Plädoyer gegen einen Brachial-Atheismus
Richard Dawkins' Buch "Der Gotteswahn" hat sich zu einem veritablen Bestseller entwickelt und ruft auch Gegner auf den Plan, darunter nicht nur verletzte Gläubige, sondern auch Agnostiker wie den Philosophieprofessor Peter Strasser. Der will die Grenzen des menschlichen Denkens aufzeigen und erinnert mit Kant daran, dass die menschliche Würde und Freiheit einen metaphysischen Ursprung hat.
Das Buch "Der Gotteswahn" des Oxforder Evolutionsbiologen Richard Dawkins wurde als "furiose Streitschrift wider die Religion" annonciert, verkaufte sich in einem knappen Jahr 160.000 mal und ließ deutsche Rezensenten wie den 3sat-Moderator Gerd Scobel von "erhellender Aufklärung" jubeln. "The Brights", die hellen Köpfe, nennen sich die neuen Atheisten im Internet und widersprochen wurde ihnen, wen wundert's, zunächst von bekennenden Christen. Vom rheinischen Katholiken Manfred Lütz in seinem launigen Bestseller "Gott. Kleine Geschichte des Größten" zum Beispiel.
Nun hat aber auch einer die Nase voll von Dawkins, der ist weder gläubig noch kirchenfreundlich. Der hat seinen Immanuel Kant gelesen und protestiert deshalb im Namen eines aufgeklärten Agnostizismus: Peter Strasser, Professor für Rechtsphilosophie und praktische Ethik an den Universitäten Graz und Klagenfurt. Wem die Fußball-EM in Strassers Heimat noch erinnerlich ist, mag die 112 Seiten seines Buches als ein spannendes Geistes-Dribbling nebst rasanten Konterpässen mit etlichen genialen Torschüssen verstehen.
Zunächst korrigiert Strasser die landläufige Meinung, im Gegensatz zum harten Atheisten ("Gott existiert nicht !") sei der weiche Agnostiker ("Ich weiß nicht, ob er existiert") einfach nur zu feige, eine Position einzunehmen:
"Das sokratische 'Ich weiß, dass ich nichts weiß' war ja nicht das Ergebnis von Denkfaulheit, sondern Ausdruck eines tiefen Verständnisses davon, was es heißt, an die Grenzen des eigenen Denkens gestoßen zu sein."
An die Grenzen des menschenmöglichen Denkens und Redens stößt aber jeder, der sich ernsthaft mit Gott beschäftigt:
"Elementarteilchen, Photonen oder Quarks sind unseren Sinnen nicht unmittelbar zugängliche Gegenstände, die aber unabhängig davon existieren, ob wir Wissenschaftler sie in unseren Begriffen und Theorien erfassen oder nicht. Gott ist kein Gegenstand der Realität wie jeder andere und so vermögen wir zwischen dem Begriff 'Gott' und dem Gegenstand 'Gott' nur schlecht oder gar nicht zu unterscheiden. Kurz: Wir wissen nicht, worüber wir sprechen, wenn wir von Gott sprechen."
Nur Richard Dawkins und seine "Hellen" wissen immer genau, auf welchen Gott sie schlecht zu sprechen sind. Und weil der sich bestürzend wenig von den magischen oder mindestens mythologischen Gottesbegriffen der religiös Naiven unterscheidet, weil Dawkins die Bibel exakt so liest, wie ein Fundamentalist sie lesen würde, nennt Strasser das "Brachial-Atheismus". Was den Grazer Philosophen außerdem ärgert: Die "Totalkompetenzanmaßung der Naturwissenschaft". Wenn Gott nur eine ehemals nützliche, heute aber verzichtbare Illusion eines bestimmten Gehirnlappens war, Religiosität nur eine fehlerhafte Nebenwirkung der Evolution und Liebe ein hormonelles Dopingergebnis; wenn nicht der Mensch Gene hat, sondern das Gen den Menschen als Wirtstier benutzt - dann, so Strasser, wird es Zeit, diesem brutalen, seelenlosen Naturalismus mit Kant entgegenzutreten.
Der empfahl schon 1784 in seiner Schrift "Was ist Aufklärung" nämlich, "den Menschen, der nun mehr als eine Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln." Peter Strasser dazu:
"Die Menschenwürde ist Ausdruck unser Vernunft und Freiheit. Aufklärung nach Kant ist aber nur möglich unter der Voraussetzung, dass es einen metaphysischen Ursprungsort von Würde, Vernunft und Freiheit gibt. Dieser Ort ist zugegebermaßen ein Mysterium. Die Werte, denen die Aufklärung ihre Autorität und Rechtfertigung verdanken, sind nicht innerhalb von Mechanismus und Macht entstanden. Man möchte mit Wittgenstein sagen: Sie sind nur etwas wert, wenn sie nicht von dieser Welt sind."
Gegen welchen Gott ziehen die "neuen" Alt-Atheisten vom Schlage eines John Dupre in Exeter, eines Paul Bloom an der Yale Universität in den USA, eines Michel Onfrays in Frankreich oder Franz Buggles in Deutschland eigentlich zu Felde? "Gegen den Gott des Mythos, den Gott von Descartes, Spinoza und Kant, den Gott der Juden, der Christen oder der Moslems, den Gott aller Menschen oder sogar den abwesenden Gott?", fragt Peter Strasser und legt in seinem Traktat eine Art agnostisches Glaubensbekenntnis ab:
"Mir scheint die am besten vertretbare Antwort auf die Gretchenfrage noch immer die von Goethes Faust zu sein: Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn? Wer empfinden und sich unterwinden zu sagen: Ich glaub ihn nicht?!"
Der österreichische Rechtsphilosoph und Ethiker Strasser - "der Katholizismus war für uns ein verschrumpeltes Gummikrokodil, seine Erbsündenlehre und sein Höllenschlund konnten uns nicht schrecken" - möchte bei aller eigenen Religionskritik trotzdem nicht in jener religionslosen Gesellschaft leben, die die "Brights" anstreben. Zwar verträten sie nicht "die Lehren bisher realisierter atheistischer Gesellschaften von Stalins Reich des Gulag über Maos kulturrevolutionären Terror bis zum Steinzeitkommunismus Nordkoreas", aber: Eine weltanschaulich neutrale, säkularisierte Demokratie sei nun mal etwas anderes als ein mit Staatsmacht ausgestatteter Biologismus und Sozialdarwinismus, wie ihn Richard Dawkins antizipiere.
"Warum überhaupt Religion?" ist schwerer Stoff, aber kein "schweres" Buch. Strasser formuliert leicht und streckenweise sogar humorvoll, wobei sein Humor wohl nur bei jenen zünden dürfte, denen sowohl Dawkins' "Gotteswahn" als auch Goethes "Faust" und Nietzsches "Zarathustra" halbwegs vertraut sind.
Den Lesefluss und die Leselust ins Stocken bringt der Autor allerdings immer dann, wenn er - ganz der Professor - allzu selbstreferenziell in endlosen Fußnoten auf bisherige Werke verweist. Davon abgesehen jedoch wäre dem kleinen klugen Buch aus dem kleinen feinen Verlag wenigstens die Hälfte der Dawkin'schen Massenauflage zu wünschen.
Rezensiert von Andreas Malessa
Peter Strasser: Warum überhaupt Religion? Der Gott, der Richard Dawkins schuf
Wilhelm Fink Verlag München und Paderborn 2008
112 Seiten. 12, 80 Euro
Nun hat aber auch einer die Nase voll von Dawkins, der ist weder gläubig noch kirchenfreundlich. Der hat seinen Immanuel Kant gelesen und protestiert deshalb im Namen eines aufgeklärten Agnostizismus: Peter Strasser, Professor für Rechtsphilosophie und praktische Ethik an den Universitäten Graz und Klagenfurt. Wem die Fußball-EM in Strassers Heimat noch erinnerlich ist, mag die 112 Seiten seines Buches als ein spannendes Geistes-Dribbling nebst rasanten Konterpässen mit etlichen genialen Torschüssen verstehen.
Zunächst korrigiert Strasser die landläufige Meinung, im Gegensatz zum harten Atheisten ("Gott existiert nicht !") sei der weiche Agnostiker ("Ich weiß nicht, ob er existiert") einfach nur zu feige, eine Position einzunehmen:
"Das sokratische 'Ich weiß, dass ich nichts weiß' war ja nicht das Ergebnis von Denkfaulheit, sondern Ausdruck eines tiefen Verständnisses davon, was es heißt, an die Grenzen des eigenen Denkens gestoßen zu sein."
An die Grenzen des menschenmöglichen Denkens und Redens stößt aber jeder, der sich ernsthaft mit Gott beschäftigt:
"Elementarteilchen, Photonen oder Quarks sind unseren Sinnen nicht unmittelbar zugängliche Gegenstände, die aber unabhängig davon existieren, ob wir Wissenschaftler sie in unseren Begriffen und Theorien erfassen oder nicht. Gott ist kein Gegenstand der Realität wie jeder andere und so vermögen wir zwischen dem Begriff 'Gott' und dem Gegenstand 'Gott' nur schlecht oder gar nicht zu unterscheiden. Kurz: Wir wissen nicht, worüber wir sprechen, wenn wir von Gott sprechen."
Nur Richard Dawkins und seine "Hellen" wissen immer genau, auf welchen Gott sie schlecht zu sprechen sind. Und weil der sich bestürzend wenig von den magischen oder mindestens mythologischen Gottesbegriffen der religiös Naiven unterscheidet, weil Dawkins die Bibel exakt so liest, wie ein Fundamentalist sie lesen würde, nennt Strasser das "Brachial-Atheismus". Was den Grazer Philosophen außerdem ärgert: Die "Totalkompetenzanmaßung der Naturwissenschaft". Wenn Gott nur eine ehemals nützliche, heute aber verzichtbare Illusion eines bestimmten Gehirnlappens war, Religiosität nur eine fehlerhafte Nebenwirkung der Evolution und Liebe ein hormonelles Dopingergebnis; wenn nicht der Mensch Gene hat, sondern das Gen den Menschen als Wirtstier benutzt - dann, so Strasser, wird es Zeit, diesem brutalen, seelenlosen Naturalismus mit Kant entgegenzutreten.
Der empfahl schon 1784 in seiner Schrift "Was ist Aufklärung" nämlich, "den Menschen, der nun mehr als eine Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln." Peter Strasser dazu:
"Die Menschenwürde ist Ausdruck unser Vernunft und Freiheit. Aufklärung nach Kant ist aber nur möglich unter der Voraussetzung, dass es einen metaphysischen Ursprungsort von Würde, Vernunft und Freiheit gibt. Dieser Ort ist zugegebermaßen ein Mysterium. Die Werte, denen die Aufklärung ihre Autorität und Rechtfertigung verdanken, sind nicht innerhalb von Mechanismus und Macht entstanden. Man möchte mit Wittgenstein sagen: Sie sind nur etwas wert, wenn sie nicht von dieser Welt sind."
Gegen welchen Gott ziehen die "neuen" Alt-Atheisten vom Schlage eines John Dupre in Exeter, eines Paul Bloom an der Yale Universität in den USA, eines Michel Onfrays in Frankreich oder Franz Buggles in Deutschland eigentlich zu Felde? "Gegen den Gott des Mythos, den Gott von Descartes, Spinoza und Kant, den Gott der Juden, der Christen oder der Moslems, den Gott aller Menschen oder sogar den abwesenden Gott?", fragt Peter Strasser und legt in seinem Traktat eine Art agnostisches Glaubensbekenntnis ab:
"Mir scheint die am besten vertretbare Antwort auf die Gretchenfrage noch immer die von Goethes Faust zu sein: Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub ihn? Wer empfinden und sich unterwinden zu sagen: Ich glaub ihn nicht?!"
Der österreichische Rechtsphilosoph und Ethiker Strasser - "der Katholizismus war für uns ein verschrumpeltes Gummikrokodil, seine Erbsündenlehre und sein Höllenschlund konnten uns nicht schrecken" - möchte bei aller eigenen Religionskritik trotzdem nicht in jener religionslosen Gesellschaft leben, die die "Brights" anstreben. Zwar verträten sie nicht "die Lehren bisher realisierter atheistischer Gesellschaften von Stalins Reich des Gulag über Maos kulturrevolutionären Terror bis zum Steinzeitkommunismus Nordkoreas", aber: Eine weltanschaulich neutrale, säkularisierte Demokratie sei nun mal etwas anderes als ein mit Staatsmacht ausgestatteter Biologismus und Sozialdarwinismus, wie ihn Richard Dawkins antizipiere.
"Warum überhaupt Religion?" ist schwerer Stoff, aber kein "schweres" Buch. Strasser formuliert leicht und streckenweise sogar humorvoll, wobei sein Humor wohl nur bei jenen zünden dürfte, denen sowohl Dawkins' "Gotteswahn" als auch Goethes "Faust" und Nietzsches "Zarathustra" halbwegs vertraut sind.
Den Lesefluss und die Leselust ins Stocken bringt der Autor allerdings immer dann, wenn er - ganz der Professor - allzu selbstreferenziell in endlosen Fußnoten auf bisherige Werke verweist. Davon abgesehen jedoch wäre dem kleinen klugen Buch aus dem kleinen feinen Verlag wenigstens die Hälfte der Dawkin'schen Massenauflage zu wünschen.
Rezensiert von Andreas Malessa
Peter Strasser: Warum überhaupt Religion? Der Gott, der Richard Dawkins schuf
Wilhelm Fink Verlag München und Paderborn 2008
112 Seiten. 12, 80 Euro