Planningtorock: "Powerhouse"

"Die Arbeit an diesem Album war sehr heilsam"

Jam Rostron im Gespräch mit Vivian Perkovic |
Planningtorock ist das Elektro-Kunstprojekt von Jam Rostron - eine Person, die sich geschlechtlich weder als Mann noch als Frau begreift. Das neue Album "Powerhouse" demonstriert, dass Musik ein Schutzschild ist, um sich für die Welt zu wappnen.
Planningtorock ist das Elektro-Art-Pop-Projekt von Jam Rostron. Jam Rostron lebt in Berlin und hat auf dem dritten Album entdeckt, wie viel Spass es machen kann, auf den Alben politisch sehr direkt zu sein - etwa mit Titeln wie "Patricharchy Over and Out" oder "Let’s talk about Gender, Baby".
Jetzt ist das neue Album "Powerhouse" erschienen und beleuchtet die persönliche Facette dieser identitätspolitischen Aspekte. Jam Rostron ist ein Kunstname, ein Name den diese Person sich vor vier Jahren gegeben hat, um zu unterstreichen, weder Mann noch Frau zu sein - also "non-binär".

Nicht Frau, nicht Mann

Im Englischen ist es einfacher als im Deutschen, dieses non-binären Status auch in der Sprache abzubilden. Non-binäre Menschen nutzen oft das Wort "they" für sich. Im Deutschen gibt es so etwas nicht, deswegen hat Jam Rostron sich für dieses Gespräch neu geschaffene Personalpronomen gewünscht: statt "der oder die" etwa dier, statt "sie oder er" das Wort sier oder statt "seine oder ihre" eben siehre.
Vivian Perkovic: Diese Sprachschöpfung - wir benutzen sie in diesem Gespräch, im Begleittext zu siehrem neuen Album, das die Platten- oder Promo-Firma geschrieben hat, stehen aber weibliche Pronomen. Wie zufrieden sind sier mit der Umsetzung der gendergerechten Sprache?
Jam Rostron: Auf Deutsch ist es wirklich schwierig. Aber auch, weil es einfach sehr neu ist. Jeder Wandel braucht eben seine Zeit, um zu lernen. Aber je häufiger wir auf neue Formulierungen zurückgreifen, umso leichter wird es uns auch fallen.

Heilsame Musik

Perkovic: Sprechen wir über Schmerz: Welche Rolle spielt Schmerz in siehrem Leben und Schaffen gespielt?
Rostron: Eigentlich geht es auf diesem Album nicht so sehr um den Schmerz, als vielmehr um das Heilen. Ich nutze diese Musik auch, um mich selbst besser zu verstehen, wo ich mich gerade in meinem Leben befinde, was um mich herum geschieht. Deswegen ist dieses Album auch so persönlich. Als ich mit der Arbeit an diesem Album begonnen habe, habe ich eine Therapie angefangen und bin an sehr schmerzvolle Momente in meinem Leben zurückgegangen. Aber die Arbeit an diesen Songs und sie dann auch zu veröffentlichen, ist tatsächlich sehr heilsam."
Perkovic: Wie funktioniert das genau, Schmerz in Kreativität zu übersetzen, wie zum Beispiel in den Songs "Wounds" oder "Dear Brother"?
Rostron: Ein Stück wie 'Wounds' ist fast wie eine Untersuchung der Beziehung, die ich zu meinen Wunden habe: Was sind meine Wunden? Wie kann sie überwinden? Wie mit ihnen leben? Davon singe ich in diesem Stück. Einen Song über Wunden zu schreiben ist für mich, wie einen Raum zu schaffen, der mir ansonsten nicht zur Verfügung steht. 'Dear Brother' habe ich wirklich mit der Absicht geschrieben, mich zu heilen und meinem Bruder vergeben zu können, dass er mich sexuell missbraucht hat. In gewisser Hinsicht ist das Schreiben solcher Musik für mich somit fast schon funktional.

Ein persönliches Album

Perkovic: Dieses Album ist nicht nur für Sier sehr persönlich, sondern auch für siehre gesamte Familie. Die Emanzipation siehrer Mutter und siehrer Schwester, der sexuelle Missbrauch durch siehren Bruder - wie geht siehre Familie damit um?
Rostron: Das war ein sehr schöner Aspekt an der Arbeit an diesem Album. Ich habe viel mehr Zeit mit meiner Mutter und meiner Schwester verbracht und mich im Vergleich zu früher dabei sehr geöffnet und Vieles mit meiner Familie geteilt. Das brachte uns sehr nahe. Die Musik hat Brücken gebaut zwischen mir und meiner Mutter, meiner Schwester.
Außerdem wollte ich mit dieser Platte meiner Mutter danken. Nur wegen meiner Mutter mache ich Musik. Und Musik hat mir oft das Leben gerettet. Meine Mutter hat mich an die Musik herangeführt. Sie liebt Musik und spielte früher viel Musik, als wir Kinder waren, sehr unterschiedliche Musik auch. Ich konnte sie dabei beobachten, wie sie Musik nutzt, um stark zu werden, fast schon wie ein Schutzschild, um sich für den Tag zu wappnen. Das hat mich die Kraft der Musik gelehrt.
Auch meine Schwester hört viel Musik und greift darauf zurück, um sich besser zu fühlen. Meiner Schwester verdanke ich es, dass ich überhaupt Ahnung von Dance Music habe. Auch hier also: Danke!

"Es war so, als hörte ich mich selbst zum ersten Mal"

Perkovic: Schmerz lässt sich im Singen sehr gut ausdrücken - man denke nur an die großen Soulklassiker, in denen die Stimme Blut, Schweiß und Tränen transportiert. Die Stimme auf den Planningtorock-Alben ist allerdings mit Tools manipuliert und tiefer gepitcht: Eine technisierte Stimme. Der Eindruck ist dadurch klinischer. Ist das ein Kollateralschaden?
Rostron: Ich habe vor etwa acht Jahren damit angefangen, meine Stimme tiefer zu pitchen. Als ich das Resultat damals hörte, war es so, als hörte ich mich selbst zum ersten Mal. Es war auch viel intensiver. Ich habe mich so stark mit dieser tieferen Stimme identifiziert, dass sie für mich zu meiner authentischen Stimme geworden ist, die Stimme, mit der ich mich authentisch zu Wort melden kann, mit der ich wirklich singen kann. Im Laufe der Jahre habe ich mich eingehender mit meiner Gender-Identität befasst, habe ihr mehr Raum gegeben und damit, dass ich nicht geschlechtlich binär sein will. Außerdem habe ich mich auf den Pfad eines nicht-linearen Geschlechts-Übergangs, einer "non-linear tranisition", begeben und im Zuge verstanden, was dieses Pitching meiner Stimme bedeutet.
Ich finde diese Idee, dass es eine reale Stimme und eine authentische Stimme gibt, sehr interessant. Deshalb ist es mir wichtig, dass die Leute wissen, dass diese Stimme meine authentische Stimme ist. Sie stammt von einem tiefen Ort, wenn ich darin singe.
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