Wie Mütter ihre Töchter prägen: Unsere Mutter hält uns als Erste im Arm und sie beeinflusst uns in der Kindheit für das gesamte Leben. Vor allem die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist besonders – und früher oder später oft auch konfliktreich. Lesen und hören Sie zu dazu auch ein Feature von Julia Riedhammer.
Pixar-Film "Rot" auf Disney+
Plötzlich wird man groß, haarig und rot in den unmöglichsten Situationen: Wer kennt das nicht aus der eigenen Pubertät? © Pixar / Disney
Ein Panda als Puber-Tier
09:20 Minuten

Meilin Lee ist 13 Jahre alt – und mit einem Mal wird alles verwirrend anders. Wenn die Gefühle mit ihr durchgehen, wird sie zum roten Panda, zu einem Panda zum Liebhaben allerdings. Das Tier ist eine Allegorie auf die Pubertät, sagen die Macherinnen.
Es scheint so etwas wie zur Normalität zu werden: Zum dritten Mal in Folge läuft ein neuer Film von Pixar nicht im Kino an, sondern direkt bei der Streamingplattform Disney+. „Red“ ist das neueste Werk des Animationsstudios – und erneut hat Pixar dem Nachwuchs eine Chance gegeben. Regie führte die chinesisch-kanadische Storyboardzeichnerin Domee Shi. 2019 hat sie für "Bao" einen Oscar für den besten animierten Kurzfilm erhalten.
"Rot" handelt von der 13-jährigen Meilin Lee. Auf den ersten Blick erscheint sie wie ein ganz normales Mädchen. Mit ihren Freundinnen verehrt sie die angesagte Boyband #4Town, will cool sein und findet ihre Mutter Ming, die überall auftaucht, ziemlich peinlich. Meilin Lee ist also eine typische Teenagerin – nur dass sie sich immer, wenn sie sich aufregt, in einen riesigen roten Panda verwandelt.
Unsere Filmredakteurin Susanne Burg hat mit der Regisseurin Domee Shi und der Produzentin Lindsey Collins gesprochen.
Susanne Burg: Domee Shi, "Rot" ist ihr Langfilmdebüt als Regisseurin. Das Drehbuch stammt von Ihnen und Julia Cho. Sie hatten also viel Einfluss auf das Projekt. Wie persönlich sollte es werden?
Domee Shi: Als ich das Projekt das erste Mal gepitcht habe, war es weniger autobiografisch. Ich glaube, mit jeder neuen Drehbuchversion haben wir die Geschichte vereinfacht und viele der Kämpfe, die ich als Teenagerin hatte, traten mehr und mehr in den Vordergrund – die Zeit, in der die Pubertät mich erwischte und all diese Veränderungen in meinem Körper auftraten und sich die Beziehung zu meiner Mutter und meinen Freunden veränderte.
Aber ich glaube, gute Geschichten kommen genau von diesen persönlichen Erfahrungen. Zumindest beginnen sie dort.
Susanne Burg: Lindsey Collins, was war Ihre Reaktion, als Sie von dem Projekt erfuhren? Wie dachten Sie, würde es ins Pixar-, beziehungsweise ins Disney-Universum passen?
Lindsey Collins: Ich war dabei, als Domee drei Ideen für verschiedene Filme gepitcht hat. Diese hier war definitiv die Idee, die ich am besten fand, genau weil es sich so persönlich und besonders anfühlte. Ich konnte mir die Figuren sofort sehr bildhaft vorstellen. Ich fand sie unterhaltsam: Es würde Spaß machen, ihnen bei der Entwicklung zuzusehen.
Ich hatte natürlich auch "Bao" gesehen und wusste, dass Domee eine sehr eigene Stimme und einen eigenen Ton hat. Für einen Langfilm fand ich das aufregend. Das war wohl auch für Pixar ausschlaggebend: dass sich der Film vertraut anfühlte, weil er so persönlich war und gleichzeitig auch frisch. Sie suchten auch nach einem Film, der stylistisch anders aussah – und dabei war der Film auch noch lustig und emotional.
Mütter und Töchter – eine nuancenreiche Beziehung
Burg: Sie haben "Bao" erwähnt. Domee Shi, in "Bao" geht es um eine etwas andere Mutter-Sohn-Beziehung. Jetzt erzählen Sie eine Mutter-Tochter-Geschichte. Was interessiert Sie an diesen Beziehungen?
Domee Shi: Ich habe das Gefühl, die Beziehung mit den Eltern ist die erste wirkliche Beziehung, die man im Leben hat. Es ist komplex, emotional und dramatisch, wie sie sich verändert, wenn man älter wird. Das war ein Thema, mit dem ich mich näher beschäftigen wollte.
Ich glaube, das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist noch nuancenreicher und komplizierter. Mütter und Töchter kämpfen mehr, aber sie sind sich näher, obwohl das widersprüchlich klingt. Damit wollte ich mich in "Rot" auseinandersetzen. Das konnte ich in "Bao" nicht so sehr.
Ein Panda zum Liebhaben
Susanne Burg: Meilin Lee, Ihre Protagonistin ist 13 Jahre alt und damit in einem sehr speziellen Alter. Wenn ihre Gefühle und Hormone verrückt spielen, verwandelt sie sich in einen roten Panda. Da passt die Farbe Rot natürlich bestens. Wie allegorisch sollte das werden?
Domee Shi: Der Panda ist eine Allegorie für die Pubertät. Damit haben natürlich gespielt und Spaß gehabt. Wir wollten, dass alles der Pubertät entspricht. Man bekommt Haare, wird bei unangenehmen Situationen rot, man wächst, ist immer hungrig – mit all dem hat man in der Pubertät zu tun.

Kein Monster, sondern ein Panda zum Kuscheln. Wer nimmt ihn mal ganz dringend in den Arm?© Pixar/Disney
Lindsey Collins: Es ist ja auch so, dass Meilin Lee nicht erschreckend wirkt. Es geht um ihr inneres Erleben. Damit wollten wir spielen. Wir wollten mit dem Panda kein angsteinflößendes Monster schaffen. Es ging um das Unbehagen und das ungewohnte Gefühl, was ihren Körper anbelangt.
Das heißt, wir haben nur ganz lose mit der Allegorie gespielt. Wir wollten nicht strikt festlegen, dass sie nur einmal im Monat diese Gefühle hat. Und warum werden all die anderen nicht zu Pandas, die auch diese Gefühle haben? Wir haben all das diskutiert. Aber letztendlich haben wir uns dafür entschieden, lockerer damit umzugehen.
Als wir den Panda entworfen haben, wollten wir, dass er flauschig und weich ist und nicht aussieht wie aus Styropor. Ihre Freunde sollten Meilin auch als Panda ständig umarmen und gerne mit ihr zusammen sein. Für uns ist das typisches Teenager-Verhalten: dass die Freunde die ganze Zeit zusammenhängen. All diese Emotionen sollten sich anfühlen wie die von 13-Jährigen.
"Wir wollen das Publikum in eine neue Welt einladen"
Susanne Burg: Meilin Lee ist ja chinesisch-kanadischer Herkunft. Sie kümmert sich gemeinsam mit ihrer Mutter um einen Familientempel in Toronto. Wie sehr ist der Film auch in chinesische und chinesisch-kanadischen Traditionen verwurzelt?
Domee Shi: Ich glaube, sehr. Wir haben uns künstlerische Freiheiten genommen, als wir den Tempel entworfen haben. Es gibt keinen Tempel in Toronto, der so aussieht. Wir haben einen idyllischen, friedlichen, geerdeten Familientempel entworfen, der am Rande von Chinatown liegt.
Wir haben viel in Chinatown in Toronto recherchiert und uns mit der Geschichte der Immigration nach Chinatown beschäftigt, etwa aus welcher chinesischen Region die Menschen ursprünglich kamen – aus der südchinesischen Region um Taishan herum.

Echte Freunde gehen durch dick und dünn. Und durch die überfüllten Gänge ihrer Schule.© Pixar/Disney
Wir waren sehr sorgfältig, was die Details des Tempels und des Haushalts von Meilin Lee angeht, bei den Speisen, die ihr Vater und ihre Mutter zubereiten. Die sind sehr spezifisch für die Region, aus der ihre Familie in China kommt. Wenn sie sich durch Chinatown bewegen, dann schnappt sie kantonesische und taishanesische Wörter auf.
Wir wollen das Publikum in eine neue Welt einladen. Es ist eine Welt, die man auf der großen oder auch der kleinen Leinwand sonst nicht so häufig sieht.
Toronto, wie eine 13-Jährige es sieht
Susanne Burg: In "Bao" sieht man Toronto viel durch das Zimmer der heimischen Wohnung. Die Stimmung vvermittelt sich über das Essen, das zubereitet und serviert wird. Wie sollte Toronto in „Red“ aussehen und wie sind Sie in dieser Hinsicht bei der Animation vorgegangen?
Domee Shi: Ich wollte die Vielfalt und die Einzigartigkeit von Toronto zeigen. Es sollten auch im Hintergrund auf den Straßen die unterschiedlichen Menschen zu sehen sein, mit denen ich aufgewachsen bin. Auch die Wahrzeichen Torontos wollte ich zeigen, den CN-Tower oder den Skydome zum Beispiel. Anders als Chicago oder New York taucht Toronto ja sonst selten in Filmen auf.

Pastellfarbenes Toronto, alles hübsch und niedlich. Eben so, wie eine 13-Jährige die Stadt wohl sieht.© Pixar/Disney
Lindsey Collins: Und du hast Toronto auch sehr stilisiert, sodass es zu dem Look der Figuren passte. Es ist die Ästhetik einer Welt, die wir durch die Brille einer 13-Jährigen sehen. Ein bisschen so, als ob Meilin Lee durch einen Instagram-Filter auf die Welt schaut.
Es ist alles sehr pastellfarben und hübsch und niedlich. Wir dachten uns: So würde sie ihre Stadt sehen.