Warum London eine neue Musikhalle braucht
London soll eine neue Konzerthalle bekommen: Beim Centre for Music gehe es vor allem um eine Akustik von Weltklasse, erklärt Musikkritiker Richard Morrison. Das Projekt könne der Metropole in einer Zeit nach dem Brexit helfen.
Carsten Beyer: Wir reden jetzt nicht über den Brexit. Wir reden jetzt lieber über eine neue Konzerthalle, die in London gebaut werden soll. Centre for Music soll sie heißen, im Stadtzentrum, und sie soll ein bisschen so aussehen wie die Hamburger Elbphilharmonie, wenn man nach den ersten Entwürfen geht zumindest. Hier könnte unter anderen dann auch das berühmte London Symphony Orchestra eine neue Heimat finden, in dieser Halle. Über das Centre for Music habe ich gesprochen mit Richard Morrison. Er ist Chef-Musikkritiker bei der Londoner "Times". Und ich habe ihn zunächst gefragt, warum London überhaupt eine solche Halle braucht.
Ein neuer Ort mit Weltklasse-Akustik
Richard Morrison: Wie Sie sicher wissen, gibt es in London bereits einige große Konzerthallen: die Royal Albert Hall, die Royal Festival Hall und das Barbican. Aber die Leute, die dort Konzerte geben – und darunter vordergründig Simon Rattle –, die sagen, dass die Akustik von allen drei Hallen unbefriedigend ist und nicht mit aktuellen Standards mithalten kann. Vor allem geht es also um die Akustik, darum, eine neue Halle zu bauen, deren Akustik Weltklasse ist.
Beyer: Und wo genau würde diese neue Halle entstehen?
Morrison: Das Grundstück ist ziemlich kompliziert. Die Halle soll da entstehen, wo heute noch das Museum of London ist. Der Plan sieht vor, das Museum in anderen Räumlichkeiten unterzubringen, auf einem alten Marktplatz in Smithfield, nördlich vom jetzigen Standort. Das alte Museum soll dann abgerissen werden und Platz für die Konzerthalle machen. Der Standort soll nach dem Plan zwischen dem Barbican und der St.-Pauls-Kathedrale liegen.
Beyer: Als Vorbild für das Centre wird ja manchmal die Tate Modern genannt, also ein Museum. Ein Museum aber auch mit einem sehr breiten Kulturverständnis. Lässt sich denn das Konzept eines Museums überhaupt auf die Musik übertragen?
"Entwürfe lassen auf eine sehr offene Architektur schließen"
Morrison: Ich glaube, was sich die Bauherren wünschen, ist derselbe Erfolg, dieselbe Anerkennung, die die Tate in der Öffentlichkeit genießt. Ich meine, die Tate hat zurzeit rund fünf Millionen Besucher pro Jahr. Sie ist eine Touristenattraktion. Das neue Centre soll wohl auch so eine Attraktion werden, für Londoner genauso wie Touristen.
Die Entwürfe lassen auf eine sehr offene Architektur schließen, das Centre soll den ganzen Tag über und auch am Abend geöffnet sein. Und in dieser Hinsicht wäre das Centre dann der Tate recht ähnlich. Aber natürlich werden die Konzerte in einem geschlossenen Raum stattfinden, während man die Tate jederzeit für umsonst betreten kann.
Beyer: Diese Anziehungskraft, die Sie angesprochen haben, für die Touristen, das ist ja ganz ähnlich in Hamburg gewesen, wo die Elbphilharmonie gebaut wurde. Nun war die Elbphilharmonie kein reines Erfolgsprojekt. Die Kosten sind explodiert, die Fertigstellung wurde immer wieder verzögert. Und jetzt, wo sie fertig ist, wird über die Akustik im Innern gestritten. Was meinen Sie, werden Ihre Landsleute von diesen Fehlern lernen, die man in Hamburg gemacht hat? Oder machen die gerne ihre eigenen Fehler?
"Es soll so gut wie kein öffentliches Geld geben"
Morrison: Der große Unterschied ist, dass die Elbphilharmonie zu großen Teilen mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde. In London soll es so gut wie kein öffentliches Geld geben. Tatsächlich hat die Regierung selbst den geringen Betrag, den sie bereit war, zu stellen, zurückgezogen.
Die Kosten, die sich auf geschätzte 288 Millionen Pfund, also 350 bis 400 Millionen Euro, erstrecken, sollen fast vollständig von privater Hand und der City of London Corporation gedeckt werden. Letzteres ist die Gebietskörperschaft, die das Gemeinwesen der Stadt vertritt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Vorhaben also stark von dem in Hamburg.
Ich glaube, gelernt hat man von der Elbphilharmonie, wie lange sich solche Projekte hinziehen können. Niemand geht davon aus, dass das Centre for Music in den nächsten fünf Jahren gebaut wird. Schon allein, weil ja, wie gesagt, das Museum vorher den Standort wechseln müsste. Simon Rattle wird also weit über 70 sein, wenn er in der neuen Halle zum ersten Mal am Dirigentenpult steht.
Beyer: Sie haben gesagt, 350 bis 400 Millionen Euro wird das Ganze kosten, aber eben kein öffentliches Geld. Trotzdem ist natürlich die Frage: Wie sieht es aus mit der öffentlichen Akzeptanz für solche teuren Projekte in einer Zeit, in der ja niemand so genau weiß, wie es wirtschaftlich weitergehen wird nach dem Brexit. Weil das wird ja vermutlich eine Zeit werden, wo das mit dem Geld eher ein bisschen knapper aussieht.
Konzerthalle als Hilfe für London nach dem Brexit
Morrison: Sicher. Ich denke, in der britischen Musikwelt herrscht ein bestimmtes Gefühl vor: Solange das Ganze kein öffentliches Geld kostet, das für viele andere Zwecke wie etwa Bildung eingesetzt werden könnte, solange das nicht passiert, ist alles gut. Natürlich kann man sagen, dass es nach dem Brexit auch schwierig werden kann, private Geldgeber zu finden. Lassen Sie mich abwägen: Auf der einen Seite wird es große Handelsbanken geben, die London nach dem Brexit den Rücken kehren werden. Das kann die Zahl potenzieller Geldgeber tatsächlich schmälern.
Auf der anderen Seite wird die Stadt London nach dem Brexit zeigen müssen, dass sie immer noch eine Metropole von Weltrang ist. Eine neue Konzerthalle könnte dabei helfen, London auf den vorderen Plätzen zu halten.
Beyer: Richard Morrison, ich habe es gesagt: Sie sind Musikkritiker bei der "Times". Wie ist es bei Ihnen persönlich, freuen Sie sich auf diese neue Konzerthalle, wenn sie denn gebaut wird? Oder sagen Sie, London hat als Klassikstadt ohnehin schon so viel zu bieten, wir brauchen die eigentlich gar nicht.
Morrison: London hat, wie Sie wissen, einige fantastische Orchester im Angebot. Aber ich bin der Meinung, dass die Stadt in Hinblick auf die Spielorte ins Hintertreffen geraten ist. Wir sprechen von Räumen, die vor 50 bis 70 Jahren gebaut worden sind. Auf Hamburg und Paris sind wir neidisch. Genauso auf neue Konzerthallen in Japan. Wenn London als Musikstadt im 21. Jahrhundert weiterhin vorne mitspielen will, dann brauchen wir diese Konzerthalle.