat sie eine zehnjährige Odyssee durch Südfrankreich, Italien, die Schweiz hinter sich und neben dem schmalen Werk ein Vielfaches an Brief- und Tagebuchseiten geschrieben.
Bieder ist nichts an ihr. Ihre verwegene Selbsterfindung vor dem Ersten Weltkrieg wurde danach zur Sache einer Generation. Die Radikalität ihrer Prosa, bewundert von Hemingway und Isherwood, beneidet von Virginia Woolf, fasst Dorothy Parker zusammen: "Sie trachtete mit grimmiger Knappheit nach der Kristallklarheit, der strengen, hellen Reinheit, aus der die Wahrheit strömt."
Besprochen von Pieke Biermann
Katherine Mansfield: Sämtliche Werke
Aus dem Englischen neu übersetzt von Heiko Arntz, Susanne Haffmans und Sabine Lohmann
Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Heiko Arntz
Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2009
1049 Seiten, 29,90 Euro
Der Haffmans Verlag bei Zweitausendeins hat ihr jetzt eine Heimat verschafft und 74 veröffentlichte sowie 15 unvollendete Short Stories herausgebracht: neu übersetzt, ohne frühere Kürzungen "aus sittlichen Gründen", mit dezenten Anmerkungen. Gut 1000 Dünndruckseiten, fadengeheftet, gebunden, in jedem Sinn nachhaltig. Das ist gut so, weil Katherine Mansfields Prosa süchtig macht.
Die Stories - ob sechs oder sechzig Seiten lang - sind aufregend modern, thematisch wie stilistisch. Verhandelt wird alles, auch Tabuisiertes. Erotische Regungen, künstlerische Ambitionen, Kino-Träume, die jäh zerstäuben. Ausgelaugte Ehen, in denen auch Gewalt herrscht. Konventionen, mit scharfem Blick und Witz, aber nie von oben herab beobachtet.
In "Die moderne Seele" singt eine "Frau Oberlehrer mit einer Stimme, die aus einem verlorenen Fingerhut zu kommen schien". Ein Kellner in "Je ne parle pas français", steht rituell herum, als ob er wartet, "im Zusammenhang mit einer abscheulichen Mordtat photographiert zu werden". Die arme "Miss Brill" muss Spott über ihren Sonntagspelz hören: Der sehe aus "wie ein gebackener Karpfen." Die gedankenlose Grausamkeit der sich gerade sexuell entfaltenden Mädchenblüte gegenüber altjüngferlicher Einsamkeit, eingefangen in zehn Zeilen Dialog.
Nichts und niemand wird klassisch ein- und ausgeführt. Später, im New York der 20er-Jahre, wird dieser Stil als slice of life berühmt. Momentaufnahmen, wie mit dem Seziermesser herausgeschnittene Stückchen Leben. Katherine Mansfield erlaubt sich noch andere Regelbrüche, redet mittendrin den Leser an oder fügt Szenenanweisungen ein. Manche Stories sind fast Theater- und Filmvorlagen. Und alle haben einen irritierenden Effekt. Man meint, die vielen Figuren bald nach dem Lesen vergessen zu haben, und merkt plötzlich später, dass sie sich irgendwo tief innen festgesetzt haben - als Bilder, als Gefühl.
Katherine Mansfield lässt 1908 mit 20 Jahren ihre neuseeländische Heimat hinter sich. Sie geht nach London, um Schriftstellerin zu werden. Ironischerweise fängt sie just in Deutschland damit an. Vom falschen Mann schwanger, dem nächsten falschen nach der Hochzeitsnacht davongelaufen, von der Mutter enterbt wegen "lesbischer Neigungen", quartiert sie sich 1909 in Bad Wörishofen ein. Auf dem Meldezettel erklärt sie sich kühn zu: "Käthe Beauchamp-Bowden, Schriftstellerin". Und wird es. Die ersten Short Stories erscheinen in einer englischen Wochenzeitung, 1911 entsteht daraus ihr erstes Buch "In einer deutschen Pension". Im selben Jahr bricht, unentdeckt, ihre Tuberkulose aus. Als sie 1923 bei Paris stirbt, hat sie eine zehnjährige Odyssee durch Südfrankreich, Italien, die Schweiz hinter sich und neben dem schmalen Werk ein Vielfaches an Brief- und Tagebuchseiten geschrieben.
Bieder ist nichts an ihr. Ihre verwegene Selbsterfindung vor dem Ersten Weltkrieg wurde danach zur Sache einer Generation. Die Radikalität ihrer Prosa, bewundert von Hemingway und Isherwood, beneidet von Virginia Woolf, fasst Dorothy Parker zusammen: "Sie trachtete mit grimmiger Knappheit nach der Kristallklarheit, der strengen, hellen Reinheit, aus der die Wahrheit strömt."
Besprochen von Pieke Biermann
Katherine Mansfield: Sämtliche Werke
Aus dem Englischen neu übersetzt von Heiko Arntz, Susanne Haffmans und Sabine Lohmann
Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Heiko Arntz
Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2009
1049 Seiten, 29,90 Euro