Plädoyer für "kompromisslosen Qualitätsjournalismus"
Das Aus der "FTD" und die Insolvenz der "FR" stehen nicht für eine Krise der Presse insgesamt, sagt der Leiter der Berliner Journalisten-Schule, Joachim Widmann. Er hält die Situation bei den Lokalzeitungen für das eigentliche Problem - wegen der dort oft fehlenden journalistischen Qualität.
Ulrike Timm: Als "Vierte Gewalt" wird die Presse gern bezeichnet, bis in die Zeit der Französischen Revolution lässt sich dieses Ideal zurückverfolgen, dass Öffentlichkeit und Meinungsvielfalt eine vierte Säule des Staates sind, die das Zusammenspiel von Legislative, Exekutive und Judikative mit austariert. Dieser vornehmen Aufgabe werden Journalisten ganz sicher nicht immer gerecht, aber dass Meinungsvielfalt verloren geht, wenn renommierte Zeitungen wie die "Frankfurter Rundschau" oder die "Financial Times Deutschland" eingestellt werden, dass Zeitungen sich heute überhaupt neu definieren müssen, davon erzählte das zu Ende gehende Jahr eine ganze Menge.
Über das Zeitungssterben spreche ich jetzt mit Joachim Widmann. Er ist im Studio zu Gast, leitet die Berliner Journalisten-Schule und hat vorher viele Erfahrungen als Journalist gemacht, von der Lokalzeitung bis hin zum Netzmagazin. Schönen guten Tag und herzlich willkommen, Herr Widmann!
Joachim Widmann: Guten Tag, danke!
Timm: Es hat ja in diesem Jahr zwei Große erwischt, eben die "Frankfurter Rundschau" und die "Financial Times". Woran hat das gelegen vor allem?
Widmann: Also ich glaube, um das vorweg zu sagen, die Krise der Presse ist das nicht. Es sind zwei Zeitungen, die sehr gut gemacht sind oder waren – die "Financial Times" ist ja schon vom Markt –, und beide hatten spezifische Probleme, die andere nicht haben. Die "Financial Times" ist auf den Markt gekommen als Print-Zeitung, wie gesagt gut gemacht, aber ohne großartige Alleinstellungsmerkmale. Im Jahr 2000, als eigentlich das Internet schon groß war.
Einen besonderen Internet-Auftritt hatte sie aber auch nicht und hat es nie geschafft, sich gegen Handelsblatt und insbesondere wahrscheinlich die "FAZ" durchzusetzen. Das ist ein spezifisches Problem. Das andere ist die "FR", die halt 20 Jahre lang versucht hat, ihrer überregionalen Bedeutung nachzuarbeiten, und dabei hat sie, was kaum jemand wusste, den Status als bedeutendste Regionalzeitung im Raum Frankfurt verloren, weil wahrscheinlich die Investitionen am anderen Ende gemacht worden sind. Das ist sehr bedauerlich, aber man kann das nicht verallgemeinern.
Timm: Zwei Stimmen weniger im überregionalen, wobei die "Frankfurter Rundschau" eben diesen Spagat nicht gemeistert hat. Das ist natürlich schade, aber das gibt es natürlich auch Alternativen für die Leser. Sie, Herr Widmann, finden die Entwicklung bei den Lokalzeitungen noch viel dramatischer. Warum?
Widmann: Zunächst mal ist es statistisch begründet. Die meisten Zeitungen in Deutschland sind Regionalzeitungen. Die genießen nicht die große Aufmerksamkeit, wenn sie Probleme haben. Haben auch nicht in dem Ausmaß die Probleme, weil sie halt auf einem relativ, jeweils ihrem eigenen konservativ strukturierten Markt sich relativ stabil behaupten können ...
Timm: Aber die Todesrate ist da noch viel höher?
Widmann: Die Todesrate – sagen wir so: Das Verschwinden der Leser ist da dasselbe. Es ist dramatisch, und auch das Nachlassen des Anzeigenmarktes ist natürlich insbesondere lokal ein Problem. Wo Immobilienanzeigen-Sites und Autoanzeigen-Sites im Internet natürlich der Zeitung, gerade der lokalen Zeitung, ihr ureigenstes Geschäft klauen.
Timm: Das sind die wirtschaftlichen Gründe. Andererseits – ich meine, wenn die Leute wirklich interessieren würde, was bei ihnen vor Ort passiert, dann würden sie ja trotzdem die Zeitung lesen. Also, nur auf das Anzeigengeschäft, kann man sich da wirklich drauf berufen?
Widmann: Nein, das Anzeigengeschäft läuft eigentlich dem Leser hinterher, und zwar dem jungen Leser. Der junge Leser, den die Zeitung braucht für die Zukunft – das Durchschnittsalter der zahlenden Leserschaft liegt in der Regel um die 60 oder darüber –, fremdelt sehr stark mit dem, was gerade Regional- und Lokalzeitungen anbieten.
Timm: Fremdeln die mit dem Medium oder fremdeln die mit der Papierform und der Tatsache, dass da immer was im Briefkasten liegt?
Widmann: Die wissen es selber oft nicht. Sie fremdeln, wenn man sie reden hört, auch mit der Papierform. Andererseits spricht Erfahrung in anderen Märkten dagegen. Nein, die fremdeln tatsächlich mit der Art, wie Inhalte rübergebracht werden, und mit den Inhalten.
Timm: Warum ist es denn so schwer, eine Lokalzeitung zu machen. Auf was für Probleme stößt man denn, wenn man eine Lokalzeitung macht, die ein überregionaler Zeitungsmacher oder Redakteur, Schreiber nicht hat?
Widmann: Es ist vor allen Dingen die Nähe.
Timm: Das ist doch die Chance!
Widmann: In der Tat! Das ist eigentlich das, was der "Financial Times" gefehlt hat, Nähe, die Alleinstellungsmerkmale und Exklusivität ermöglicht, also einen besonderen Zugang zu den Themen, die die Zeitung hat. Lokalzeitung hat es da viel leichter. Und es gibt gerade in letzter Zeit immer – also sagen wir, in den letzten 30 Jahren – immer mehr Monopolzeitungen, die in ihrem Kreis alleine sind. Das heißt, die haben eigentlich alle Möglichkeiten. Was sie aber machen, ist, in einer hoch traditionellen Art, oder was viele machen, es gibt auch andere, aber die Regel ist, in einer hoch traditionellen Art im Lokalen sehr nahe an die örtlichen Vereine, Funktionäre, an sozusagen die Häuptlinge heranzugehen und dabei den Leser aus dem Auge zu verlieren. Darf ich ein Bespiel bringen?
Timm: Ja, aber natürlich, sollten Sie!
Widmann: Der Klassiker ist zum Beispiel der: Es wird irgendwo eine Kindertagesstätte eröffnet, und berichtet wird in der Regel so, dass es dort auf dem Bild und im Text einen Schulterschluss zwischen dem Bürgermeister, dem Landrat und der Kitaleiterin gibt, die sich gegenseitig loben, und der Redakteur schreibt das so auf. Damit hat man, zumal, wenn dann drin steht, wir machen was für die jungen Eltern, tatsächlich über den Kopf derer hinweg kommuniziert, die die Zeitung eigentlich ansprechen will, nämlich gerade die möchte sie als zahlende Leser gewinnen, die sie jetzt nicht hat, Menschen unter 40, das ist eigentlich da die angesprochene Zielgruppe. Man kommuniziert über deren Köpfe hinweg ...
Timm: Man sagt, wir haben jetzt das schöne Foto vom Bürgermeister und da steht was rum – und dann ist es aber auch nicht so schade, wenn die Leute das nicht lesen wollen.
Widmann: Nein, das betrifft sie auch nicht. Aber es ist natürlich schade für die Zeitung, wenn sie genau dieses Publikum verliert, denn ...
Timm: Wie sollte sie es anders machen?
Widmann: Die Leute reinnehmen. Also mit Akteuren und Betroffenen reden und versuchen, tatsächlich auf das relevante Publikum, also das, das sie noch nicht hat, zugehen, was übrigens sehr leicht ist. Es handelt sich im Grunde um eine Art erzählerischen Journalismus, Qualitätsjournalismus. Es darf gern ein bisschen frecher sein – es müssen nicht einmal andere Themen sein – es muss auch anschaulicher werden. Lustigerweise, wenn man sich mal umhört – die sind ja eigentlich ganz gut informiert.
Junge, gebildete Leute sind in der Regel nachrichtenaffiner als jemals zuvor, weil sie halt ständig mit Medien beschäftigt sind. Sie fremdeln mit der Lokalzeitung, gerade weil sie eine Vorstellung von Qualitätsmedien haben, weil sie im Internet, weiß ich, "Spiegel online" oder so lesen. Und wenn man denen einen guten Journalismus bietet, und da gibt es Beispiele in Skandinavien, die zeigen, dass das funktioniert, online oder auch auf Papier. Online gewinnt man sie in der Regel, weil sie auf Papier noch Nichtleser sind. Dann gewinnt man sie aber auch als zahlende Leser für ein Papiermedium.
Timm: Sagt Joachim Widmann. Wir sprechen über das Zeitungssterben in Deutschland, vor allem auf lokaler Ebene. Bevor wir noch eventuell nach Skandinavien gehen, bleiben wir erst mal bei uns. Wie groß ist eigentlich das Problem für einen Lokalzeitungsmacher, dass er eben so nahe ist? Dass er den Chef der Stadtverwaltung, den er womöglich in einem Artikel kritisiert, nächste Woche in anderer Angelegenheit wieder trifft und auf jeden Fall am Wochenende auf dem Markt am Gemüsestand?
Widmann: Also Nähe ist für ihn eigentlich kein Problem, solange er sozusagen sich an die Regeln hält, die sich meistens in Jahrzehnten zwischen seinem Medium und der örtlichen Elite eingeschwungen hat.
Timm: Aber es gibt sofort Ärger, wenn man dann die Nähe mal testet.
Widmann: So ist es. Also ich habe es erlebt, dass eine Zeitung, nachdem sie versucht hatte, über den Neujahrsempfang eines Polizeifunktionärs mal etwas anderes zu berichten, als das jahrelang geschehen war, nämlich als eine Art Namensliste mit den Leuten, die ihm wichtig waren, den Hinweis einer örtlichen Brauerei erhalten hat, dass sie jetzt ihre Anzeigen stornieren müsse, weil sie nicht mehr die führende Lokalzeitung am Ort sei, wenn sie nicht so berichte, wie das der Herr Polizeichef wünsche. Das sind dann Dinge, die passieren tatsächlich in der Realität. Mit denen ist man konfrontiert. Also Nähe ist eigentlich das geringere Problem. Die Distanz zu halten, ist das Problem. Und das schaffen halt manche nicht.
Timm: Nun haben Sie von positiven Beispielen erzählt in Skandinavien, wo es Zeitungen gibt, lokal mit kleiner Auflage, aber mit großem Angebot. Ist vielleicht auch ein bisschen einfacher in einem Vier-Millionen-Land wie Norwegen, wo man zwei Städte wirklich kennt, nämlich Oslo und Bergen. Was machen die anders, was machen die so gut?
Widmann: Die machen einen kompromisslosen Qualitätsjournalismus in auch sehr aufwendigen Formaten, zum Beispiel mit viel Grafik und Foto. Man weiß, was das heißt, gerade, wenn es lokal gemacht wird. Da hilft einem keine Agentur. Die machen das aber auch aus der übrigens auch in Deutschland längst aus Leseverhaltensforschung gewonnenen Erkenntnis heraus, dass auch das ältere Publikum, das traditionsverbundenere Publikum intensiver die Zeitung liest und sich stärker an sie gebunden fühlt, die Jungen gar nicht anders zu gewinnen sind, das ist sozusagen die Bedingung, um überhaupt ein bisschen was zu bewegen im Markt, und dass sie sagen, das ist praktisch die Zukunft der Zeitung. Der Aufwand lohnt sich auch. Sie sagten Bergen: "Bergens Tidende" ist die nicht nur nach Preisen gemessen erfolgreichste Zeitung Europas ...
Timm: ... wird auch viel zitiert, auch in Presseschauen bei uns ...
Widmann: Richtig. Sie sind auch nicht nur präsent über ihren Journalismus, sondern sie gewinnen auch im Lesermarkt.
Timm: Nun haben Sie ein sperriges Wort in die Runde geworfen, nämlich Leseverhaltensforschung und -analyse, und man hat das alles – ja, warum tut man es nicht? Sind die Verleger mutlos? Woran liegt das, dass man so schwer dann wirklich das, was man weiß oder erkannt zu haben glaubt, in einer Lokalzeitung dann umsetzt?
Widmann: Also ich glaube, dass einfach Traditionen schwer zu berechnen sind. Diese Nähe ist wirklich ein Problem. Die schafft Bindungen. Die Irritation ist natürlich groß, wenn man plötzlich in den Gremien, in denen man als Unternehmer, als Verleger, als wichtige Figur in seiner Region sitzt, Menschen findet, die schlecht gelaunt über das, was in der Zeitung steht. Wenn das jahrelang nicht so war, dann fremdelt man schon stark auch mit einem Journalismus, den man eventuell sogar selbst gewollt hatte, nach skandinavischem Beispiel. Mutlosigkeit, ja, vielleicht auch Zaghaftigkeit oder vielleicht auch ein bisschen Furcht vor dem Wandel. Das darf man ja nicht vergessen, dass die Dinge sehr stark in Traditionen gefasst sind. Journalismus ist schon ein ziemlich konservatives Geschäft.
Timm: Das ist ein Schlusssatz, den man nicht so unbedingt in dem Metier so gerne erwartet. Joachim Widmann war das, er leitet die Berliner Journalisten-Schule und sprach mit uns über das Zeitungssterben, insbesondere das Lokalzeitungssterben und was man da vielleicht tun sollte und hoffentlich in 2013 dann beginnt. Herzlichen Dank für Ihren Besuch hier im Studio!
Widmann: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Über das Zeitungssterben spreche ich jetzt mit Joachim Widmann. Er ist im Studio zu Gast, leitet die Berliner Journalisten-Schule und hat vorher viele Erfahrungen als Journalist gemacht, von der Lokalzeitung bis hin zum Netzmagazin. Schönen guten Tag und herzlich willkommen, Herr Widmann!
Joachim Widmann: Guten Tag, danke!
Timm: Es hat ja in diesem Jahr zwei Große erwischt, eben die "Frankfurter Rundschau" und die "Financial Times". Woran hat das gelegen vor allem?
Widmann: Also ich glaube, um das vorweg zu sagen, die Krise der Presse ist das nicht. Es sind zwei Zeitungen, die sehr gut gemacht sind oder waren – die "Financial Times" ist ja schon vom Markt –, und beide hatten spezifische Probleme, die andere nicht haben. Die "Financial Times" ist auf den Markt gekommen als Print-Zeitung, wie gesagt gut gemacht, aber ohne großartige Alleinstellungsmerkmale. Im Jahr 2000, als eigentlich das Internet schon groß war.
Einen besonderen Internet-Auftritt hatte sie aber auch nicht und hat es nie geschafft, sich gegen Handelsblatt und insbesondere wahrscheinlich die "FAZ" durchzusetzen. Das ist ein spezifisches Problem. Das andere ist die "FR", die halt 20 Jahre lang versucht hat, ihrer überregionalen Bedeutung nachzuarbeiten, und dabei hat sie, was kaum jemand wusste, den Status als bedeutendste Regionalzeitung im Raum Frankfurt verloren, weil wahrscheinlich die Investitionen am anderen Ende gemacht worden sind. Das ist sehr bedauerlich, aber man kann das nicht verallgemeinern.
Timm: Zwei Stimmen weniger im überregionalen, wobei die "Frankfurter Rundschau" eben diesen Spagat nicht gemeistert hat. Das ist natürlich schade, aber das gibt es natürlich auch Alternativen für die Leser. Sie, Herr Widmann, finden die Entwicklung bei den Lokalzeitungen noch viel dramatischer. Warum?
Widmann: Zunächst mal ist es statistisch begründet. Die meisten Zeitungen in Deutschland sind Regionalzeitungen. Die genießen nicht die große Aufmerksamkeit, wenn sie Probleme haben. Haben auch nicht in dem Ausmaß die Probleme, weil sie halt auf einem relativ, jeweils ihrem eigenen konservativ strukturierten Markt sich relativ stabil behaupten können ...
Timm: Aber die Todesrate ist da noch viel höher?
Widmann: Die Todesrate – sagen wir so: Das Verschwinden der Leser ist da dasselbe. Es ist dramatisch, und auch das Nachlassen des Anzeigenmarktes ist natürlich insbesondere lokal ein Problem. Wo Immobilienanzeigen-Sites und Autoanzeigen-Sites im Internet natürlich der Zeitung, gerade der lokalen Zeitung, ihr ureigenstes Geschäft klauen.
Timm: Das sind die wirtschaftlichen Gründe. Andererseits – ich meine, wenn die Leute wirklich interessieren würde, was bei ihnen vor Ort passiert, dann würden sie ja trotzdem die Zeitung lesen. Also, nur auf das Anzeigengeschäft, kann man sich da wirklich drauf berufen?
Widmann: Nein, das Anzeigengeschäft läuft eigentlich dem Leser hinterher, und zwar dem jungen Leser. Der junge Leser, den die Zeitung braucht für die Zukunft – das Durchschnittsalter der zahlenden Leserschaft liegt in der Regel um die 60 oder darüber –, fremdelt sehr stark mit dem, was gerade Regional- und Lokalzeitungen anbieten.
Timm: Fremdeln die mit dem Medium oder fremdeln die mit der Papierform und der Tatsache, dass da immer was im Briefkasten liegt?
Widmann: Die wissen es selber oft nicht. Sie fremdeln, wenn man sie reden hört, auch mit der Papierform. Andererseits spricht Erfahrung in anderen Märkten dagegen. Nein, die fremdeln tatsächlich mit der Art, wie Inhalte rübergebracht werden, und mit den Inhalten.
Timm: Warum ist es denn so schwer, eine Lokalzeitung zu machen. Auf was für Probleme stößt man denn, wenn man eine Lokalzeitung macht, die ein überregionaler Zeitungsmacher oder Redakteur, Schreiber nicht hat?
Widmann: Es ist vor allen Dingen die Nähe.
Timm: Das ist doch die Chance!
Widmann: In der Tat! Das ist eigentlich das, was der "Financial Times" gefehlt hat, Nähe, die Alleinstellungsmerkmale und Exklusivität ermöglicht, also einen besonderen Zugang zu den Themen, die die Zeitung hat. Lokalzeitung hat es da viel leichter. Und es gibt gerade in letzter Zeit immer – also sagen wir, in den letzten 30 Jahren – immer mehr Monopolzeitungen, die in ihrem Kreis alleine sind. Das heißt, die haben eigentlich alle Möglichkeiten. Was sie aber machen, ist, in einer hoch traditionellen Art, oder was viele machen, es gibt auch andere, aber die Regel ist, in einer hoch traditionellen Art im Lokalen sehr nahe an die örtlichen Vereine, Funktionäre, an sozusagen die Häuptlinge heranzugehen und dabei den Leser aus dem Auge zu verlieren. Darf ich ein Bespiel bringen?
Timm: Ja, aber natürlich, sollten Sie!
Widmann: Der Klassiker ist zum Beispiel der: Es wird irgendwo eine Kindertagesstätte eröffnet, und berichtet wird in der Regel so, dass es dort auf dem Bild und im Text einen Schulterschluss zwischen dem Bürgermeister, dem Landrat und der Kitaleiterin gibt, die sich gegenseitig loben, und der Redakteur schreibt das so auf. Damit hat man, zumal, wenn dann drin steht, wir machen was für die jungen Eltern, tatsächlich über den Kopf derer hinweg kommuniziert, die die Zeitung eigentlich ansprechen will, nämlich gerade die möchte sie als zahlende Leser gewinnen, die sie jetzt nicht hat, Menschen unter 40, das ist eigentlich da die angesprochene Zielgruppe. Man kommuniziert über deren Köpfe hinweg ...
Timm: Man sagt, wir haben jetzt das schöne Foto vom Bürgermeister und da steht was rum – und dann ist es aber auch nicht so schade, wenn die Leute das nicht lesen wollen.
Widmann: Nein, das betrifft sie auch nicht. Aber es ist natürlich schade für die Zeitung, wenn sie genau dieses Publikum verliert, denn ...
Timm: Wie sollte sie es anders machen?
Widmann: Die Leute reinnehmen. Also mit Akteuren und Betroffenen reden und versuchen, tatsächlich auf das relevante Publikum, also das, das sie noch nicht hat, zugehen, was übrigens sehr leicht ist. Es handelt sich im Grunde um eine Art erzählerischen Journalismus, Qualitätsjournalismus. Es darf gern ein bisschen frecher sein – es müssen nicht einmal andere Themen sein – es muss auch anschaulicher werden. Lustigerweise, wenn man sich mal umhört – die sind ja eigentlich ganz gut informiert.
Junge, gebildete Leute sind in der Regel nachrichtenaffiner als jemals zuvor, weil sie halt ständig mit Medien beschäftigt sind. Sie fremdeln mit der Lokalzeitung, gerade weil sie eine Vorstellung von Qualitätsmedien haben, weil sie im Internet, weiß ich, "Spiegel online" oder so lesen. Und wenn man denen einen guten Journalismus bietet, und da gibt es Beispiele in Skandinavien, die zeigen, dass das funktioniert, online oder auch auf Papier. Online gewinnt man sie in der Regel, weil sie auf Papier noch Nichtleser sind. Dann gewinnt man sie aber auch als zahlende Leser für ein Papiermedium.
Timm: Sagt Joachim Widmann. Wir sprechen über das Zeitungssterben in Deutschland, vor allem auf lokaler Ebene. Bevor wir noch eventuell nach Skandinavien gehen, bleiben wir erst mal bei uns. Wie groß ist eigentlich das Problem für einen Lokalzeitungsmacher, dass er eben so nahe ist? Dass er den Chef der Stadtverwaltung, den er womöglich in einem Artikel kritisiert, nächste Woche in anderer Angelegenheit wieder trifft und auf jeden Fall am Wochenende auf dem Markt am Gemüsestand?
Widmann: Also Nähe ist für ihn eigentlich kein Problem, solange er sozusagen sich an die Regeln hält, die sich meistens in Jahrzehnten zwischen seinem Medium und der örtlichen Elite eingeschwungen hat.
Timm: Aber es gibt sofort Ärger, wenn man dann die Nähe mal testet.
Widmann: So ist es. Also ich habe es erlebt, dass eine Zeitung, nachdem sie versucht hatte, über den Neujahrsempfang eines Polizeifunktionärs mal etwas anderes zu berichten, als das jahrelang geschehen war, nämlich als eine Art Namensliste mit den Leuten, die ihm wichtig waren, den Hinweis einer örtlichen Brauerei erhalten hat, dass sie jetzt ihre Anzeigen stornieren müsse, weil sie nicht mehr die führende Lokalzeitung am Ort sei, wenn sie nicht so berichte, wie das der Herr Polizeichef wünsche. Das sind dann Dinge, die passieren tatsächlich in der Realität. Mit denen ist man konfrontiert. Also Nähe ist eigentlich das geringere Problem. Die Distanz zu halten, ist das Problem. Und das schaffen halt manche nicht.
Timm: Nun haben Sie von positiven Beispielen erzählt in Skandinavien, wo es Zeitungen gibt, lokal mit kleiner Auflage, aber mit großem Angebot. Ist vielleicht auch ein bisschen einfacher in einem Vier-Millionen-Land wie Norwegen, wo man zwei Städte wirklich kennt, nämlich Oslo und Bergen. Was machen die anders, was machen die so gut?
Widmann: Die machen einen kompromisslosen Qualitätsjournalismus in auch sehr aufwendigen Formaten, zum Beispiel mit viel Grafik und Foto. Man weiß, was das heißt, gerade, wenn es lokal gemacht wird. Da hilft einem keine Agentur. Die machen das aber auch aus der übrigens auch in Deutschland längst aus Leseverhaltensforschung gewonnenen Erkenntnis heraus, dass auch das ältere Publikum, das traditionsverbundenere Publikum intensiver die Zeitung liest und sich stärker an sie gebunden fühlt, die Jungen gar nicht anders zu gewinnen sind, das ist sozusagen die Bedingung, um überhaupt ein bisschen was zu bewegen im Markt, und dass sie sagen, das ist praktisch die Zukunft der Zeitung. Der Aufwand lohnt sich auch. Sie sagten Bergen: "Bergens Tidende" ist die nicht nur nach Preisen gemessen erfolgreichste Zeitung Europas ...
Timm: ... wird auch viel zitiert, auch in Presseschauen bei uns ...
Widmann: Richtig. Sie sind auch nicht nur präsent über ihren Journalismus, sondern sie gewinnen auch im Lesermarkt.
Timm: Nun haben Sie ein sperriges Wort in die Runde geworfen, nämlich Leseverhaltensforschung und -analyse, und man hat das alles – ja, warum tut man es nicht? Sind die Verleger mutlos? Woran liegt das, dass man so schwer dann wirklich das, was man weiß oder erkannt zu haben glaubt, in einer Lokalzeitung dann umsetzt?
Widmann: Also ich glaube, dass einfach Traditionen schwer zu berechnen sind. Diese Nähe ist wirklich ein Problem. Die schafft Bindungen. Die Irritation ist natürlich groß, wenn man plötzlich in den Gremien, in denen man als Unternehmer, als Verleger, als wichtige Figur in seiner Region sitzt, Menschen findet, die schlecht gelaunt über das, was in der Zeitung steht. Wenn das jahrelang nicht so war, dann fremdelt man schon stark auch mit einem Journalismus, den man eventuell sogar selbst gewollt hatte, nach skandinavischem Beispiel. Mutlosigkeit, ja, vielleicht auch Zaghaftigkeit oder vielleicht auch ein bisschen Furcht vor dem Wandel. Das darf man ja nicht vergessen, dass die Dinge sehr stark in Traditionen gefasst sind. Journalismus ist schon ein ziemlich konservatives Geschäft.
Timm: Das ist ein Schlusssatz, den man nicht so unbedingt in dem Metier so gerne erwartet. Joachim Widmann war das, er leitet die Berliner Journalisten-Schule und sprach mit uns über das Zeitungssterben, insbesondere das Lokalzeitungssterben und was man da vielleicht tun sollte und hoffentlich in 2013 dann beginnt. Herzlichen Dank für Ihren Besuch hier im Studio!
Widmann: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.