40 Prozent Ökolandbau und die Hälfte der Pestizide
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Bei erneuerbaren Energien liegt Baden-Württemberg auch nach zehn Jahren mit einem grünem Ministerpräsidenten im Bundesvergleich im hinteren Drittel. Aber bei der Biodiversität soll Großes gelingen. Von Bauern kommt Zustimmung - und von Bio-Seite Forderungen.
Am Feldrand steht der kleine, mobile Hühnerstall von Michael Kreß, daneben seine Gänse als Wachschutz: "Die Gänse haben wir tatsächlich mitspringen als Greifvogelschutz, weil die ziemlich Lärm machen."
Die Tiere hält Kreß nur nebenbei: Hauptsächlich ist der 29-Jährige Ackerbauer. Nicht viel: 40 Hektar gehören seiner Familie, rund um das Dorf verteilt: In Hardthausen-Gochsen, Hohenlohe. Im Norden von Baden-Württemberg. Ein eher kleiner Hof, wie viele hier im Land. Kreß hat ihn von seinen Eltern übernommen.
"Da waren letztes Jahr Kartoffeln drin, da ist jetzt Winterweizen angesät, nach den Kartoffeln."
Jedes Jahr was anderes anpflanzen, damit der Boden Abwechslung hat, die Pflanzen gesund bleiben. Darauf achtet er, aber Kreß ist kein Ökobauer.
Vor zwei Jahren standen hier grüne Holzkreuze – als Protest gegen das in Baden-Württemberg geplante Volksbegehren "Rettet die Bienen". Ihm war das wie den meisten Bauern: viel zu radikal.
Die beiden Regierungsparteien Grüne und CDU waren damals im Zwiespalt. Die Grünen hatten die Initiative erst unterstützt. Aber dann ging das Vorhaben dem grünen Ministerpräsident Kretschmann doch zu weit. Und auch die CDU war eher skeptisch, wollte weniger Vorgaben, mehr Freiwilligkeit. Bis man sich mit Verbänden und Initiatoren an einen Tisch setzte und einen Kompromiss schloss.
Im vergangenen Sommer wurde der dann Gesetz – immer noch ein ehrgeiziges: Bis 2030 soll es mehr naturbelassene Biotope und Brachflächen geben. Viel mehr Ökolandwirtschaft und es soll nur noch die Hälfte der Pestizide eingesetzt werden: "Also ich kann mit dem Kompromiss jetzt betrieblich ganz gut leben."
NABU: "Ein vorbildliches Gesetz"
Noch unklar ist: Wieviel ist eigentlich genau die Hälfte, die jetzt eingespart werden soll? Das CDU-geführte Landwirtschaftsministerium hat lange keine Zahlen zum Einsatz von Pestiziden herausgegeben. Jetzt soll der Chemikalien-Einsatz in Beispielbetrieben ermittelt werden. Auch rückwirkend. Johannes Enssle vom Naturschutzbund Baden-Württemberg hat dafür lange gekämpft, auch vor Gericht:
"Da muss man wirklich sagen: Dieses Biodiversitätsstärkungsgesetz ist ein vorbildliches Gesetz, das wirklich bundesweit seinesgleichen sucht. Und gleichzeitig wiederum muss man sagen, dass dieses Gesetz vor allem erst einmal einen Katalog von Zielen ist und ich sage immer: Was wir eigentlich brauchen zur Rettung der Artenvielfalt, ist eigentlich ein Marathonlauf im Sprinttempo."
Knapp zehn Jahre Zeit, das ist nicht viel, weiß auch Enssle. Als Chef vom Naturschutzbund Baden-Württemberg hat er mit Druck gemacht, hat das Kompromiss-Papier mit ausgehandelt. Mit Landesregierung und Bauernverbänden. Im Ergebnis sollen jetzt nicht nur Landwirte Pestizide sparen. Auch Gemeinden sollen weniger einsetzen: In Parks oder am Straßenrand zum Beispiel.
Totalverbot von Pestiziden in Naturschutzgebieten
Und in Naturschutzgebieten soll es sogar ein Totalverbot von Pestiziden geben. Ab nächstem Jahr schon. Landwirt Michael Kreß ist froh, dass er keine Felder in solchen Schutzgebieten hat:
"Jetzt gibt es natürlich Betriebe, die haben da vielleicht 10, 20 Prozent Naturschutzgebiet-Fläche. Für die ist es dann natürlich schon härter."
Kreß setzt auch auf Pestizide. Und will darauf auch künftig nicht ganz verzichten. Als konventioneller Bauer gucke er sich aber auch manchmal etwas von den Ökokollegen ab:
"Wo es halt einfach keine Möglichkeit gibt, es irgendwie mit chemisch-synthetischen Mittel Pflanzenschutz zu betreiben. Sprich: Das Unkraut rauszukriegen. Das versuchen wir dann natürlich, wie die biologischen Kollegen mit dem Striegel in den Griff zu kriegen."
Kreß nutzt die Landmaschine zum Beispiel bei seinen Linsen, um Unkraut im großen Stil rauszureißen und den Boden zu lockern. Und er baut Soja an, weil die Bohne den Boden auf natürliche Art mit Stickstoff versorgt. Für solche ökologischen Ackerflächen bekommt er auch Fördergeld. Das lohnt sich doppelt: Für ihn und für seinen Ackerboden.
Weniger tiefe Gräben zwischen öko und konventionell
"Hier sehen Sie einfach einen schönen dunklen, krümeligen porösen Boden."
Marcus Arzt hockt im Foliengewächshaus und lässt die Erde zwischen seinen Fingern runterrieseln.
"Hier wächst Spinat dadrunter. Der ist jetzt frisch ausgepflanzt worden."
Marcus Arzt hebt die Abdeckung kurz nach oben. Lange Reihen Spinatpflänzchen kommen zum Vorschein. Sie landen mal als Bio-Spinat im Supermarkt. Arzt ist seit über 30 Jahren Biobauer. Damals war es hart, niemand hatte Erfahrungen. Heute gebe es viel mehr. Auch die Gräben zwischen öko und konventionell seien heute nicht mehr so tief:
"Also ich finde, da ist vieles besser geworden. Und auch der Austausch zwischen den Verbänden ist viel reibungsärmer."
Er muss es wissen. Arzt baut nicht nur Spinat und Salate an auf seinem Ökohof nördlich von Stuttgart. Er leitet auch den Bioland-Verband in Baden-Württemberg. Arzt waren die Ziele der Volksbegehren-Initiative damals auch zu radikal: Ein Komplettverbot von Pestiziden – auch biologischen Mitteln - das ging auch vielen Ökobauern zu weit.
Nachfrage nach Bio steigt
Der Biolandchef hat damals das Kompromisspapier der Landesregierung mit ausgehandelt. Und hält die Ziele jetzt für realistisch. Das Potenzial für mehr Ökolandbau, mehr Biolebensmittel sei da, sagt Arzt. Das habe auch die Corona-Zeit gezeigt:
"Ich höre das auch von Kollegen, die auf den Wochenmarkt gehen, da die Direktvermarktung machen. Sie sagen 20, 30 Prozent ging jetzt einfach die Nachfrage nach Bioprodukten - manche sagen noch mehr - nach oben."
Das zeigt auch das deutschlandweite Ökobarometer: Häufiger wurden demnach vor allem regionale und Bioprodukte gekauft.
"Ich sehe keinen Grund, warum es nicht so bleiben sollte. Was wir tun müssen, auf dem Weg zu 40 Prozent Biofläche in zehn Jahren: Das ist, dass man halt auch dort, wo die Leute essen, wenn sie nicht im Homeoffice sind, also in der Gemeinschaftsverpflegung, mehr Bioprodukte anbieten. Das müssen wir natürlich schon machen."
Nur 14 Prozent der Fläche für Ökoanbau
Als Modellprojekt hat die baden-württembergische Regierung elf landeseigene Kantinen auf Bioessen umgestellt. Diesem Beispiel müssten viele Restaurants, Kantinen und Imbisse folgen, damit es genug Nachfrage gibt: Für bis zu 40 Prozent Öko-Landwirtschaft in der Fläche bis 2030. Bisher ist in der Regierungszeit von Grün-Schwarz wenig passiert – die Ökofläche stieg nur um drei Prozentpunkte: auf knapp 14 Prozent.
Damit sich dieser Anteil schnell vergrößert, fordern Umweltverbände mehr Geld. Für die ersten zwei Jahre hat Baden-Württemberg das Budget schon aufgestockt: Um mehr als 60 Millionen Euro. Zu wenig, sagen die Umweltverbände. Das habe eine gemeinsame Studie ergeben.
"Wir bräuchten noch mal zusätzlich 225 Millionen Euro in diesem Bereich, um die Agrarförderprogramme entsprechend aufzupeppen", sagt Johannes Enssle vom Naturschutzbund Baden-Württemberg. "Damit eben die landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg unterstützt werden, diese ganzen Maßnahmen auch wirklich umzusetzen und dabei trotzdem, sage ich, mal wettbewerbsfähig bleiben."
Die Beratung im Ökolandbau will das Land ausbauen. Beispielbetriebe aufbauen, von denen konventionelle Bauern lernen können. Und Handel und Erzeuger zusammenbringen.
Umsteigen bei besseren Rahmenbedingungen
Vernetzung sei ein wichtiger Baustein, erklärt Bioland-Chef und Ökobauer Marcus Arzt:
"Wovon ich mir echt sehr viel verspreche ist die ganze mittelständische Ernährungswirtschaft. Ich erlebe das bei mir ganz konkret, dass ich Nachfragen habe: Kannst Du mir Spinat für Biomaultaschen aus Baden-Württemberg anbieten? Und dann mach ich den Spinat, ein anderer macht vielleicht das Hackfleisch dazu. Und der nächste das Getreide. Jemand die Eier. Und so wird das rund."
Das würde vielleicht auch Michael Kreß helfen. Denn im Moment lohne es sich für ihn einfach nicht, auf Ökolandbau umzustellen. Die Wege zu weit, die Kontakte fehlen. Und in den nächsten zehn Jahren? Vielleicht:
"Ich habe mir da auch schon Gedanken darüber gemacht. Es ist jetzt kein Schritt, wo ich sage würde, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich kann mir das nur im Moment nicht vorstellen, unter den Rahmenbedingungen, die wir haben. Aber es ist nichts, wo man sagt, da sträube ich mich dagegen. Und es wird, denke ich, vielen anderen Landwirten auch so gehen."