Plädoyer für weiteren Dialog mit Koordinierungsrat der Muslime

Andreas Pinkwart plädiert für einen weiteren Dialog mit dem Koordinierungsrat der Muslime. Dieser hatte seine Unterstützung für den Lehrstuhl an der Uni Münster, der islamische Religionslehrer ausbildet, zurückgezogen, nachdem der dort lehrende Islamwissenschaftler Muhammad Sven Kalisch die historische Existenz des Propheten Mohammed angezweifelt hatte. Seine wissenschaftliche Arbeit bleibe garantiert, so der NRW-Forschungsminister.
Dieter Kassel: Seit 2004 werden an der Universität Münster Lehrer für islamischen Religionsunterricht ausgebildet, ein Vorzeigeprojekt des Landes Nordrhein-Westfalen, über das immer wieder gerne berichtet wurde. Wenn aber in den letzten Wochen darüber berichtet wurde, dann nicht mehr in so ganz positivem Zusammenhang. Denn der Mann, der in Münster zuständig sein soll für die Ausbildung der Religionslehrer, der deutsche Muslim Muhammad Sven Kalisch, hat öffentlich gesagt, dass es keine historischen Beweise dafür gibt, dass der Prophet Mohammed wirklich gelebt hat und dass er persönlich deshalb auch eher der Ansicht zuneige, das sei auch gar nicht so gewesen. Seit er das gesagt hat, gab es erwartungsgemäß Proteste, und der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland hat seine Unterstützung für den Lehrstuhl in Münster und für die Ausbildung der Religionslehrer zurückgenommen. Das zuständige Ministerium hat nun entschieden, dass der zweite Lehrstuhl, der überhaupt ohnehin geplant gewesen ist, nun mit jemandem besetzt werden soll, der für die Ausbildung der Religionslehrer zuständig ist, und Muhammad Sven Kalisch soll das nicht mehr sein. Der zuständige Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen ist der FDP-Politiker Andreas Pinkwart. Schönen guten Tag, Herr Pinkwart!

Andreas Pinkwart: Guten Tag, ich grüße Sie!

Kassel: War das eine Entscheidung, die Sie treffen mussten und die vielleicht zusammen mit der Uni noch getroffen werden muss, eine Entscheidung, die letzten Endes bedeutet, entweder Freiheit der Forschung oder friedliche Zusammenarbeit mit den muslimischen Verbänden?

Pinkwart: Wir führen ja in Nordrhein-Westfalen nach dem Hochschulfreiheitsgesetz nicht mehr die Fachaufsicht über die Hochschulen, sondern nur die Rechtsaufsicht. Und hier ist es so, dass die Hochschule selbst die Entscheidung so getroffen hat, in der Sache, wie Sie es dargestellt haben. Wir haben mit der Hochschulleitung unsererseits auf Vorschlag der Hochschule uns dazu bereit erklärt, dass bei der jetzt anstehenden Berufung eines zweiten Lehrstuhls, wofür wir im vergangenen Jahr bereits die Mittel zusätzlich bereitgestellt hatten, uns darum bemühen würden, eine entsprechende Vermittlung hin zu den islamischen Verbänden dann vorzunehmen, wenn die Hochschule ihre Berufungsentscheidung getroffen hat.

Kassel: Sind Sie sich denn vollkommen sicher, Herr Pinkwart, dass jemand wie Muhammad Sven Kalisch nun nicht mehr Religionslehrer ausbilden sollte? Ist das sozusagen für Sie schon erledigt?

Pinkwart: Es ist so, dass die Hochschule selbst mit Herrn Kalisch ja auch sich ausgetauscht hat darüber und entschieden hat, dass er jetzt an der entsprechenden Lehrerausbildung nicht mehr mitwirkt, an der er bislang auch nur einen kleineren Anteil wahrgenommen hat, denn die Lehrleistung ist auch in erheblichem Umfange wohl von entsprechenden Lehrbeauftragten schon in den letzten Jahren vorgenommen worden.

Kassel: Wir haben mit Muhammad Sven Kalisch gestern hier im Deutschlandradio Kultur gesprochen und natürlich danach auch gefragt. Ihm ist ja nun klar, es ist unstrittig, dass er wahrscheinlich nicht mehr seinen Anteil haben wird an der Ausbildung von Religionslehrern. Und er hat sich dazu gestern folgendermaßen bei uns geäußert:

Muhammad Sven Kalisch: Wenn es darum geht, die Kinder aus den Koranschulen herauszuholen, kann es ja wohl keine Lösung sein, die Koranschulen an die staatlichen Schulen zu holen. Ich denke, ein moderner Religionsunterricht muss für ganz bestimmte kritische Fragen auch für eine Erziehung zu einer kritischen Religionsmündigkeit geeignet sein. Und dazu gehört es selbstverständlich, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Wann sollen sie denn so weit sein? Irgendwann muss die Diskussion ja mal angestoßen werden. Irgendwann muss es auch mal ein Muslim machen.

Kassel: Soweit Muhammad Sven Kalisch gestern in unserem Programm. Wir reden jetzt mit dem zuständigen Innovations- und Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen, Andreas Pinkwart. Herr Pinkwart, also mir ist das durchaus nachvollziehbar, was er da gesagt hat, denn warum sollte nicht ein moderner Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen auch im Islam ein bisschen anders sein als bisher islamischer Unterricht, wie, wenn ich ihn zitieren darf, er gerade gesagt, in irgendwelchen Hinterhofmoscheen?

Pinkwart: Ja, genau das wünschen wir uns ja, dass das endlich in den Schulen auch stattfinden kann. Im Übrigen sieht unsere Landesverfassung das auch so vor, dass wir auch einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht haben. Aber dann muss eben auch sichergestellt sein können, dass ein solcher bekenntnisorientierter Religionsunterricht von der jeweiligen Religionsgemeinschaft auch als solcher Anerkennung findet. Sonst wird es diese Öffnung ja nicht geben, sondern die Eltern dieser Kinder werden weiter etwa in dem Falle auf die Koranschulen zurückgreifen, was wir ja gerade überwinden wollen. Deswegen muss man sich aufeinander zu bewegen, man muss wechselseitig sich um Akzeptanz bemühen, und das ist ja auch über viele Jahre dort in Münster geschehen, das darf man nicht verkennen.

Kassel: Wobei es aber, Herr Pinkwart, Entschuldigung, da ja auch immer wieder Schwierigkeiten gab, denn das Grundproblem ist ja immer noch, dass der Koordinierungsrat der Muslime ja nun die Muslime nicht so vertreten kann, wie die EKD die evangelischen Christen. Ich meine, das kann man nicht vergleichen.

Pinkwart: Sie haben ja völlig recht, aber wir müssen auch sehen, dass der Koordinierungsrat bei der seinerzeitigen Konstruktion schon dieser Lehrerausbildung in Münster in den Beirat hineinberufen worden ist, eben genau mit der Zielsetzung, eine gewisse wechselseitige Akzeptanz auch herstellen zu können. Und durch die jüngeren Ereignisse ist es dazu gekommen, dass er sich zurückgezogen hat. Also ist es doch richtig, nach Wegen zu suchen, wie wir hier uns wieder stärker aufeinander zu bewegen können. Das ist ja nur die Zielsetzung, wobei man eben auch schauen muss, ob das tatsächlich gelingt. Wir haben hier vielfältige Anstrengungen, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, wo wir ja modellhaft für Deutschland überhaupt arbeiten, sondern auch an anderer Stelle, wenn ich an die Integrationsbemühungen auch der Bundesregierung denke, in den islamischen Verbänden auch die Anknüpfungspunkte überhaupt zu finden, wenigstens annäherungsweise, die wir bei den anderen Religionsgemeinschaften vorfinden, die nun auch wie die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts ohnehin ja ganz anders organisiert sind. Aber dieses Bemühen, meine ich, ist sinnvoll, wir müssen es versuchen, wir wollen es versuchen. Das kann nicht um jeden Preis geschehen, das will ich hier auch noch mal deutlich machen. Denn die Universität Münster wie auch ich haben ganz deutlich gemacht, dass die Freiheit von Forschung und Lehre in keiner Weise dadurch eingeschränkt werden wird und werden kann. Die ist nicht nur grundgesetzlich garantiert, sondern sie ist ja auch Ausdruck unserer freiheitlichen Verfassung, unseres Selbstverständnisses dazu. Gleichwohl muss man natürlich …

Kassel: Aber das ist doch, Herr Pinkwart …

Pinkwart: Ja, das ist doch das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, auch mit den anderen Religionen, das darf man nicht verkennen.

Kassel: Aber da gibt es ja Unterschiede. Ich meine, nun kann zwar eine andere Religion sagen, wenn jemand behauptet, Jesus Christus hätte nie gelebt, darf er keinen Religionsunterricht geben, da gibt es ja auch feste Verträge. Dennoch darf der aber forschen und rausfinden, hat der gelebt oder nicht.

Pinkwart: Das ist das gleiche wie bei Herrn Kalisch auch.

Kassel: Na ja, aber der Koordinierungsrat hat ja gesagt, darüber kann man nicht diskutieren, das steht nicht zur Debatte, ob Mohammed eine wirkliche historische Figur war oder nicht.

Pinkwart: Ja, aber wir haben das, wenn man den Vergleich soweit überhaupt anstrengen will, natürlich auch bei anderen Theologen in der Vergangenheit gesehen, die sich sehr grundsätzlich anders geäußert haben, und dann, nun kann man sagen, da gibt es Verträge, aber die dann eben auch die notwendige Unterstützung ihrer Religionsgemeinschaft und Anerkennung nicht mehr gefunden haben, mit der Folge, dass sie an der Religionslehrerausbildung nicht mehr haben mitwirken können, sondern ihre wissenschaftliche Arbeit, natürlich vollkommen geschützt, aber dann an einem anderen Lehrstuhl haben fortsetzen können. Und das Gleiche ist hier für Herrn Kalisch allemal auch garantiert. Und ich möchte noch eins hinzufügen: Wenn wir uns darum bemühen, auch in Zukunft eine Gesprächsbasis zu finden zu den Muslimen, dann werden wir nur Gespräche mit jenen führen, die öffentlich sich auch ganz klar distanzieren von Androhungen, wie sie Herrn Kalisch gegenüber etwa gemacht werden. Das können wir als freiheitlicher Rechtsstaat in keiner Weise akzeptieren, sondern hier sind natürlich die Grundrechte zu wahren und unser Wertesystem voll anzuerkennen, sonst kann man solche Gespräche erst gar nicht aufnehmen.

Kassel: Nun stellen wir uns mal Folgendes vor: Das Auswahlverfahren an der Universität Münster für diesen neuen Lehrstuhl, um Missverständnisse zu vermeiden, kein Ersatz für Kalisch, aber der zweite Lehrstuhl, der eh geplant ist, das Auswahlverfahren ist abgeschlossen, man hat sich, die Gremien, die in Münster zuständig sind, auf eine Kandidatin, einen Kandidaten geeinigt, Sie, wie erwähnt, versuchen dann zu vermitteln, auch mit den muslimischen Verbänden, dem Koordinationsrat. Die Uni ist sich sicher, wir wollen diesen Kandidaten, und der Koordinationsrat sagt, mit dem können wir nicht leben. Was ist dann?

Pinkwart: Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um über solche Situationen zu spekulieren. Wir haben eine neue Situation in Münster, nachdem wir jahrelang uns um eine Abstimmung über den Beirat ja auch intensiv bemüht hatten. Jetzt müssen wir versuchen, die Dinge auf eine andere Grundlage zu stellen. Wir sehen, dass das auch an anderen Stellen, Anerkennung Religionslehrerunterricht und andere Fragestellungen auch im Bereich der Innenpolitik bislang in Deutschland nicht leicht sich organisieren lässt. Wir stehen also hier vor einer großen Herausforderung. Wir wollen sie annehmen, aber es ist viel zu früh, jetzt Spekulationen abzugeben, was in der jeweiligen Entscheidungssituation sich ereignen wird.

Kassel: Aber Nordrhein-Westfalen ist natürlich mit so einem Pilotprojekt durchaus, hat eine Verantwortung, die über das Bundesland allein hinausgeht. Ich meine, wenn Sie nun sich zum Beispiel mit dem Koordinierungsrat der Muslime auf einen Religionsunterricht, und da werden ja die Weichen für gestellt mit diesem Lehrstuhl in Münster, dem zweiten, auf einen Religionsunterricht einigen, der dann doch sehr islamisch-konservativ ist, dann haben Sie einen Präzedenzfall, der dann auch die anderen Bundesländer betrifft.

Pinkwart: Ich glaube, dass wir uns unserer Verantwortung sehr bewusst sind. Es gibt eine große Unterstützung in Deutschland dafür, auch seitens der Kirchen und anderer, dass wir uns hier darum bemühen, auch die Muslime in unserer Gesellschaft so aufzunehmen, dass es zu einer echten Integration auch kommen kann. Das wird von den Kultusministern genauso versucht, was die Religionslehre in den Schulen anbetrifft, wie auch bei uns in Nordrhein-Westfalen an den Hochschulen, um überhaupt eine Voraussetzung für eine entsprechende Lehrerausbildung schaffen zu können. Wir wollen den Versuch unternehmen und schauen, wie wir das in Zukunft weiterentwickeln können, damit das, was in Münster ja gut begonnen worden ist, auch mit Herrn Kalisch sehr gut begonnen worden ist, in einer Weise fortführen zu können, die zweierlei Rechnung trägt: Einerseits, dass wir zu einer besseren Integration kommen können, und auf der anderen Seite, dass die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert ist.

Kassel: Ich danke Ihnen. Das war der FDP-Politiker Andreas Pinkwart, der nordrhein-westfälische Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie darüber, wie es nun weitergehen soll mit der Ausbildung von Religionslehrern für islamischen Religionsunterricht an der Universität Münster. Herr Pinkwart, vielen Dank!

Pinkwart: Ja, danke Ihnen!
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