"Unis haben wenig Lust, den Vorwürfen nachzugehen"
Trotz prominenter Plagiatsfälle habe sich an den Universitäten so gut wie nichts geändert, kritisiert der Rechtswissenschaftler Volker Rieble. Nicht nur Doktoranden, auch Professoren "schreiben ab, was das Zeug hält" - oftmals ungestraft.
Katrin Heise: Plagiate und das Universitätssystem. Was hat sich drei Jahre nach dem Fall Guttenberg getan? Wird aufgeräumt oder nicht? Das will ich von Volker Rieble wissen, Rechtswissenschaftler in München. 2010 publizierte er das Buch "Das Wissenschaftsplagiat". Er hatte das Thema also vor der Guttenberg-Affäre auf dem Schirm. Schönen guten Tag, Herr Rieble!
Volker Rieble: Grüß Gott!
Heise: Aufräumen dauert bekanntlich lange. Allerdings, beim Thema Plagiat viel zu lange, das ist inzwischen eine häufig geäußerte Kritik von Plagiatsjägern. Zum Beispiel beklagt die Berliner Professorin für Medieninformatik, Debora Weber-Wulff, ein prominentes Mitglied von VroniPlag ist sie, dass sich die Universitäten zu lange Zeit lassen bei der Überprüfung von Arbeiten, die Ihnen von Plattformen als bedenklich genannt werden. Herr Rieble, ist das auch Ihre Erfahrung?
Rieble: Das ist unterschiedlich, aber es gibt einen Trend, der geht ganz klar dahin, Plagiatsvorwürfe, die Dissertationen betreffen, deutlich zurückhaltender zu bearbeiten. Dabei gibt es aber auch große Unterschiede zwischen den Universitäten. Manche sind durchaus in gebotener Weise scharf, wie zum Beispiel die Universität Düsseldorf gegenüber der Dissertation von Frau Schavan. Andere sind ziemlich großzügig wie etwa die Universität Gießen gegenüber der Dissertation von Herrn Steinmeier. Neuerdings gibt es einen ganz aktuellen Trend, dass man sagt, auch wenn eine Dissertation zu großen Teilen abgeschrieben ist, belassen wir den Doktorgrad dann, wenn sich irgendwo in der Arbeit noch was anderes findet, was nicht abgeschrieben ist. Und da sich das also immer dann, wenn man kein Vollplagiat wie bei zu Guttenberg hat, häufig finden lässt, ist der Trend ziemlich klar – die Universitäten haben wenig Lust, den Plagiatsvorwürfen nachzugehen, weil das a) Arbeitskraft bindet und b) den Ruf beschädigt.
Heise: Das sind ja ziemlich starke Vorwürfe. Glauben Sie, das ist laxe Haltung, oder ist das direkt eine Strategie?
Professoren lassen Texte von Assistenten schreiben
Rieble: Nun, es ist zunächst einmal eine Strategie zur Arbeitsvermeidung. Die meisten Universitäten sind ja im öffentlichen Dienst, da darf man sich über eine gewisse Arbeitsscheu vielleicht gar nicht so sehr wundern. Gespeist wird das aber eigentlich ganz woanders her, nämlich, dass es doch eine ganze Reihe von Professoren gibt, die abschreiben. Das sind natürlich keine Prüfungsarbeiten so wie Diplomarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten und eben Dissertationen, sondern das ist der normale Alltag. Da wird abgeschrieben, was das Zeug hält, und zwar typischerweise in der Hauptform dadurch, dass der Professor sich von seinen Assistenten einen Text erarbeiten lässt, den er dann unter eigenem Namen publiziert. Das ist streng verboten.
Heise: Beispiel wäre jetzt der Münsteraner Medienrechtler Bernd Holznagel, dessen Fachbuch allerdings dann vom Markt genommen wurde.
Rieble: Da wurde das Buch vom Markt genommen, aber Holznagel ist genauso wie Wirth und Schwintowski, um zwei andere nette Juristen zu nehmen, zwar ertappt worden, aber was passiert? Nichts! In der Universität passiert gar nichts, kein Disziplinarverfahren, keine öffentliche Rüge. Dass das dann ausgerechnet auch noch ein Institut für Medienrecht ist, das wirklich durchweg schlampig arbeitet – das ist ja auch eine Promotionsfabrik, da sind schon mehrere Promotionen beanstandet worden. Und da ist es jetzt jüngst eben auch so, letzter Fall, dass eine Dissertation, die an diesem Institut abgenommen worden ist, dass man da gesagt hat, wir widerrufen nicht die Promotion, sondern wir erteilen eine Rüge.
Heise: Was steckt da dahinter, Ihrer Meinung nach?
Rieble: Ja, es ist ganz einfach. Wenn ich rüge, klagt der Doktor nicht. Ansonsten ist es ja typischerweise so, dass sich die Doktoranden, die des Plagiats ertappt sind, über mehrere Instanzen vor den Verwaltungsgerichten wehren. Das bindet auch wieder Kapazität. Und die verlieren zwar am Ende, wie jetzt gerade Frau Koch-Mehrin und andere, auch in zweiter Instanz, aber das schafft noch mehr Arbeit. Und die Kurzform ist eben, dass man sich mit dem Doktoranden einigt, indem eine scheinbar erschütternde Rüge ausgesprochen wird, die aber im Kern völlig bedeutungslos ist, weil die Rüge schon nach drei Monaten vergessen ist. Der Doktortitel ist aber noch da.
"Wenn ich rüge, klagt der Doktor nicht"
Heise: Drei Jahre nach dem Höhepunkt des Plagiatsfalls Guttenberg – wie sieht es mit den Konsequenzen aus? Das bespreche ich mit dem Juristen Volker Rieble. Herr Rieble, wenn ich Sie als Juristen frage: Bedarf es da anderer rechtlicher Verfahren? Also, ist Plagiieren immer noch so was wie ein Kavaliersdelikt oder noch weniger eigentlich, wenn ich Sie jetzt so höre?
Rieble: Das ist eben so, dass nicht alles, was rechtlich zu missbilligen ist, auch verfolgt wird. Die Polizei kann, wenn sie die Geschwindigkeitsüberschreitung sieht, hingucken oder weggucken. Und die Universitäten haben sich halt fürs Weggucken entschieden.
Heise: Sie verallgemeinern das so. Sie sagen, die Universitäten haben sich fürs Weggucken entschieden.
Rieble: Ja, das glaube ich schon, dass man das sagen kann. Also bei den Professoren jedenfalls, werden Sie feststellen, dass es keinen einzigen eines Plagiats überführten Professor gibt, dem irgendetwas passiert ist, irgendeine Sanktion. Nichts ist passiert. Und wenn Sie mal schauen, in Nordrhein-Westfalen gibt es im Hochschulgesetz einen Bußgeldtatbestand. Wenn dort ein Student ein Plagiat begeht und in der Prüfung täuscht, kann er mit einem erklecklichen Bußgeld belegt werden. Wenn aber sein Professor, der die Prüfung abnimmt, sich beim Abschreiben ertappen lässt, passiert dem Professor genau nichts. Und das ist natürlich eine große Widersprüchlichkeit. Wir können doch nicht gegenüber Doktoranden strenger sein als gegenüber Professoren.
Heise: Da muss ich jetzt aber tatsächlich mal auf der Laienebene nachfragen: Wenn jemand beim Plagiieren erwischt worden ist, es ihm nachgewiesen werden kann, warum kann es sein, dass es dann keinerlei Konsequenzen hat?
Rieble: Nun, es ist so, wenn Sie den Herrn Holznagel nehmen in Münster, der hat ja ein ganzes Ausredenkonvolut geliefert, warum er nun wieder überhaupt nichts dafür kann, sondern die Assistenten es waren – das ist die klassische Ausrede. Und die Hochschulleitung hat natürlich auch gar keine Lust, ein Disziplinarverfahren gegen den Mann anzustrengen. Sondern das sitzt man eben geflissentlich aus und versucht, einfach durch die Zeit dann Gras drüber wachsen zu lassen. Und das ist im Moment die Haltung, und dabei ist es dann gleichzeitig doch ziemlich verwunderlich, dass eben diejenigen Universitäten, die die Plagiate in den eigenen Reihen nicht in den Griff kriegen, meinen, dass die Fachhochschulen kein Promotionsrecht haben dürfen. Ich persönlich würde sagen, wenn das die offizielle Haltung ist, dann kann man das Promotionsrecht auch jeder Hauswirtschaftsschule verleihen.
Heise: Manchmal muss man sich vielleicht aber auch einfach entscheiden, wo die Kraft gut investiert ist. Also, wäre zum Beispiel Vorbeugen sinnvoller. Also, die Hochschulen haben sich da eventuell vorgenommen, neuen Plagiatsfällen einen Riegel vorzuschieben, indem eben gründlich das Abfassen von Arbeiten gelehrt wird, indem intensiver betreut wird, als das vorher jemals der Fall war. Da ist dann Manpower gebunden, die vielleicht eben bei der Aufklärung, bei dem Nachforschen alter Fälle fehlt.
Rieble: Da ist auch viel sozusagen – ja, ein Schein von Anstrengung wird dort simuliert. Dass die Betreuung deutlich intensiver geworden ist, das kann man nicht feststellen. Es ist aus meiner Sicht auch, wäre es hochverkehrt, wenn am Ende der Professor jede Fußnote nachliest und dann am Ende der Doktorvater oder die Doktormutter die Doktorarbeit schreibt und den Doktoranden rettet, der eine plagiatorische Dissertation abliefert. Es ist eher so, dass vielleicht die Neigung, Dissertationen zu betreuen, deutlich nachlässt, das heißt, es gibt dann vielleicht weniger Arbeiten. Und es ist vor allem eben so, dass bei den professoralen Plagiaten nach wie vor nichts passiert.
Heise: Wenn ich das, was Sie jetzt so in den letzten zehn Minuten gesagt haben, Revue passieren lasse, dann ist es insgesamt um das Klima in unseren Universitäten, was wissenschaftliches Arbeiten angeht, eigentlich schlechter denn je.
Rieble: Bei den Geisteswissenschaften. Was man umgekehrt sagen muss, ist, dass die Naturwissenschaften hier deutlich weiter sind. Dort ist ja das Problem des Plagiats nicht im Vordergrund, sondern vor allem das der Datenmanipulation und Datenfälschung. Und das ist der wesentliche Vorteil – dort gibt es massenhaft Widerrufe und Rückrufe von Beiträgen aus angesehenen naturwissenschaftlichen Zeitschriften. Das findet bei uns ja kaum statt. Wir kennen eine ganze Reihe von Aufsätzen, die plagiiert sind, aber Sie finden in den Zeitungen typischerweise keinen Warnhinweis im Editorial und dergleichen, dass dies hier ein Plagiat ist. Und die Naturwissenschaften sind da wirklich vorbildlich.
Verjährungsfrist von fünf oder zehn Jahren geplant
Heise: Hoffen Sie darauf oder sehen Sie irgendwo Anzeichen, dass sich das Klima auch bei den Geisteswissenschaftlern ändert, dass man doch aus der Plagiatsaffäre gelernt hat oder auch nur in Ansätzen lernen will?
Rieble: Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht. Aus zwei Gründen: Erstens setzt man sich im Moment ganz intensiv für eine Plagiatsverjährungsfrist von fünf oder zehn Jahren ein. Das hat ersichtlich den Zweck, dass man den Altfällen keine Aufmerksamkeit mehr widmen muss. Und man kann, wenn man eine fünfjährige Verjährungsfrist nimmt, auch gut hoffen, dass die meisten sonstigen Plagiate nicht in der Fünfjahresfrist aufgedeckt werden.
Und der zweite Punkt, der mich da skeptisch stimmt, ist das Wutgeheul, das etablierte Wissenschaftler gelegentlich anstimmen, wenn es um ertappte Sünder geht, die schon öffentlich dekuvriert sind. Also, ich denke da beispielsweise an den Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes, der sich ganz massiv gegen die Berufung von Frau Schavan in den LMU-Hochschulrat gewendet hat, mit scharfen Worten – es handele sich um eine überführte Plagiatorin und sie sei aus ethischen Gründen nicht tragbar. Der Kollege könnte aber mal fragen, welche Professoren eigentlich des Plagiats überführt und ethisch noch tragbar sind. Dafür hören wir kein Wort vom Hochschulverband. Herr Holznagel ist immer noch Mitglied des Hochschulverbandes, obwohl ein überführter Plagiator, und die Begründung dazu lautet, solange die Universität Münster nichts unternimmt, solange wird auch der Hochschulverband nichts unternehmen. Damit haben wir doch eine große Duldung gegenüber überführten Plagiatoren.
Heise: Sagt Volker Rieble, Rechtswissenschaftler der Universität München. Er erhebt schwere Vorwürfe gegenüber den deutschen Hochschulen, was den Umgang mit Plagiaten und Plagiatoren aus den eigenen Reihen betrifft. Danke schön für das Gespräch!
Rieble: Bitte schön!
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