Plädoyer für einen Analog Friday

Jetzt legt doch mal das Ding weg

04:31 Minuten
Auf einem Holzbrett steht „No Wifi Zon“ — dahinter liegt ein Spaten.
Ein Freitag ganz ohne Internet: Probieren wir es aus, schlägt der Autor und Politikwissenschaftler André Wilkens vor. © Unsplash / Discover Savsat
Ein Kommentar von André Wilkens · 26.03.2021
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Arbeit und Freizeit verbringen wir zunehmend im digitalen Raum. Es wird Zeit, dem Zoom-Alltagsmainstream etwas entgegenzusetzen, meint der Politikwissenschaftler André Wilkens. Anstelle eines Casual Friday möchte er eine analogen Freitag einführen.
1962 begann in Hawaii eine Revolution, von der die wenigsten gehört haben und die trotzdem die ganze Welt verändert hat. Eine Revolution voll bunter Hemden und guter Laune. In jenem Jahr startete die Textilzunft Hawaiis eine Kampagne, um das traditionelle Hawaii- oder Aloha-Hemd zum Teil des dortigen Geschäftslebens zu machen. Immerhin ist es auf Hawaii ziemlich heiß und Anzüge ziemlich unpraktisch. Außerdem ist das farbenfrohe Aloha-Hemd ein Zeichen von regionaler Identität und lokalem Handwerk.
Das waren überzeugende Argumente und so durften fortan Geschäftsleute und Funktionäre ganz offiziell in den Sommermonaten und später auch ganzjährig jeden Freitag in knallbunten Hemden ihr Business und die Politik machen. Der Aloha Friday war geboren.

Die Revolution aus Hawaii erobert die Welt

Was auf Hawaii aus klimatischen und kulturellen Gründen begann, setzte sich in den USA mit dem Casual Friday fort. Normalerweise steif betuchte Mitarbeiter durften am Freitag locker und entspannt sein, jedenfalls was ihre Kleiderordnung betraf. Jeans waren erlaubt und bunte Hemden, Turnschuhe und Sandalen gar. Auch ohne Gehaltserhöhung fühlten sich die Leute besser. Und wenn man sich besser fühlt, steigt auch die Produktivität. Die Modeindustrie, angeführt vom Jeans Hersteller Levis, stieg auf den Trend auf und propagierte einen Casual Business Look mit Jeans und Jackett, Hemd und Pulli.
Mittlerweile hat die Revolution aus Hawaii die ganze Welt erobert, in manchen Digital Firmen ist T-Shirt, Jeans und Badelatschen gar zur Uniform geworden, sodass man zur Abwechslung den Formal Friday eingeführt hat. So kann es gehen: Was gestern noch freitäglicher Standard war, kann morgen schon Nische sein, und eben auch umgekehrt. Freitag scheint ein guter Tag für gute Experimente zu sein.

Digital ist die neue Arbeitsuniform

Heute leben wir im digitalen Standard, erst recht seit Covid. Alle machen es, vom Präsidenten bis zur Putzfrau, vom Rentner bis zur Schülerin, von der Bäuerin bis zum Hipster. Die Welt ist digital: Wer das infrage stellt, ist von gestern, ein Langweiler oder einfach doof. Digital ist doch der Rettungsanker in der Pandemie, ist Fortschritt, Zukunft, cool, macht glücklich. Wirklich?
Oder ist Digital die neue Uniform, in die wir uns jeden Tag reinquetschen, zur Arbeit gehen, unsere Freizeit verbringen, und erst im Schlaf abschalten. Oder vielleicht noch nicht mal das. Ist Digital das neue Formal?
Ja, Digital ist fetter Mainstream. Was soll es auch anders sein, wenn alle es machen, egal ob sie es wollen oder nicht. Mehr Mainstream geht nicht. Und wo viel Mainstream ist, gibt es Platz für Nischen. Wie Analog, das früher mal der fette Standard war.

Einfach abschalten am Freitag

So wie der Aloha Friday den formalen Mainstream aufgebrochen und die Welt verändert hat, kann das vielleicht auch ein Analog Friday tun. Digital abschalten am Freitag, beruflich und privat, keine Email, kein Zoom, kein Google, Facebook, Amazon oder Netflix. Dafür Zeit zum Denken, lesen, schreiben, Gedanken und Sachen sortieren, Menschen real treffen, auf der Straße fürs Klima demonstrieren, ins Theater gehen, Fußball spielen und von mir aus auch real in Aloha Hemden in Parks Tischtennis spielen – im Moment alles natürlich mit Sicherheitsabstand und gegebenenfalls mit Maske.
Probieren wir es aus. Erkunden wir, wie man ein analoges Leben in einer digitalen Welt führen kann, ohne dabei zum digitalen Versager oder Einsiedler werden zu müssen. Was werden wir lernen, was werden wir vermissen, was werden wir wiederentdecken und was nicht? Werden wir gar glücklicher werden und den Analog Friday aufs ganze Wochenende ausdehnen? Machen wir einen Anfang. Der nächste Freitag ist Analog.

André Wilkens ist der Autor des Buches "Analog ist das neue Bio", das 2015 bei Metrolit und 2017 als Fischer Taschenbuch erschien. Wenn er nicht gerade über die Beziehung von Analog und Digital nachdenkt, leitet er die Europäische Kulturstiftung in Amsterdam.

Politikwissenschaftler Andre Wilkens
© Gerlind Klemens
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