Plädoyer für eine diplomatische Lösung
Nachdem die britische Regierung von einem Militärschlag gegen Assad abgerückt ist, sieht der Nahost-Experte Volker Perthes wieder Chancen für diplomatische Initiativen westlicher Staaten im syrischen Bürgerkrieg. Russland müsse dabei mit einbezogen werden.
Elke Durak: Obama im Stich gelassen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Frankreich könnte ab nächste Woche dabei sein [Anm. d. Redaktion: An einem Syrien-Einsatz]. Mit welchen Folgen. Darüber habe ich mit Volker Perthes gesprochen. Er ist der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Und meine erste Frage war, wer denn nun de Verlierer der neuen Entwicklung der britischen Entscheidung ist. Neben David Cameron, innenpolitisch. Vielleicht auch Obama, der fast allein da ist. Mal abgesehen von Frankreich, die syrische Bevölkerung?
Volker Perthes: Also ich glaube, wenn ein Militärschlag ausgesetzt oder verzögert wird und alle noch mal ganz genau nachdenken, ob ein Militärschlag und was für eine Art von Militärschlag im Zweifelsfall die richtige Lösung ist und ob es nicht doch diplomatische Lösungen gibt, dann sehe ich überhaupt keinen Verlierer.
Durak: Ist denn Assad der lachende Sieger?
Perthes: Assad wird kurzfristig zumindest denken: Aha, ich bin durchgekommen mit allem, was ich in den letzten Jahren – nicht nur in der letzten Woche – militärisch getan habe und die Internationale Gemeinschaft ist eigentlich ein Papiertiger. Aber dies kann sich ändern, wenn der Bericht der UN-Waffeninspekteure vorliegt, wenn man auf der Grundlage noch mal in den Sicherheitsrat geht, und wenn – ich unterstelle das jetzt mal – die Evidenz noch deutlicher wird dafür, wer dieses Verbrechen, dieses Kriegsverbrechen, den Chemiewaffeneinsatz begangen hat.
Durak: Das dürfen die Inspektoren aber offiziell ja gar nicht mitteilen, selbst wenn sie es wüssten.
Perthes: Richtig. Die Inspektoren werden das nicht in ihren Bericht schreiben. Aber man wird, wenn der Bericht vollständig ist, daraus ganz, ganz viel ablesen können, was auch nicht in dem Bericht steht. Der Bericht wird sicherlich mitteilen, welche Art von Waffen eingesetzt worden sind, in welchem Ausmaß die eingesetzt worden sind, Chemiewaffen und die Geschosse, mit denen die verschossen werden, haben eine bestimmte Signatur. Also man weiß, wo so etwas herkommt, wo so etwas hergestellt worden ist, und das wird dann relativ eindeutig sein, weil man ja sehr wohl weiß, wie die syrische Armee ausgerüstet ist, weil man zumindest in großen Teilen weiß, wie Rebellengruppen ausgerüstet oder mit was sie eben nicht ausgerüstet sind.
Durak: Sie beschreiben jetzt die westliche Sicht, denn Sie sagen, wenn, dann weiß man, woher die kommen. Aber die Russen haben ja schon vor Tagen gesagt, die Inspektoren sollten nicht nur in den Vorstädten von Damaskus oder Vororten von Damaskus untersuchen, sondern auch in der Region Aleppo, wo man Giftgaseinsatz vermutet hatte, und die Russen sagen: Das waren die Rebellen. Also Umkehrschluss: Wenn dann der UN-Bericht da ist oder der Bericht an die UN – die Russen werden da nicht mitziehen.
Perthes: Das wird man sehen, auch gerade, wenn wir darüber sprechen, dass man aus einem Bericht der Inspekteure, die etwas sagen über die Geschosse, über die Waffen und so weiter, die eingesetzt worden sind, wenn wir darüber sprechen, dann wissen die Russen vielleicht sogar noch besser als die Amerikaner oder die Franzosen oder die Deutschen, wessen Ursprungs diese Waffen sind, weil die Bestände der syrischen Streitkräfte sind überwiegend von Russland zur Verfügung gestellt worden.
Also Russland ist der wichtigste Versorger Syriens mit Waffen. Dies alles schließt ja nicht aus – und darauf bezog sich ja auch das ursprüngliche Mandat der UN-Waffeninspekteure –, dass an anderen Stellen, wo es keinen so systematischen Einsatz von Chemiewaffen gegeben hat, sondern wo offensichtlich auch Gift oder Chemie eingesetzt worden ist, das kann auch Industriechemie oder Industriegift sein, dass dort auch andere Kräfte, dass dort auch terroristische Kräfte Chemie oder Gifte eingesetzt haben.
Durak: Wir sind jetzt vom Militärschlag erst einmal ein paar Tage mindestens entfernt, also gehen wir da auf einen gewissen Ausgangspunkt zurück. Das heißt, hier könnte es jetzt gelingen, Moskau wieder mit ins Boot zu holen, um in Syrien eine andere Entwicklung herbeizuführen. Welche Möglichkeiten hätte denn oder hat denn Russland, auf Assad einzuwirken?
Perthes: Wir haben ja zurzeit ganz viel diplomatischen Verkehr, auch etwa zwischen der Bundeskanzlerin und Herrn Putin, zwischen Lawrow und Kerry, zwischen hohen amerikanischen Beamten und ihren russischen Kollegen, zum Teil auch indirekt sogar mit den iranischen Kollegen.
Ich denke, es wird schon versucht werden von den USA und von den Verbündeten der USA, auf Grundlage der Evidenz, die man hat und die man erwartet aus dem Bericht der UN-Inspekteure, Russland klarzumachen, dass es auch das russische Interesse ist, die internationale Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes mit durchzusetzen und dass Russland hier letztlich vor eine für Moskau selbst schwierige Entscheidungssituation kommt zwischen der Aufrechterhaltung einer internationalen Norm, also Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes, an der Russland sehr, sehr interessiert ist, und dem Festhalten an einem Alliierten im Nahen Osten. Und Russland kann natürlich, da braucht es nicht um militärische Schläge gehen, Russland kann natürlich Sanktionen verhängen gegen das Assad-Regime, kann ihm die politische Unterstützung entziehen, kann Waffenexporte nach Syrien einstellen. Das wäre eine deutliche Bestrafung von Assad.
Durak: Könnte, wenn es wollte. Würde der G20-Gipfel nächste Woche da eine Chance bieten, zwischen Obama und Putin etwas zu arrangieren?
Perthes: Wenn der G20-Gipfel mit allen Beteiligten stattfindet, dann denke ich, gibt es da zumindest, wie man so schön sagt, in den Kaffeepausen ganz furchtbar viel Platz für …
Durak: "Wenn" heißt, Sie zweifeln?
Perthes: Ich gehe bei Aussagen über die Zukunft immer davon aus, dass wir die im Konjunktiv machen sollten.
Durak: Sehr vorsichtig. Wir hier als Nicht-Experten machen uns auch immer wieder Gedanken in diesen Tagen um den Iran und um Israel, das versteht sich. Welche Position, sehen Sie, nimmt derzeit der Iran ein, der ja auch außenpolitisch mit dem Präsidenten Rohani irgendwie eine Entwicklung angedeutet hat?
Perthes: Ja, Rohani ist ja ein eifriger Twitterer, insofern kann man seine Position eigentlich jeden Tag auf dem Netz verfolgen. Die iranische Position ist eine, die sehr, sehr deutlich versucht, zu sagen, dass sie gegen jeden ausländischen Angriff oder Eingriff in den syrischen Bürgerkrieg sei, und gleichzeitig hat Iran auch relativ deutlich – das hat auch was mit der eigenen iranischen Geschichte zu tun – den Chemiewaffeneinsatz verurteilt, allerdings ohne einen Täter zu nennen, weil Iran sich auf die Position stellt, dass man ja nicht wisse, wer das sei und dass es ja viel wahrscheinlicher sei, dass es die Rebellen seien, als das Regime.
Durak: Das war Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Volker Perthes: Also ich glaube, wenn ein Militärschlag ausgesetzt oder verzögert wird und alle noch mal ganz genau nachdenken, ob ein Militärschlag und was für eine Art von Militärschlag im Zweifelsfall die richtige Lösung ist und ob es nicht doch diplomatische Lösungen gibt, dann sehe ich überhaupt keinen Verlierer.
Durak: Ist denn Assad der lachende Sieger?
Perthes: Assad wird kurzfristig zumindest denken: Aha, ich bin durchgekommen mit allem, was ich in den letzten Jahren – nicht nur in der letzten Woche – militärisch getan habe und die Internationale Gemeinschaft ist eigentlich ein Papiertiger. Aber dies kann sich ändern, wenn der Bericht der UN-Waffeninspekteure vorliegt, wenn man auf der Grundlage noch mal in den Sicherheitsrat geht, und wenn – ich unterstelle das jetzt mal – die Evidenz noch deutlicher wird dafür, wer dieses Verbrechen, dieses Kriegsverbrechen, den Chemiewaffeneinsatz begangen hat.
Durak: Das dürfen die Inspektoren aber offiziell ja gar nicht mitteilen, selbst wenn sie es wüssten.
Perthes: Richtig. Die Inspektoren werden das nicht in ihren Bericht schreiben. Aber man wird, wenn der Bericht vollständig ist, daraus ganz, ganz viel ablesen können, was auch nicht in dem Bericht steht. Der Bericht wird sicherlich mitteilen, welche Art von Waffen eingesetzt worden sind, in welchem Ausmaß die eingesetzt worden sind, Chemiewaffen und die Geschosse, mit denen die verschossen werden, haben eine bestimmte Signatur. Also man weiß, wo so etwas herkommt, wo so etwas hergestellt worden ist, und das wird dann relativ eindeutig sein, weil man ja sehr wohl weiß, wie die syrische Armee ausgerüstet ist, weil man zumindest in großen Teilen weiß, wie Rebellengruppen ausgerüstet oder mit was sie eben nicht ausgerüstet sind.
Durak: Sie beschreiben jetzt die westliche Sicht, denn Sie sagen, wenn, dann weiß man, woher die kommen. Aber die Russen haben ja schon vor Tagen gesagt, die Inspektoren sollten nicht nur in den Vorstädten von Damaskus oder Vororten von Damaskus untersuchen, sondern auch in der Region Aleppo, wo man Giftgaseinsatz vermutet hatte, und die Russen sagen: Das waren die Rebellen. Also Umkehrschluss: Wenn dann der UN-Bericht da ist oder der Bericht an die UN – die Russen werden da nicht mitziehen.
Perthes: Das wird man sehen, auch gerade, wenn wir darüber sprechen, dass man aus einem Bericht der Inspekteure, die etwas sagen über die Geschosse, über die Waffen und so weiter, die eingesetzt worden sind, wenn wir darüber sprechen, dann wissen die Russen vielleicht sogar noch besser als die Amerikaner oder die Franzosen oder die Deutschen, wessen Ursprungs diese Waffen sind, weil die Bestände der syrischen Streitkräfte sind überwiegend von Russland zur Verfügung gestellt worden.
Also Russland ist der wichtigste Versorger Syriens mit Waffen. Dies alles schließt ja nicht aus – und darauf bezog sich ja auch das ursprüngliche Mandat der UN-Waffeninspekteure –, dass an anderen Stellen, wo es keinen so systematischen Einsatz von Chemiewaffen gegeben hat, sondern wo offensichtlich auch Gift oder Chemie eingesetzt worden ist, das kann auch Industriechemie oder Industriegift sein, dass dort auch andere Kräfte, dass dort auch terroristische Kräfte Chemie oder Gifte eingesetzt haben.
Durak: Wir sind jetzt vom Militärschlag erst einmal ein paar Tage mindestens entfernt, also gehen wir da auf einen gewissen Ausgangspunkt zurück. Das heißt, hier könnte es jetzt gelingen, Moskau wieder mit ins Boot zu holen, um in Syrien eine andere Entwicklung herbeizuführen. Welche Möglichkeiten hätte denn oder hat denn Russland, auf Assad einzuwirken?
Perthes: Wir haben ja zurzeit ganz viel diplomatischen Verkehr, auch etwa zwischen der Bundeskanzlerin und Herrn Putin, zwischen Lawrow und Kerry, zwischen hohen amerikanischen Beamten und ihren russischen Kollegen, zum Teil auch indirekt sogar mit den iranischen Kollegen.
Ich denke, es wird schon versucht werden von den USA und von den Verbündeten der USA, auf Grundlage der Evidenz, die man hat und die man erwartet aus dem Bericht der UN-Inspekteure, Russland klarzumachen, dass es auch das russische Interesse ist, die internationale Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes mit durchzusetzen und dass Russland hier letztlich vor eine für Moskau selbst schwierige Entscheidungssituation kommt zwischen der Aufrechterhaltung einer internationalen Norm, also Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes, an der Russland sehr, sehr interessiert ist, und dem Festhalten an einem Alliierten im Nahen Osten. Und Russland kann natürlich, da braucht es nicht um militärische Schläge gehen, Russland kann natürlich Sanktionen verhängen gegen das Assad-Regime, kann ihm die politische Unterstützung entziehen, kann Waffenexporte nach Syrien einstellen. Das wäre eine deutliche Bestrafung von Assad.
Durak: Könnte, wenn es wollte. Würde der G20-Gipfel nächste Woche da eine Chance bieten, zwischen Obama und Putin etwas zu arrangieren?
Perthes: Wenn der G20-Gipfel mit allen Beteiligten stattfindet, dann denke ich, gibt es da zumindest, wie man so schön sagt, in den Kaffeepausen ganz furchtbar viel Platz für …
Durak: "Wenn" heißt, Sie zweifeln?
Perthes: Ich gehe bei Aussagen über die Zukunft immer davon aus, dass wir die im Konjunktiv machen sollten.
Durak: Sehr vorsichtig. Wir hier als Nicht-Experten machen uns auch immer wieder Gedanken in diesen Tagen um den Iran und um Israel, das versteht sich. Welche Position, sehen Sie, nimmt derzeit der Iran ein, der ja auch außenpolitisch mit dem Präsidenten Rohani irgendwie eine Entwicklung angedeutet hat?
Perthes: Ja, Rohani ist ja ein eifriger Twitterer, insofern kann man seine Position eigentlich jeden Tag auf dem Netz verfolgen. Die iranische Position ist eine, die sehr, sehr deutlich versucht, zu sagen, dass sie gegen jeden ausländischen Angriff oder Eingriff in den syrischen Bürgerkrieg sei, und gleichzeitig hat Iran auch relativ deutlich – das hat auch was mit der eigenen iranischen Geschichte zu tun – den Chemiewaffeneinsatz verurteilt, allerdings ohne einen Täter zu nennen, weil Iran sich auf die Position stellt, dass man ja nicht wisse, wer das sei und dass es ja viel wahrscheinlicher sei, dass es die Rebellen seien, als das Regime.
Durak: Das war Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.