Piraten: Wir wollen Ängste der Urheber abbauen
Die Piraten wehren sich gegen den Vorwurf, die Partei wolle das Urheberrecht abschaffen. Der Urheberrechtsbeauftragte der Partei, Bruno Kramm, betont, es müssten neue Wege der Vergütung gefunden werden. Statt Fronten aufzubauen, müsse man ins Gespräch kommen.
Katrin Heise: Durch den gestrigen Wahlerfolg der Piraten in Nordrhein-Westfalen und damit jetzt im vierten Landesparlament bekommt eines ihrer Kernthemen, die Urheberrechtsdebatte, erneut Gewicht, könnte man sagen.
Mitte vergangener Woche hatte das Thema sowieso an Fahrt gewonnen durch den Aufruf gegen den Diebstahl geistigen Eigentums "Wir sind Urheber" von Schriftstellern. Die "FAZ" spricht inzwischen von 6000 Kulturschaffenden, die da unterzeichnet haben. Der Gegenentwurf "Wir sind Bürger" fand bisher auch schon 4500 Unterschriften. Ich begrüße jetzt den Urheberrechtsbeauftragten der Piratenpartei, Bruno Kramm, selber auch Musiker und Musikproduzent. Guten Tag, Herr Kramm!
Bruno Kramm: Ja, guten Tag!
Heise: Ich habe, ehrlich gesagt, immer noch nicht so richtig verstanden, was die Piraten genau wollen. Wenn gesagt wird: "Die Piraten wollen das Urheberrecht abschaffen!", dann rufen Sie: "Nein, nein, nicht abschaffen, sondern reformieren!" Gleichzeitig soll aber doch von jedem Internetbenutzer zu nicht-kommerziellen Zwecken alles heruntergeladen werden können ohne Bezahlung. Wie passen diese beiden Positionen zusammen?
Kramm: Diese Positionen passen gut zusammen. Also, die Problematik, dass es immer heißt, dass wir das Urheberrecht abschaffen wollen, liegt ja auch vor allem daran, dass eben so polemische Aufrufe wie von "Wir sind Urheber" gestartet werden, die wenig auf die Ideen eingehen, die unsere Urheberrechtsreform wirklich beinhaltet. Und da ist einer von vielen Punkten: die Einführung einer neuen Schranke des Urheberrechts. Schranken des Urheberrechts wurden schon immer eingeführt, genauso zur Zeit, als der Rundfunk eingeführt wurde, genauso zu Zeiten von Möglichkeiten wie der Musikkassette. Also die Schranken des Urheberrechts waren schon immer ein Prinzip des Urheberrechts. Und genau das wollen wir einführen.
Heise: Und wie sollen diese Schranken dann aussehen?
Kramm: Diese Schranke bedeutet, dass das nicht-kommerzielle Filesharing, Weitergeben und Kopieren von Inhalten legal ist.
Heise: Das, was ich gerade gesagt habe. Aber stehen sich denn da nicht Urheberrechte und Nutzerrechte gegenüber? Und wenn die beide in vollem Umfang geschützt werden sollen – das geht doch gar nicht. Da müssen Sie konkreter werden.
Kramm: Das ist doch genau die Problematik: Wenn wir wirklich durchsetzen wollen, dass punktgenau jeder Titel, der im Internet kopiert wird, dass der dann entsprechend verrechnet wird, dann kommen wir in einen Bereich, wo wir letztendlich eine Totalkontrolle des Internets brauchen. Und das ist genau das, was wir allesamt nicht haben wollen. Und auch vor allem Urheber wollen nicht, dass das Netz totalitär, komplett überwacht wird. Und das ist genau der Punkt, wo klar ist, wir müssen darüber nachdenken, dass im Internet andere Systeme wirken müssen.
Wir können nicht mehr direkt an der Quelle honorieren, sondern wir müssen im Internet ganz neue Modelle finden, die dann auch sehr klick-basiert ablaufen. Und es gibt auch genügend Studien, die gerade zeigen, dass dieses klassische Filesharing, dass da die Verluste eigentlich gar nicht so groß sind. Gerade jetzt kam in der Amsterdam University Press eine neue Studie heraus von Aigrain, das ist einer der Macher von der französischen Bürgerrechtsseite "La Quadrature du Net", die zeigt, dass der Schaden des Filesharings gar nicht so groß ist. Und da merkt man auch ganz, ganz schnell, dass die Industrie schon sehr einseitig polemisiert und auch mit einseitigen Statistiken arbeitet.
Heise: Aber da polemisiert ja nicht nur die Industrie, wie Sie sie nennen, sondern sie sind inzwischen 6000 Künstler, die dagegen sprechen, und die durchaus auch aus ihren eigenen Erfahrungen sprechen und sagen: "Wenn bestimmte Bücher, also meine Bücher, nur noch per Filestreaming heruntergeladen werden, dann werden die nicht mehr gekauft." Sie behaupten das Gegenteil. Ich hab das Gefühl, da steht einfach Behauptung gegen Behauptung.
Kramm: Die Problematik ist natürlich, dass sich die meisten Urheber mit den wirklichen Dingen, wie der Markt funktioniert, ganz wenig auseinandersetzen. Das haben ja auch letztendlich gerade die Unterzeichner dieses Aufrufs gesagt, dass sie ihren Verwertern vollkommen vertrauen und sich vor allem um ihre Kunst kümmern und deswegen die Strukturen gar nicht so genau kennen, die dahinterstehen. Und das ist genau das Dilemma, dass natürlich die Information, die dann viele Urheber bekommen, sehr gezielt, gerade von ihren Verwertern kommen und ...
Heise: Das ist aber interessant, wie Sie das ausdrücken. Sie sagen, sie glauben und vertrauen den Verwertern. Ich hatte eher den Eindruck, dass dieses Vertrauen tatsächlich auch auf Erfahrung basiert. Nämlich auf einer Arbeitsteilung, die tatsächlich wunderbar funktioniert aus Sicht der Künstler.
Kramm: Das stimmt nicht, dass die wunderbar funktioniert hat.
Heise: Aus Sicht der Künstler. Ich spreche ja jetzt nicht von Ihrer oder meiner Erfahrung.
Kramm: Nein. Das ist nicht wahr. Das ist nicht wahr. Das betrifft nur wenige Künstler und entsprechend, so schaut es beim Aufruf aus: Es gibt Künstler natürlich - es sind die etablierten, großen Künstler in unserer Kulturindustrie, die können wunderbar von diesem System leben. Und Etablierte eines Systems sind auch selten die, die es vernünftig reformieren können.
Aber sind wir doch mal ehrlich: Der Großteil der Künstler lebt im Prekariat unter teilweise wirklich schrecklichen Bedingungen. Die haben nichts damit zu tun, und dass sich jetzt die Bedingungen so geändert haben. Die haben schon zu allen Zeiten unter schlimmen Bedingungen gelebt, weil die Industrie letztendlich immer die Bedingungen auch diktiert hat. Also, insofern muss man da schon sehr, sehr genau unterscheiden. Nun kommt dazu, dass wir im Internet natürlich auch noch diesen neuen Markt, der sich "Long Tail" bezeichnet, haben. Es gibt eine extreme Diversifizierung, Ausbreitung von unglaublich vielen neuen Stilistiken. Und mittlerweile - in Statistiken und Studien - hat sich herausgestellt, dass dieser Bereich der vielen kleinteiligen Urheber mittlerweile den größten Anteil ausmacht. Die aber am wenigsten repräsentiert werden durch die aktuellen Systeme.
Heise: Bruno Kramm, bei der Piratenpartei auf das Thema Urheberrecht spezialisiert. Herr Kramm, wenn die Nutzer entkriminalisiert werden sollen, es soll nicht derjenige, der sich Filme aus dem Netz lädt, von spezialisierten Anwaltskanzleien mit Geldforderungen überzogen werden. Da stimmen Sie ja vollkommen überein eben auch mit den Künstlern. Wenn das im Vordergrund steht, dann wäre doch zum Beispiel an Bezahlsystemen zu arbeiten oder eine Kulturflatrate wäre denkbar. Bisher wehren Sie sich aber. Beispielsweise die Kulturflatrate kommt bei Ihnen nicht vor.
Kramm: Moment, also, wir sind natürlich für Bezahlsysteme. Wir wehren uns komplett gegen jede Form von Filehosting, wo Leute kommerziell dran verdienen und Urheber in keiner Form beteiligen. Wir müssen über Beteiligungsmodelle nachdenken, auch gerade bei diversen Systemen, egal ob das Youtube und ähnliche, ja, Systeme sind, die einfach letztendlich an urheberrechtlich geschützten Werken verdienen.
Was jetzt Pauschalabgaben betrifft: Wir sträuben uns nicht dagegen, wir diskutieren darüber auch. Wir wollen nur nicht die Form von Kulturflatrate einführen, die häufig diskutiert wird, weil die nämlich wiederum total anfällig ist: einmal für Missbrauch – das fängt damit an, dass die in der Form, in der sie vorgeschlagen ist, am ISP, also beim Provider, genau zählt, was an Werken durchfließt. Das ist hoch anfällig, A, einmal für Missbrauch, und B, natürlich muss dann der Provider an der Stelle wieder genau messen, was jeder User letztendlich konsumiert. Das ist wieder eine Überwachung und ein übermäßiger Eingriff in den Datenschutz, in die Privatsphäre.
Und wir haben da ganz andere Modelle, worüber wir diskutieren. Zum Beispiel hat der Chaos Computer Club ein sehr interessantes Modell, die Kulturwertmark eingeführt, die eben genau das unterbindet, und da denken wir natürlich nach über Pauschalabgaben. Und ich hab Ihnen ja auch heute schon einen Literaturtipp gegeben: Dieses neue Buch von Aigrain im University Press, Amsterdam University Press, namens "Sharing" kam raus. Und da ist zum Beispiel genau so ein Betrag mal errechnet worden. Genau das, worüber ja immer hin und her laviert wird: Wie groß wäre denn so ein Betrag? - Und wir denken wirklich sehr konkret genau darüber nach.
Genauso, wie wir auch darüber nachdenken, endlich das Urhebervertragsrecht zu reformieren und dann auch das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, worunter viele leiden gerade bezogen auf die GEMA, die nämlich einfach nicht punktgenau und vor allem auch bezogen auf die heutige Vielzahl von kleinteiligen Urhebern überhaupt keine Modelle anbieten, wie wir es wirklich vernünftig honorieren können.
Heise: Wie weit sind Sie in Ihrer Diskussion eigentlich? Man nimmt da so viele verschiedene Stimmen wahr. Ist es jetzt bereits schon auf der Ebene eines Gesetzentwurfes oder ist es in Ihrem Parteiprogramm fest verankert?
Kramm: Es ist momentan – das ist natürlich, wenn wir uns anschauen gerade den Bereich für Kürzungsschutzfristen. Das sind Dinge, da muss man natürlich auf einer sehr, sehr hochgelegten Ebene arbeiten. Das betrifft ja zum Beispiel einmal das TRIPS-Abkommen. Wir müssten zuerst einmal aus diesem TRIPS-Abkommen in diesem Bereich ausscheren.
Ganz genauso müsste man über die Berner Übereinkunft diskutieren, die noch älter ist und "50 Jahre nach dem Tod" geregelt hat. Insofern können wir jetzt hier keine klaren Gesetze legen, sondern wir müssen zuerst einmal eine Route, eine Marschroute entwickeln, wie wir langfristig genau dort hinkommen. Das ist eigentlich der springende Punkt: Momentan wird Politik gemacht, die vor allem mit dem Ist-Zustand - manchmal sogar mit dem Zustand der Vergangenheit - arbeitet. Wir müssen aber uns daran messen, dass die technischen Entwicklungen so schnell fortschreiten werden, dass wir in zehn Jahren, wenn wir das Urheberrecht nicht reformieren, so unglaublich große Probleme bekommen, wo jeder normale Nutzer letztendlich konsequent sanktioniert wird und immer wieder in Konflikt mit dem herkömmlichen Urheberrecht gerät.
Heise: Also müsste man auf jeden Fall erst einmal in die Diskussion, und zwar die gemeinsame, eintreten, dann dürfte man sich gegenseitig vielleicht auch nicht immer vorwerfen, gesellschaftliche Realitäten nicht wahrzunehmen.
Kramm: Das ist genau der Punkt und Sie sagen es: Es ist wirklich sehr traurig, wenn ich mir anschaue, diese Diskussionen, die gar keine Diskussionen mehr sind, sondern wo nur Fronten aufgebaut werden, wie mit "Wir sind Urheber", auf der anderen Seite "Wir sind Künstler", das ist so eine Art: Jeder steckt sich seinen Button an und dann steht man sich frontmäßig gegenüber, anstelle wirklich zu diskutieren.
Und wir haben eben vorgeschlagen, und das werden wir im Juni machen, das beginnt bei der GEMA. Wir machen runde Tische mit den verschiedenen Gruppen von Urhebern, verschiedene Bereich von Hochkultur, über Popularmusik, über Film, über Autoren. Das ist genau das, wie wir jetzt diesen Dialog fordern wollen und vor allem auch die Ängste bei den Urhebern nehmen wollen. Wir können auch gut verstehen, dass wenn so polemisiert wird und auch vor allem die Medien so polemisieren, dass Piraten nur Gier und Geizkultur fördern, dass wir natürlich viele Urheber, die sich nicht mit dem Internet per se so perfekt auskennen, einfach Angst bekommen. Aber diese Ängste wollen wir abbauen, wir wollen zeigen, was es für neue, großartige Alternativen und Möglichkeiten gerade eben auch für kleinteilige Urheber gibt.
Heise: Da werden Sie sicherlich noch viel Arbeit haben. Denn momentan sind gerade die Unterzeichnenden von "Wir sind Urheber" doch stark verunsichert, denn eine Gruppe von Anonymous hat sie an den digitalen Pranger gestellt und private Daten veröffentlicht. Aber da wird sich ...
Kramm: Unmöglich! Also, das ist auch, was wir natürlich in keiner Form unterstützen. Ich finde das schockierend, wie weit das mittlerweile kommt, dass es dann einzelne Nutzer oder Computerfreaks gibt, die dann anfangen, Privatdaten von Urhebern zu veröffentlichen und die an diesen Pranger zu stellen oder die Seite zu cracken und ähnliches. Das ist doch kein Dialog! Das ist genau, was momentan diese Fronten noch weiter aufbringt. Und genau da müssen wir weg. Das ist aber auch ein bisschen eine Kritik, die sich die Medien anhören müssen: Es wurde lange Zeit immer nur das nachgeplappert, was der Bundesverband der Musikindustrie gesagt hat, und der hat zum Beispiel ziemlich einseitige Lobby-Interessen. Und da wird dann ganz schnell auch in den Medien gesagt: "Na ja, ihr Piraten, ihr wollt doch eh nur alles gratis." Und da ist es kein Wunder, wenn sich dann so Fronten bilden. Also, insofern, wir müssen alle abrücken ...
Heise: Ihre runden Tische – wir warten auf das Ergebnis. Vielen Dank!- Bruno Kramm, bei der Piratenpartei für das Thema Urheberrecht zuständig. Einen schönen Tag wünschen wir noch.
Kramm: Wünsch ich ebenfalls. Tschüß!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
Piraten werten Datenschutz "ganz klar höher als kommerzielle Interessen"
Mitte vergangener Woche hatte das Thema sowieso an Fahrt gewonnen durch den Aufruf gegen den Diebstahl geistigen Eigentums "Wir sind Urheber" von Schriftstellern. Die "FAZ" spricht inzwischen von 6000 Kulturschaffenden, die da unterzeichnet haben. Der Gegenentwurf "Wir sind Bürger" fand bisher auch schon 4500 Unterschriften. Ich begrüße jetzt den Urheberrechtsbeauftragten der Piratenpartei, Bruno Kramm, selber auch Musiker und Musikproduzent. Guten Tag, Herr Kramm!
Bruno Kramm: Ja, guten Tag!
Heise: Ich habe, ehrlich gesagt, immer noch nicht so richtig verstanden, was die Piraten genau wollen. Wenn gesagt wird: "Die Piraten wollen das Urheberrecht abschaffen!", dann rufen Sie: "Nein, nein, nicht abschaffen, sondern reformieren!" Gleichzeitig soll aber doch von jedem Internetbenutzer zu nicht-kommerziellen Zwecken alles heruntergeladen werden können ohne Bezahlung. Wie passen diese beiden Positionen zusammen?
Kramm: Diese Positionen passen gut zusammen. Also, die Problematik, dass es immer heißt, dass wir das Urheberrecht abschaffen wollen, liegt ja auch vor allem daran, dass eben so polemische Aufrufe wie von "Wir sind Urheber" gestartet werden, die wenig auf die Ideen eingehen, die unsere Urheberrechtsreform wirklich beinhaltet. Und da ist einer von vielen Punkten: die Einführung einer neuen Schranke des Urheberrechts. Schranken des Urheberrechts wurden schon immer eingeführt, genauso zur Zeit, als der Rundfunk eingeführt wurde, genauso zu Zeiten von Möglichkeiten wie der Musikkassette. Also die Schranken des Urheberrechts waren schon immer ein Prinzip des Urheberrechts. Und genau das wollen wir einführen.
Heise: Und wie sollen diese Schranken dann aussehen?
Kramm: Diese Schranke bedeutet, dass das nicht-kommerzielle Filesharing, Weitergeben und Kopieren von Inhalten legal ist.
Heise: Das, was ich gerade gesagt habe. Aber stehen sich denn da nicht Urheberrechte und Nutzerrechte gegenüber? Und wenn die beide in vollem Umfang geschützt werden sollen – das geht doch gar nicht. Da müssen Sie konkreter werden.
Kramm: Das ist doch genau die Problematik: Wenn wir wirklich durchsetzen wollen, dass punktgenau jeder Titel, der im Internet kopiert wird, dass der dann entsprechend verrechnet wird, dann kommen wir in einen Bereich, wo wir letztendlich eine Totalkontrolle des Internets brauchen. Und das ist genau das, was wir allesamt nicht haben wollen. Und auch vor allem Urheber wollen nicht, dass das Netz totalitär, komplett überwacht wird. Und das ist genau der Punkt, wo klar ist, wir müssen darüber nachdenken, dass im Internet andere Systeme wirken müssen.
Wir können nicht mehr direkt an der Quelle honorieren, sondern wir müssen im Internet ganz neue Modelle finden, die dann auch sehr klick-basiert ablaufen. Und es gibt auch genügend Studien, die gerade zeigen, dass dieses klassische Filesharing, dass da die Verluste eigentlich gar nicht so groß sind. Gerade jetzt kam in der Amsterdam University Press eine neue Studie heraus von Aigrain, das ist einer der Macher von der französischen Bürgerrechtsseite "La Quadrature du Net", die zeigt, dass der Schaden des Filesharings gar nicht so groß ist. Und da merkt man auch ganz, ganz schnell, dass die Industrie schon sehr einseitig polemisiert und auch mit einseitigen Statistiken arbeitet.
Heise: Aber da polemisiert ja nicht nur die Industrie, wie Sie sie nennen, sondern sie sind inzwischen 6000 Künstler, die dagegen sprechen, und die durchaus auch aus ihren eigenen Erfahrungen sprechen und sagen: "Wenn bestimmte Bücher, also meine Bücher, nur noch per Filestreaming heruntergeladen werden, dann werden die nicht mehr gekauft." Sie behaupten das Gegenteil. Ich hab das Gefühl, da steht einfach Behauptung gegen Behauptung.
Kramm: Die Problematik ist natürlich, dass sich die meisten Urheber mit den wirklichen Dingen, wie der Markt funktioniert, ganz wenig auseinandersetzen. Das haben ja auch letztendlich gerade die Unterzeichner dieses Aufrufs gesagt, dass sie ihren Verwertern vollkommen vertrauen und sich vor allem um ihre Kunst kümmern und deswegen die Strukturen gar nicht so genau kennen, die dahinterstehen. Und das ist genau das Dilemma, dass natürlich die Information, die dann viele Urheber bekommen, sehr gezielt, gerade von ihren Verwertern kommen und ...
Heise: Das ist aber interessant, wie Sie das ausdrücken. Sie sagen, sie glauben und vertrauen den Verwertern. Ich hatte eher den Eindruck, dass dieses Vertrauen tatsächlich auch auf Erfahrung basiert. Nämlich auf einer Arbeitsteilung, die tatsächlich wunderbar funktioniert aus Sicht der Künstler.
Kramm: Das stimmt nicht, dass die wunderbar funktioniert hat.
Heise: Aus Sicht der Künstler. Ich spreche ja jetzt nicht von Ihrer oder meiner Erfahrung.
Kramm: Nein. Das ist nicht wahr. Das ist nicht wahr. Das betrifft nur wenige Künstler und entsprechend, so schaut es beim Aufruf aus: Es gibt Künstler natürlich - es sind die etablierten, großen Künstler in unserer Kulturindustrie, die können wunderbar von diesem System leben. Und Etablierte eines Systems sind auch selten die, die es vernünftig reformieren können.
Aber sind wir doch mal ehrlich: Der Großteil der Künstler lebt im Prekariat unter teilweise wirklich schrecklichen Bedingungen. Die haben nichts damit zu tun, und dass sich jetzt die Bedingungen so geändert haben. Die haben schon zu allen Zeiten unter schlimmen Bedingungen gelebt, weil die Industrie letztendlich immer die Bedingungen auch diktiert hat. Also, insofern muss man da schon sehr, sehr genau unterscheiden. Nun kommt dazu, dass wir im Internet natürlich auch noch diesen neuen Markt, der sich "Long Tail" bezeichnet, haben. Es gibt eine extreme Diversifizierung, Ausbreitung von unglaublich vielen neuen Stilistiken. Und mittlerweile - in Statistiken und Studien - hat sich herausgestellt, dass dieser Bereich der vielen kleinteiligen Urheber mittlerweile den größten Anteil ausmacht. Die aber am wenigsten repräsentiert werden durch die aktuellen Systeme.
Heise: Bruno Kramm, bei der Piratenpartei auf das Thema Urheberrecht spezialisiert. Herr Kramm, wenn die Nutzer entkriminalisiert werden sollen, es soll nicht derjenige, der sich Filme aus dem Netz lädt, von spezialisierten Anwaltskanzleien mit Geldforderungen überzogen werden. Da stimmen Sie ja vollkommen überein eben auch mit den Künstlern. Wenn das im Vordergrund steht, dann wäre doch zum Beispiel an Bezahlsystemen zu arbeiten oder eine Kulturflatrate wäre denkbar. Bisher wehren Sie sich aber. Beispielsweise die Kulturflatrate kommt bei Ihnen nicht vor.
Kramm: Moment, also, wir sind natürlich für Bezahlsysteme. Wir wehren uns komplett gegen jede Form von Filehosting, wo Leute kommerziell dran verdienen und Urheber in keiner Form beteiligen. Wir müssen über Beteiligungsmodelle nachdenken, auch gerade bei diversen Systemen, egal ob das Youtube und ähnliche, ja, Systeme sind, die einfach letztendlich an urheberrechtlich geschützten Werken verdienen.
Was jetzt Pauschalabgaben betrifft: Wir sträuben uns nicht dagegen, wir diskutieren darüber auch. Wir wollen nur nicht die Form von Kulturflatrate einführen, die häufig diskutiert wird, weil die nämlich wiederum total anfällig ist: einmal für Missbrauch – das fängt damit an, dass die in der Form, in der sie vorgeschlagen ist, am ISP, also beim Provider, genau zählt, was an Werken durchfließt. Das ist hoch anfällig, A, einmal für Missbrauch, und B, natürlich muss dann der Provider an der Stelle wieder genau messen, was jeder User letztendlich konsumiert. Das ist wieder eine Überwachung und ein übermäßiger Eingriff in den Datenschutz, in die Privatsphäre.
Und wir haben da ganz andere Modelle, worüber wir diskutieren. Zum Beispiel hat der Chaos Computer Club ein sehr interessantes Modell, die Kulturwertmark eingeführt, die eben genau das unterbindet, und da denken wir natürlich nach über Pauschalabgaben. Und ich hab Ihnen ja auch heute schon einen Literaturtipp gegeben: Dieses neue Buch von Aigrain im University Press, Amsterdam University Press, namens "Sharing" kam raus. Und da ist zum Beispiel genau so ein Betrag mal errechnet worden. Genau das, worüber ja immer hin und her laviert wird: Wie groß wäre denn so ein Betrag? - Und wir denken wirklich sehr konkret genau darüber nach.
Genauso, wie wir auch darüber nachdenken, endlich das Urhebervertragsrecht zu reformieren und dann auch das Urheberrechtswahrnehmungsgesetz, worunter viele leiden gerade bezogen auf die GEMA, die nämlich einfach nicht punktgenau und vor allem auch bezogen auf die heutige Vielzahl von kleinteiligen Urhebern überhaupt keine Modelle anbieten, wie wir es wirklich vernünftig honorieren können.
Heise: Wie weit sind Sie in Ihrer Diskussion eigentlich? Man nimmt da so viele verschiedene Stimmen wahr. Ist es jetzt bereits schon auf der Ebene eines Gesetzentwurfes oder ist es in Ihrem Parteiprogramm fest verankert?
Kramm: Es ist momentan – das ist natürlich, wenn wir uns anschauen gerade den Bereich für Kürzungsschutzfristen. Das sind Dinge, da muss man natürlich auf einer sehr, sehr hochgelegten Ebene arbeiten. Das betrifft ja zum Beispiel einmal das TRIPS-Abkommen. Wir müssten zuerst einmal aus diesem TRIPS-Abkommen in diesem Bereich ausscheren.
Ganz genauso müsste man über die Berner Übereinkunft diskutieren, die noch älter ist und "50 Jahre nach dem Tod" geregelt hat. Insofern können wir jetzt hier keine klaren Gesetze legen, sondern wir müssen zuerst einmal eine Route, eine Marschroute entwickeln, wie wir langfristig genau dort hinkommen. Das ist eigentlich der springende Punkt: Momentan wird Politik gemacht, die vor allem mit dem Ist-Zustand - manchmal sogar mit dem Zustand der Vergangenheit - arbeitet. Wir müssen aber uns daran messen, dass die technischen Entwicklungen so schnell fortschreiten werden, dass wir in zehn Jahren, wenn wir das Urheberrecht nicht reformieren, so unglaublich große Probleme bekommen, wo jeder normale Nutzer letztendlich konsequent sanktioniert wird und immer wieder in Konflikt mit dem herkömmlichen Urheberrecht gerät.
Heise: Also müsste man auf jeden Fall erst einmal in die Diskussion, und zwar die gemeinsame, eintreten, dann dürfte man sich gegenseitig vielleicht auch nicht immer vorwerfen, gesellschaftliche Realitäten nicht wahrzunehmen.
Kramm: Das ist genau der Punkt und Sie sagen es: Es ist wirklich sehr traurig, wenn ich mir anschaue, diese Diskussionen, die gar keine Diskussionen mehr sind, sondern wo nur Fronten aufgebaut werden, wie mit "Wir sind Urheber", auf der anderen Seite "Wir sind Künstler", das ist so eine Art: Jeder steckt sich seinen Button an und dann steht man sich frontmäßig gegenüber, anstelle wirklich zu diskutieren.
Und wir haben eben vorgeschlagen, und das werden wir im Juni machen, das beginnt bei der GEMA. Wir machen runde Tische mit den verschiedenen Gruppen von Urhebern, verschiedene Bereich von Hochkultur, über Popularmusik, über Film, über Autoren. Das ist genau das, wie wir jetzt diesen Dialog fordern wollen und vor allem auch die Ängste bei den Urhebern nehmen wollen. Wir können auch gut verstehen, dass wenn so polemisiert wird und auch vor allem die Medien so polemisieren, dass Piraten nur Gier und Geizkultur fördern, dass wir natürlich viele Urheber, die sich nicht mit dem Internet per se so perfekt auskennen, einfach Angst bekommen. Aber diese Ängste wollen wir abbauen, wir wollen zeigen, was es für neue, großartige Alternativen und Möglichkeiten gerade eben auch für kleinteilige Urheber gibt.
Heise: Da werden Sie sicherlich noch viel Arbeit haben. Denn momentan sind gerade die Unterzeichnenden von "Wir sind Urheber" doch stark verunsichert, denn eine Gruppe von Anonymous hat sie an den digitalen Pranger gestellt und private Daten veröffentlicht. Aber da wird sich ...
Kramm: Unmöglich! Also, das ist auch, was wir natürlich in keiner Form unterstützen. Ich finde das schockierend, wie weit das mittlerweile kommt, dass es dann einzelne Nutzer oder Computerfreaks gibt, die dann anfangen, Privatdaten von Urhebern zu veröffentlichen und die an diesen Pranger zu stellen oder die Seite zu cracken und ähnliches. Das ist doch kein Dialog! Das ist genau, was momentan diese Fronten noch weiter aufbringt. Und genau da müssen wir weg. Das ist aber auch ein bisschen eine Kritik, die sich die Medien anhören müssen: Es wurde lange Zeit immer nur das nachgeplappert, was der Bundesverband der Musikindustrie gesagt hat, und der hat zum Beispiel ziemlich einseitige Lobby-Interessen. Und da wird dann ganz schnell auch in den Medien gesagt: "Na ja, ihr Piraten, ihr wollt doch eh nur alles gratis." Und da ist es kein Wunder, wenn sich dann so Fronten bilden. Also, insofern, wir müssen alle abrücken ...
Heise: Ihre runden Tische – wir warten auf das Ergebnis. Vielen Dank!- Bruno Kramm, bei der Piratenpartei für das Thema Urheberrecht zuständig. Einen schönen Tag wünschen wir noch.
Kramm: Wünsch ich ebenfalls. Tschüß!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Piraten werten Datenschutz "ganz klar höher als kommerzielle Interessen"