Plädoyer fürs Hier und Jetzt

Der Autor des Buches "Zeit als Lebenskunst", Olaf Georg Klein, ist Coach von Führungskräften. Statt uns von anderen hetzen zu lassen und unter der Angst zu leiden, etwas zu versäumen, meint er, sollten wir die Begrenztheit unseres Lebens als Glück ansehen. Nur so sei die volle Anwesenheit in der Gegenwart erlebbar.
Die Entdeckung der Langsamkeit vor einigen Jahrzehnten verträgt sich gut mit Höchstgeschwindigkeiten auf deutschen Autobahnen, mit dem als Multitasking bekannten gleichzeitigen Tun in Privatleben und Beruf sowie mit der Konjunktur aufwändiger Zeitmanagementsysteme. Einen umfassenderen Zugang zum Thema verspricht die jüngste, aber sicher nicht letzte Veröffentlichung mit einem auf die Philosophie der Antike verweisenden Titel: "Zeit als Lebenskunst" von Olaf Georg Klein.

Just dieser Titel ist allerdings misslungen: Nur der Umgang mit Zeit kann Gegenstand einer Lebenskunst sein. Denn Zeit, das zeigt der Autor und Coach von Führungskräften sehr ausführlich, ist ein menschliches Konstrukt, um Veränderungen zu messen. Die Zeit hat keine eigenständige Realität wie der Raum. Auch daher existieren mehrere Varianten von ihr: etwa die Ereigniszeit (das Reifen von Früchten dauert mal länger, mal kürzer) oder die mechanische, in stets gleiche Einheiten unterteilte Zeit unserer Uhren. Menschen erleben die Zeit nicht stets gleich, was der Nobelpreisträger und Erfinder der Relativitätstheorie Albert Einstein prägnant ausdrückte: Zwei Stunden mit einer Geliebten seien relativ kurz, zwei Minuten auf einer heißen Herdplatte relativ lang.

Den Vorstellungen von Zeit können zyklische Modelle zugrunde liegen (die Wiederkehr der Jahreszeiten, die Seelenwanderung im Hinduismus) oder auch lineare (die jüdisch-christliche Geschichte strebt einem Ziel zu). Eile ist unsinnig, verläuft die Zeit kreisförmig – vergeht sie linear, ist Eile dagegen sinnvoll. "Unbewusst" seien diese Zeitmodelle, die unser Verhalten steuern, meint Klein, und klärt mit erheblicher Beredsamkeit über sie auf. Bewusstheit ist ihm die Voraussetzung für einen souveränen Umgang mit der Zeit.

Die Erklärungen rennen allerdings eine Vielzahl offener Türen ein: Dass Zeit nicht Geld sei, man es nicht sparen oder kaufen könne, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Statt uns von anderen hetzen zu lassen und unter der Angst zu leiden, etwas zu versäumen, so Klein, sollten wir die Begrenztheit unseres Lebens als Glück ansehen. Erst dann können wir zurückgewinnen, "was wir vor lauter Weltmöglichkeiten fast schon vergessen haben – die volle und ungeteilte Anwesenheit in der Gegenwart".

Auf diesen schlichten Kern also läuft der rhetorische Aufwand bis hin zum "ideologischen Verblendungszusammenhang" hinaus, den Klein in vielen Zeitvorstellungen sieht. Dafür also all die Zitate von Aristoteles bis Marcuse, die Klein im Plädoyer fürs "Hier und Jetzt" mit einem tiefen Griff in die esoterische Mottenkiste kombiniert: Rhythmus statt Takt, dazu Körperlichkeit, Balance, Entspannung, Achtsamkeit, Tiefendimension sowie eine nicht weiter erläuterte "Flowerfahrung". Falsch muss das alles nicht sein, neu ist es nicht, und überzeugend wird es auch dann nicht, wenn Klein sein Credo wie eine Litanei wiederholt. Am Ende behauptet der Autor, der souveräne Umgang mit Zeit sei ein Beitrag zu einem "emanzipatorischen Gesamtprozess" der Gesellschaft. Da wünscht der Rezensent dann doch, er wäre souveräner mit der Zeit für die Lektüre dieses Bandes umgegangen.

Rezensiert von Jörg Plath

Olaf Georg Klein, Zeit als Lebenskunst.
Verlag Klaus Wagenbach. Berlin 2007. 208 S., 18,90 Euro