Rätselhaftes Stadtgespenst
Verkörpert Isabelle Huppert sich selbst oder eine Rolle? Mit der Mehrdeutigkeit von Bildern beschäftigt sich Roni Horn in ihrer Porträt-Serie. Das beunruhigende Gesicht Hupperts gibt Frankfurter Bürgern Rätsel auf.
Wer kann schon so unendlich herablassend schauen wie Isabelle Huppert, wer so verzagt selbstquälerisch, wer so tränenumflort hoffnungslos? Das Gesicht der heute 60-jährigen Schauspielerin ist einmalig, vor allem in gleichmäßigem Licht und formatfüllend vor weißem Hintergrund. Als Foto nämlich, aus der Werkstatt der New Yorker Künstlerin Roni Horn. Seit Wochen schon sind einige dieser mimischen Studien an vielen Orten in Frankfurt plakatiert, teilweise auf großen Werbeflächen wie in der Gutleutstraße im Bahnhofsviertel.
Passant: "Die Frau sieht so traurig aus, ihre Augen, ihre Blicke und auch der Mund, die Öffnung, so traurig würde ich sie schätzen, ich weiß nicht ... Da ist kein Text, nur die Gesichtszüge, da kann man vieles lesen daraus ...“
Huppert im öffentlichen Nahverkehr
Diese Fotografien fallen aus dem Rahmen, vor allem wenn sie direkt neben den üblichen Werbebotschaften auftauchen. Denn diese Bilder sagen zwar eine Menge, aber nicht, was die weihnachtlich gestimmten Passanten erwarten.
Passantin: "Aber ich kann es nicht in Worte fassen, ich kenn die Frau, aber woher, können Sie mir helfen?“
Man findet die Bilder von Isabelle Huppert in kleinem Format in U-Bahn-Stationen, in Straßenbahnen und Bussen, natürlich fallen sie nicht jedem sofort auf, aber einige Passanten kommen ins Grübeln.
Passant: "Ein bisschen bekannt kommt es mir schon vor, aber ich versuche grade zu kramen in meinem Gedächtnis. Ja, eine kranke verzweifelte Frau, und nicht gesund, Hautflecken, aber geschminkt ... Eine Beschreibung würde hier wirklich nottun, weil man hier sonst in den Seilen hängt ...“
Roni Horn, Künstlerin aus New York, hatte einen alten Film mit Isabelle Huppert gesehen, "Die Spitzenklöpplerin“, und war von ihrem so transparent wirkenden Gesicht begeistert. Im Jahr 2005 schlug sie ihr dieses Fotoprojekt vor.
Roni Horn: “The core of this work was simply to ask Isabel to impersonate herself in her various roles. Which has the ambiguity of: is she impersonating herself as Isabel Huppert or the character she is performing for the camera”.
Sie habe sie einfach gebeten, bestimmte Rollen zu verkörpern. Es ging um die Mehrdeutigkeit dieser Bilder: verkörperte sie nun Isabelle Huppert oder eine ihrer Rollen?
Eine Gestalt aus dem Jenseits
In der Rotunde der Frankfurter Kunsthalle Schirn sind jetzt Serien dieser Momentaufnahmen zu sehen, insgesamt 100, in Sequenzen zu fünf. Sie wirken wie Stills aus einem Film, aber zugleich auch wie rätselhaft selbständige Statements im Raum. Die kleinformatigen, gerahmten Fotos sind zu Blöcken zusammen gefasst. Dazwischen viel weiße Wand. Das wirkt wie Minimal-Musik, die immer wieder abbricht, aber doch mit ihren Echos den Raum erfüllt. Der weiße Hintergrund all dieser Gesichter lässt Isabelle Huppert wie ein Gespenst erscheinen, wie ein Engel, wie eine Gestalt aus dem Jenseits. Und zugleich ist sie über die Nuancen ihrer Mimik physisch präsent wie kaum jemand sonst. In den Augen von Roni Horn ist das Konzeptkunst: Es geht um das "Porträt eines Bildes“, wie sie erklärt, nicht um die Person Isabelle Huppert.
Die Parallelaktion im öffentlichen Raum jedenfalls habe sie fasziniert, gibt die Künstlerin zu. Und sie liebt die Vorstellung, dass sie den Leuten draußen damit ein Rätsel aufgibt. Denn was soll dieses Gesicht auf den Plakatwänden verkaufen? Da ist keine kommerzielle Botschaft drin, da geht es nur um die Begegnung mit einem intensiven Porträt, das uns anschaut.
Roni Horn: “There is something enigmatic about it cause you are occupying a commercial space but you are not identifying what you are selling, so it works very well, people know how to look at these commercial items, and there is usually a hook, but there is no hook in this case, it is just the viewer and this portrait which is watching you.”
Ein Engel über der Stadt. Ein beunruhigend eindrucksvolles Gesicht durchdringt den Stadtraum. Nicht laut, nicht aufdringlich, sondern sanft und nachhaltig. Für viele nur eine kleine Irritation am Weg, für manche allerdings ein herausforderndes Rätsel.