Plädoyer gegen schlampigen Atheismus

Manfred Lütz, Chefarzt eines psychiatrischen Krankenhauses, ist bekannt dank seiner Bestseller "Der blockierte Riese" und "Lebenslust". Mit dem einen liefert er dem Untertitel gemäß eine "Psychoanalyse der katholischen Kirche", mit dem anderen wettert er ironisch gegen den Fitness-Kult.
Es wundert daher nicht, dass sich Lütz, der "fünf Jahre lang gründlich Theologie studiert" hat, dem Thema "Gott" nunmehr direkt zuwendet. In seinem neuen Buch kommen - wie für eine Gotteslehre in Europa üblich - der Gott der Philosophen und der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs in den Blick. Darüber hinaus sind auch dem Gott der Atheisten, der Kinder, der Lehrer und der Wissenschaftler einzelne Kapitel gewidmet.

Auf rund 300 Seiten ist der Autor bemüht, "mit einem gescheiten, aber nicht überkandidelten Zeitgenossen ein Gespräch über Gott" zu führen. Einwände gegen die Existenz Gottes kommen ebenso zu Wort wie Argumente für die Existenz des Größten. Bei seinen unterhaltsamen Plädoyers gegen schlampigen Atheismus und frömmelnden Glauben geht Lütz von der Annahme aus:

"Wer an Gott glaubt, lebt anders als der, der nicht an Gott glaubt."

Die Gottesfrage geht daher alle an. Sie ist keine Frage für Spezialisten. Folglich schreibt Lütz ohne kompliziertes Theologendeutsch. Ein begrüßenswertes Unterfangen angesichts der Wiederkehr von Religion und religiös unmusikalischer sowie theologisch ungebildeter Zeitgenossen.

Bisweilen jedoch schießt der Psychiater und Theologe über das Ziel hinaus und kalauert. Muss es "Expeditionen durch den Feuerbach" heißen, wenn das Argument des gleichnamigen Hegel-Schülers - Gott als Projektion des Menschen - vorgestellt und als "Sahnetortenbeweis" abgetan wird?

Respekt zeigt Lütz gegenüber Nietzsche. Dessen Gedanken vom Übermenschen und vom Ende aller Moral sind für den Autor eine "wirkliche Alternative" zum Gottesglauben.

"Will man heute wirklich Atheist sein, dann sage man, ob man die notwendigen Konsequenzen, die Nietzsche in aller Klarheit und Dichte formuliert hat, auch zu ziehen bereit ist, oder ob man sich nur darin gefällt, ein atheistischer Partylöwe zu sein."

Zweimal kommt das Thema "Psychologie und Gott" in den Blick, und zweimal geht der studierte Theologe und praktizierende Arzt näher ein auf Musik und Kunst, die uns "über die rein materielle Basis unseres Lebens" erheben. Michelangelos Pietá als Gottesbeweis?

"In diesem herrlich modellierten Christus hat Michelangelo mit aller Kunst seiner Zeit und seines Genies den Menschen schlechthin dargestellt. ... Menschwerdung Gottes, Leiden, Tod und Auferstehung - die Pietà umfasst das ganze Christentum."

Als Christ wird man Lütz Deutung gerne folgen. Einen Atheisten hingegen werden Anmut und "sinnliche Wahrheit" dieser Andachtsplastik nicht bewegen, in diesem "Menschen schlechthin" Gottes Sohn anzubeten. Immerhin wird deutlich, dass das Christentum eine sinnliche Religion ist - dank der Menschwerdung Gottes.

"Gott, das ist also nicht eine abstrakte Größe, eine Idee oder ein philosophisches Postulat."

Lütz ist Christ, ja Katholik, durch und durch. Das erklärt nicht nur seine Vorliebe für die Kunst der Renaissance und des Barock - meist ist es "Kunst mit dem direkten Zeigefinger nach oben" -, das verleiht seinen Ausführungen auch einen gewissen apologetischen Zug.

Wiewohl Lütz die wichtigsten Positionen in der Auseinandersetzung mit dem Gottesgedanken referiert, eine dezidierte, wenn auch kleine Geschichte des Größten hat er nicht geschrieben. Geschichten zu erzählen vermag Lütz jedoch mit Bravour, mit Humor, Herz und Verstand.

Rezensiert von Thomas Kroll

Manfred Lütz: Gott. Eine kleine Geschichte des Größten
Pattloch Verlag: München 2007
297 Seiten, 19,95 Euro.