Der Philosoph Abdennour Bidar will Frankreichs Brüche kitten
Frankreich sei unfähig, in die Zukunft zu schauen und diese zu gestalten, klagt der Philosoph Abdennour Bidar. Für ihn hat deshalb die Stunde der Brüderlichkeit geschlagen. Mit seiner Bewegung "Fraternité Générale" will er die Franzosen dazu bringen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
In Frankreich geht die Angst um. Die Angst vor erneuten Anschlägen. In diesem Klima der Angst stellt sich für die Franzosen die Frage der Identität: Wer sind wir? Die Attentäter waren alle Muslime, was bedeutet das? Kann es den Terroristen gelingen, Panik, Hass und Zwietracht zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und Religionen zu säen? Was muss geschehen, um das zu verhindern?
Während sich die herrschende politische Klasse der Rechten und der Linken im Streit zerfleischt, hat ein Philosoph eine Idee, wie etwas zum Guten verändert werden kann. Abdennour Bidar will den traditionellen französischen Wert der "Brüderlichkeit" wieder stärken und hat dazu eine Bewegung gegründet. Um die Werte der französischen Nation - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – geht es auch in seinem soeben erschienen Buch "Quelles valeurs partager et transmettre aujourd’hui?" - "Welche Werte wollen wir heute teilen und weitergeben?"
Beitrag von Anke Schaefer:
Eine rote und eine blaue Hand finden einander, jede mit einem weit geöffneten Auge darauf: Das ist das Symbol der Bewegung "Fraternité générale", gegründet von Abdennour Bidar. Und diese unterschiedlich farbigen Hände, die sich finden – sind auch ein Symbol für Abdennnour Bidar selbst. Er lebt von jeher zwischen den Welten. In einem seiner Bücher hat er seine Kindheit beschrieben. Er kommt aus der Auvergne, seine Mutter ist zum Islam konvertiert, sein Großvater war ein atheistischer Winzer. Er hat für mehrere Radiosender gearbeitet und sich mit einigen Büchern einen Namen gemacht. Und jetzt hat er also hat er diese Bewegung gegründet: "Fraternité Génerale". Im französischen Fernsehsender BFM TV hat er sie vorgestellt. Es ist ein Aufruf:
"Für die Brüderlichkeit! Denn in unserer Gesellschaft, da kämpfen wir gegen vieles. Aber wir machen uns gar nicht klar, warum wir kämpfen, in welche Richtung wir eigentlich gehen wollen. Da haben wir uns gesagt: Jetzt ist die Zeit der Brüderlichkeit gekommen. Das ist der vergessene republikanische Wert! Wir haben in den vergangenen zwei Jahrhunderten viel von der Freiheit, von der Gleichheit gesprochen. Wie – wenn jetzt die Zeit der Brüderlichkeit anbricht? In einer Gesellschaft, die immer weiter auseinander driftet."
Wegen seines arabischen Vornamens hielten ihn die Franzosen in seiner Kindheit für einen Araber, der er nicht ist, für die Muslime wiederum war er Franzose. So oszilliert Abdennour Bidar zwischen den Welten und fragt sich, warum diese Welten so wenig voneinander wissen. Er hat in Paris Philosophie studiert und unterrichtet, hat sich viel mit dem Islam beschäftigt und darüber publiziert, sitzt heute für die Regierung Hollande in einem Gremium, das über die Laizität in Frankreichs Schulen wacht.
"Für die Brüderlichkeit! Denn in unserer Gesellschaft, da kämpfen wir gegen vieles. Aber wir machen uns gar nicht klar, warum wir kämpfen, in welche Richtung wir eigentlich gehen wollen. Da haben wir uns gesagt: Jetzt ist die Zeit der Brüderlichkeit gekommen. Das ist der vergessene republikanische Wert! Wir haben in den vergangenen zwei Jahrhunderten viel von der Freiheit, von der Gleichheit gesprochen. Wie – wenn jetzt die Zeit der Brüderlichkeit anbricht? In einer Gesellschaft, die immer weiter auseinander driftet."
Wegen seines arabischen Vornamens hielten ihn die Franzosen in seiner Kindheit für einen Araber, der er nicht ist, für die Muslime wiederum war er Franzose. So oszilliert Abdennour Bidar zwischen den Welten und fragt sich, warum diese Welten so wenig voneinander wissen. Er hat in Paris Philosophie studiert und unterrichtet, hat sich viel mit dem Islam beschäftigt und darüber publiziert, sitzt heute für die Regierung Hollande in einem Gremium, das über die Laizität in Frankreichs Schulen wacht.
Sarkozy: "Eure Ahnen sind Gallier"
Nach den zahlreichen Anschlägen und ein halbes Jahr vor den Präsidentschaftswahlen schlagen einige Kandidaten in Frankreich, und gerade Nicolas Sarkozy, scharfe Töne an – auch weil er Wähler des rechtsextremen Front National zurückgewinnen will. Sarkozy sorgte für Aufsehen, als er sagte:
"Was auch immer die Nationalität eurer Eltern ist, junge Franzosen, in dem Moment, in dem ihr Franzosen werdet, sind eure Ahnen die Gallier."
Auf diese Art und Weise kann man nicht für Gemeinsamkeit sorgen, meint der Philosoph Abdennour Bidar:
"Man spielt mit diesem Gefühl der kollektiven Unsicherheit. Indem man sagt: Unsere Identität ist nicht mehr stabil, unsere Gesellschaft ist geschwächt. Man spielt mit der Angst und bietet als Lösung die Abschottung. Und was mich an dem Satz von Sarkozy besonders trifft, ist, dass er die Identität Frankreichs in der Vergangenheit festmacht, weil man unfähig ist, von der Gegenwart zu sprechen, geschweige denn in die Zukunft zu schauen."
"Was auch immer die Nationalität eurer Eltern ist, junge Franzosen, in dem Moment, in dem ihr Franzosen werdet, sind eure Ahnen die Gallier."
Auf diese Art und Weise kann man nicht für Gemeinsamkeit sorgen, meint der Philosoph Abdennour Bidar:
"Man spielt mit diesem Gefühl der kollektiven Unsicherheit. Indem man sagt: Unsere Identität ist nicht mehr stabil, unsere Gesellschaft ist geschwächt. Man spielt mit der Angst und bietet als Lösung die Abschottung. Und was mich an dem Satz von Sarkozy besonders trifft, ist, dass er die Identität Frankreichs in der Vergangenheit festmacht, weil man unfähig ist, von der Gegenwart zu sprechen, geschweige denn in die Zukunft zu schauen."
Bidar: "Gesellschaften, in denen es einem kalt wird"
Genau das will Abdennour Bidar tun. Seine Bewegung "Fraternité générale" lädt im Internet alle Menschen ein, Projekte der Brüderlichkeit vorzuschlagen und anzumelden. Im November, wenn sich die Anschläge, die in Paris 130 Tote gefordert haben, zum ersten Mal jähren, soll es eine "Woche der Fraternité" geben. Fotowettbewerbe, Street-Art, Diskussionsrunden – jeweils mit dem Ziel, Respekt und Teilhabe zu fördern.
"Wir möchten, dass die Menschen sich treffen. Es geht darum, wieder in Gespräch zu kommen, wo bisher Gleichgültigkeit oder Misstrauen herrschte. Denn wir leben inzwischen in Gesellschaften, in denen es einem kalt wird. In denen sich jeder nur an sich denkt. Und die Leute haben es satt. Heute müssen wir uns wieder zusammenfinden, wir müssen uns verstehen, miteinander reden.
Um die Bewegung der Brüderlichkeit medial zu begleiten, will Abdennour Bidar 30 verschiedene Fernsehclips schalten. Auch sein neuestes Buch kreist um die Werte der Republik. Als Frankreich im vergangenen Jahr in den Schulen ein neues Fach einführte - "Moral und Staatsbürgerkunde" – war vielfach die Frage: Wie definieren wir eigentlich "Moral", wenn wir uns in einem laizistischen Staat nicht auf die kirchliche Lehre beziehen wollen?
"Es geht nicht um einen republikanischen Katechismus, sondern es geht darum die Schüler zum Nachdenken zu bringen: Was bedeutet Solidarität, Brüderlichkeit? Toleranz? Wie kann man in einer multikulturellen Gesellschaft, in der jeder seine Eigenheit behauptet, zusammenleben? Klar gibt es Unterschiede! Und – hoch sollen sie leben, diese Unterschiede! Aber es muss auch die Gemeinsamkeit leben!"
In seinem neuen Buch erforscht Abdennour Bidar daher nicht nur den Begriff der Brüderlichkeit, sondern auch Begriffe wie Empathie, Altruismus, Mut oder Treue. Er zitiert die großen Philosophen, aber er zitiert auch Vertreter der großen Religionen: Denn auch sie, so will er zeigen – können – Laizität hin oder her - etwas beitragen, wenn es um die Frage geht, wie wollen wir morgen gut zusammen-leben.
"Wir möchten, dass die Menschen sich treffen. Es geht darum, wieder in Gespräch zu kommen, wo bisher Gleichgültigkeit oder Misstrauen herrschte. Denn wir leben inzwischen in Gesellschaften, in denen es einem kalt wird. In denen sich jeder nur an sich denkt. Und die Leute haben es satt. Heute müssen wir uns wieder zusammenfinden, wir müssen uns verstehen, miteinander reden.
Um die Bewegung der Brüderlichkeit medial zu begleiten, will Abdennour Bidar 30 verschiedene Fernsehclips schalten. Auch sein neuestes Buch kreist um die Werte der Republik. Als Frankreich im vergangenen Jahr in den Schulen ein neues Fach einführte - "Moral und Staatsbürgerkunde" – war vielfach die Frage: Wie definieren wir eigentlich "Moral", wenn wir uns in einem laizistischen Staat nicht auf die kirchliche Lehre beziehen wollen?
"Es geht nicht um einen republikanischen Katechismus, sondern es geht darum die Schüler zum Nachdenken zu bringen: Was bedeutet Solidarität, Brüderlichkeit? Toleranz? Wie kann man in einer multikulturellen Gesellschaft, in der jeder seine Eigenheit behauptet, zusammenleben? Klar gibt es Unterschiede! Und – hoch sollen sie leben, diese Unterschiede! Aber es muss auch die Gemeinsamkeit leben!"
In seinem neuen Buch erforscht Abdennour Bidar daher nicht nur den Begriff der Brüderlichkeit, sondern auch Begriffe wie Empathie, Altruismus, Mut oder Treue. Er zitiert die großen Philosophen, aber er zitiert auch Vertreter der großen Religionen: Denn auch sie, so will er zeigen – können – Laizität hin oder her - etwas beitragen, wenn es um die Frage geht, wie wollen wir morgen gut zusammen-leben.