"Wenn ich Esperanto rede, dann fühle ich was ganz Warmes in mir und fühl mich zu Hause", sagt Iris von Wunsch-Rolshoven Teruel. Wie alle Menschen hat die Berlinerin eine Muttersprache: Spanisch, eine Vatersprache: Deutsch. Und eine Elternsprache.
Diese Elternsprache, die zugleich Iris Wunsch-Teruels eigentliche Muttersprache ist, macht die junge Ärztin zum Mitglied in einem sehr exklusiven Klub. Zwar beherrschen geschätzt zwischen 100.000 und mehreren Millionen Menschen weltweit Esperanto auf unterschiedlichem Niveau, aber nur ungefähr 2000 davon haben es als Erstsprache im Kleinkindalter erlernt.
„Ich weiß noch, wie ich im Kindergarten immer ‚die Reisetante‘ genannt wurde, weil mein Vater viel mit mir auf Esperanto-Treffen gefahren ist, und da hatte ich eine wunderschöne Kindheit“, erzählt sie. „Den Luxus zu haben, sich mit Kindern aus anderen Ländern unterhalten zu können, schon als kleines Kind, und was über andere Denkweisen zu lernen und auch einfach Spaß zu haben, irgendwie in Kroatien oder in Ungarn, das war toll!“
Doch wo liegt Esperantien? Ist es ein Zwergstaat in Europa? Eine Insel im südchinesischen Meer? Eine Enklave in Südamerika? Nichts dergleichen. Esperanto ist eine von Menschenhand geschaffene und deshalb geografisch ungebundene Weltsprache. Ein Esperanto-Volk gibt es nicht. Wohl aber eine beachtliche Anzahl von Esperantisten. Esperantisten? Espiritisten?
"Das hat nichts von einer Sekte, das sind einfach Menschen, die gerne Sprachen sprechen." Denen aber von wenig Informierten nicht selten tiefes Misstrauen entgegengebracht wird, obwohl im Namen Esperanto der romanische Wortstamm "Hoffnung" steckt.
Ähnliches weiß auch Irmi Haupenthal zu berichten, die als Jugendliche in den 1950er-Jahren das Universum konstruierter Sprachen betrat und bis heute nicht mehr verlassen hat: "Es gibt unheimlich viele Vorurteile gegen Esperanto oder gegen Plansprachen, die total ungerechtfertigt sind, aber halten sich wie alle Vorurteile bestens!"
Wozu braucht man eine Plansprache, wo es doch ungeplante Sprachen sonder Zahl gibt?
Volapük aus Konstanz am Bodensee
Eigentlich ist der Mensch fröhlich, friedlich und kommunikativ. Um diese guten Eigenschaften auszuleben, bedient er sich vornehmlich der Sprache. Sie allerdings hat ein Problem: Sprache unterscheidet sich voneinander. Auf ungefähr 6500 verschiedene, sinntragende menschliche Lautsysteme kommt man bei einer Zählung; so viele Sprachen auf der Welt gibt es, Pi mal Daumen. Selbst wenn man diese zu Sprachfamilien zusammenfasst, innerhalb derer jeweils ein rudimentäres Maß an Verständigung möglich wäre, bleiben noch 180 potenzielle Kommunikationsbarrieren übrig. Wie wäre es da mit einer einzigen Weltzweitsprache für alle, zumal im Zeitalter der jähen Globalisierung?
"In einer mir selber räthselhaften, ja geheimnisvollen Weise, in dunkler Nacht im Pfarrhause zu Litzelstetten bei Konstanz, im Eckzimmer des zweiten Stockes, das in den Pfarrgarten hinausschaut, als ich lebhaft über alle Thorheiten, Mißstände, Gebrechen und Jämmerlichkeiten unserer Zeit nachdachte, stand plötzlich das Gebäude meiner Weltsprache als ein Ganzes leuchtend vor meinem geistigen Auge", schrieb ein Herr namens Johann Martin Schleyer in einer retrospektiven Selbstbejubelung 1888.
„Die erste Sprache, die ich Ihnen gerne vorstellen möchte, ist Volapük“, sagt Bernhard Tuider. „Volapük ist 1879 veröffentlicht worden von Johann Martin Schleyer, einem Geistlichen aus Konstanz am Bodensee. Die Sprache hat sich in den 1880er-Jahren relativ rasch verbreitet, vor allem unter Intellektuellen und im Bürgertum. Sie hat aber dann nach der Veröffentlichung des Esperanto, nach 1887, wieder an Bedeutung verloren.“
Bernhard Tuider betreut die Plansprachensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien, mit der kleinen Schausammlung im sogenannten „Esperanto-Museum“. „Wichtig zu sagen ist auch, dass Volapük die erste Plansprache war, die eine größere Sprechergemeinschaft hervorgerufen hat.“
„Es hat Dampfer gegeben, es hat einen Zeppelin gegeben mit dem Namen ´Volapük`“, erzählt Irmi Haupenthal. „Es hat Volapük-Sekt gegeben! So wie es heute auch noch hin und wieder Esperanto-Wein gibt… ja, gab’s!“ Und es gab eine Volapük-Hymne, die der Chor der Bayrischen Staatsbibliothek München noch heute gelegentlich singt.
Bernhard Tuider erklärt: „Die Sprache Volapük enthält relativ viele Umlaute. Sie ist deshalb auch nicht ganz so leicht zu erlernen gewesen, wie Johann Martin Schleyer meinte. Und auch die Grammatik hat sich im direkten Vergleich mit der Esparanto-Grammatik als zu kompliziert erwiesen. Und deshalb hat Esperanto dann in relativ kurzer Zeit schon mehr Sprecher gehabt als Volapük.“
„Volapük ist auf ersten Anhieb nicht verständlich für einen Europäer“, bekräftigt auch Irmi Haupenthal und hat sich doch zusammen mit Ihrem 2016 verstorbenen Mann Reinhard Haupenthal – der eben das Vaterunser auf Volapük anklingen ließ – mit der ersten wirklich erfolgreichen Plansprache beschäftigt. Jahrzehntelang betrieb das Lehrer-Ehepaar einen kleinen Verlag, dessen Bestände sie vor ein paar Jahren der Bayrischen Staatsbibliothek vermachten.
Darunter befindet sich unter anderem die Dokumentation des konstituierenden Volapük-Kongresses 1884: „1te öffentliche Versammlung um 9 Uhr. Dieselbe beginnt mit dem Vortrage der Vereinshymne durch den Kirchenchor Friedrichshafen. Der Präsident begrüßt die Versammlung und stellt den Erfinder Pfr. J. M. Schleyer vor. Dieser beginnt mit dem Gruße: … und hält die Begrüßungsrede.“
Johann Martin Schleyer, Erfinder der Plansprache Volapük.© picture alliance / dpa / akg-images
„Schleyer war als Pfarrer, als Geistlicher ein Menschenfreund“, sagt Irmi Haupenthal. „Er wollte den Leuten helfen!“
Denn auch in der Abgeschiedenheit zu Litzelstetten konnte man die Augen nicht vor dem technischen Fortschritt verschließen: Eisenbahn und Dampfer hatten Kutschen und Segelschiffe verdrängt, man verschickte Telegramme per Draht, und der 1874 gegründete Weltpostverein sorgte für einen regen Austausch von Korrespondenzen. Das alles warf Probleme auf.
„Deshalb ist es für jeden Gebildeten, besonders aber für Reisende und Geschäftsleute, überhaupt für die Handelswelt, geboten, fremde Sprachen zu erlernen“, erläuterte ein Arzt namens Kniele auf dem Friedrichshafener Kongress.
„Mit 2-8 Sprachen kann man sich nicht bei allen Völkern verständlich machen; folglich müsste man alle Sprachen, zum mindesten ein Dutzend erlernen. Aber wer vermag dieses?“
„Große Geschäftshäuser werden den Vortheil aus Volapük ziehen, dass sie statt 3, 4-6 kostspieliger Korrespondenten nur noch einen Korrespondenten zu besolden brauchen, welcher Volapük gelernt hat.“
Vorteile einer geplanten Sprache
„Die Vorzüge unserer Weltsprache sind: 1. Die beispiellose Kürze. 2. Die Deutlichkeit. 3. Die Sprache klingt kräftig und wohltönend. 4. Dieselbe ist sehr leicht erlernbar, da es keine Ausnahmen gibt. 5. Sie ist die formenreichste aller vorhandenen Sprachen, mutet aber dem Schüler nicht zu, 1000 Formen für ein Verb zu lernen.“
Das versichert ein zeitgenössisches Pamphlet.
„6. Sie besitzt große Freiheit in der Wortstellung. 7. Jeder Laut hat nur ein Zeichen, und jedes Zeichen gilt nur für einen Laut. 8. Sie hat klare Begriffe, strenge Logik.“
„Man kann es sprechen, aber man muss dann doch schon relativ Aufwand treiben dafür“, schildert Cyril Robert Brosch seine Erfahrungen. Der Berliner Linguist pflegt eine leidenschaftliche Beziehung zu Plansprachen aller Art.
„Und ich merk das immer selbst, wenn ich jetzt aktuelle Volapük-Texte lese, dann hänge ich ganz lange am Wörterbuch, weil ich auch häufig nicht weiß bei einem dreisilbigen Wort, wo muss ich das zertrennen? Weil es aus ganz vielen Wortbildungssilben besteht, und dann kann man das häufig mal in die eine oder die andere Richtung zertrennen, und dann rätsele ich lange an so einem Satz rum“, erzählt er.
"9. Sie eignet sich zur Poesie und Prosa, wie folgende preußische Nationalhymne beweist."
"Heil dir im Siegerkranz
Herrscher des Vaterlands!
Heil, Kaiser, dir!
Fühl in des Thrones Glanz
die hohe Wonne ganz
Liebling des Volks zu sein!
Heil Kaiser, dir!" darüber:
Auf Volapük
Sanis in vikoda
Festum, o söl läna,
o reg, ole!
Senolöd in tlona
Nid legäli lada:
Binön löfäb neta
San, reg, ole!
"Zu weiterer unentgeltlicher Auskunft über Volapük ist gern bereit: Herr Oberlehrer Näther in Oschatz."
Der kurze Boom von Volapük
Das Oberlehrerhafte entströmt dem Volapük aus allen Poren. Es ist zwar logisch konsistent, zwingt seine Adepten jedoch ins Joch weitgehend assoziationsfreier Silben.
„Volapük hatte einen enormen Boom und ist dann ganz schnell wieder zusammengeschrumpft“, erklärt Klaus Schubert, Linguistik-Professor an der Universität Hildesheim. Der Grund dafür lag an Johann Martin Schleyer selbst. Als katholischer Priester verteidigte er den 1870 postulierten Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes vehement – und wandte ihn gleich auf sich selbst an.
Seinen Anhängern verbot er schlicht Veränderungen an „seiner“ Sprache. „Die haben dann gewartet, bis der endlich gestorben war, und haben dann eine große Reform gemacht. Dadurch ist es aber auch nicht größer geworden, das Volapük“, sagt Klaus Schubert.
Auch die gespreizt patriotische Grundhaltung des Schleyer-Projekts stößt einem heute eher übel auf. Die scheinbar neutrale Weltsprache sollte nämlich die britische Welthandelsvormacht unterminieren, indem sie die englische Sprache von ihrem führenden Platze verdrängte. Dazu kam es nicht, denn in einem anderen Babylon regte sich ein weniger engstirniger Spracherfindergeist.
Esperanto – erfunden in Osteuropa
„Polen ist auch sehr unterstützend, was Esperanto angeht. Was sicher auch was damit zu tun hat, dass Zamenhof in Polen geboren ist. Oder in dem heutigen Polen geboren ist“, erklärt Iris Wunsch-Teruel.
Im damals vom zaristischen Russland besetzten Polen verzweifelte 1887 der jüdische Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof am Sprachengewirr seiner Heimatstadt Białystok. Sein Esperanto beerbte das Volapük und ist als einzige Plansprache bis heute nennenswertem Umfang in Gebrauch geblieben. Diese Erfolgsgeschichte verdeckt freilich, wie groß das Feld ursprünglich war, auf dem letztlich nur eine Pflanze gedieh.
Esperanto wurde vom polnischen Augenarzt Ludwig Lazarus Zamenhof erdacht.© picture alliance / Mary Evans Picture Library
Bernhard Tuider von der Österreichischen Nationalbibliothek: „Es gibt mehr als 500 Plansprachen beziehungsweise Plansprachenprojekte. Plansprachenprojekte deshalb, weil viele Sprachen den Projektstatus nicht überschritten haben. Und nur ein sehr, sehr kleiner Teil der Plansprachenprojekte, weniger als ein Prozent, eine Sprechergemeinschaft hervorgerufen haben.“
Cyril Brosch betrachtet einen Text auf seiner Webseite, den er selber einmal geschrieben hat: vollkommen rätselhafte Buchstabenfolgen ohne jede Lücke.
„Ich hatte die irgendwie komische, arbiträre Entscheidung, dass ich keine Worttrennung habe. Was mir natürlich heute jetzt im Nachhinein Probleme bereitet, das Zeug selbst zu lesen! Weil ich nicht mehr die Vokabeln im Kopf habe! Einfach nach 20 Jahren weiß ich auch nicht mehr, was das alles ist. Das heißt, ich müsste selbst im Wörterbuch nachgucken“, um das von ihm als Jugendlicher entworfene „S’nôke“ zu verstehen. Es handelt sich, im Terminus des Linguisten, um eine agglutinierende Ergativsprache
Die Lust, Sprachen zu erfinden
Die Menschheit ersinnt seit Jahrhunderten mit überbordender Fantasie neue Sprachwelten: Pasilingua! Kosmos! Myrana und Communia! Mondolingue! Universala! Novilatin! Spelin! Dil! Veltparl! Dilpok! Langue bleue! Pankel! Latino sine flexione! Mondelingva! Solresol!
„Solresol ist eine musikalische Plansprache von Jean François Sudre. Jean François Sudre wurde 1787 in Südfrankreich geboren. Er hat dann Violine und Harmonielehre in Paris studiert. Und er hat sich ab 1817 bis zu seinem Ableben 1862 mit der Plansprache Solresol befasst“, erzählt Bernhard Tuider.
Und das ist keineswegs der früheste Versuch einer Plansprache, sondern nur der kühnste. Die geistigen Grundlagen dafür sind 200 Jahre älter. In der Zeit von René Descartes begann man, zwei Typen von Universalsprachen zu unterscheiden: apriorische Sprachen und aposteriorische Sprachen.
„Die apriorischen Sprachen, die vor allem im 17. und 18. Jahrhundert beliebt waren, bestanden aus anhand einer festgelegten Klassifikation willkürlich ausgewählten Buchstaben, Silben oder Wörtern, die (…) in keiner Weise auf natürlichen Sprachen beruhen“, schreibt die amerikanische Linguistin Naomi Baron.
„Sie soll eine Hilfssprache sein"
Auch den deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz beschäftigte ein Leben lang die „lingua universalis“, wie Hans Werner Arndt in einem Aufsatz beschrieb: „Sie soll eine Hilfssprache sein für den internationalen Verkehr. Sie soll ein Symbolsystem sein, das einen exakten Ausdruck der schon gewonnenen und aller zukünftigen Erkenntnisse ermöglicht. Sie soll schließlich ein Instrument sein, das der demonstrativen Herleitung als wahr erkannter Sätze und der Erlangung neuer Einsichten dient.“
Neue Einsichten durch neue Zeichenkombinationen? Die vorhandenen reichen doch allemal aus!
„Das Hauptübel der natürlichen Sprachen sieht Leibniz in der Mehrdeutigkeit ihres Vokabulars. Philosophische Streitigkeiten, so meint er, sind fast ausnahmslos Wortstreitigkeiten.“ Das allerdings könnte man durch komplette Vermeidung von Worten unterbinden.
„Solresol basiert auf den sieben Noten der Tonleiter“, erklärt Bernhard Tuider. „Do re mi fa so la si. Durch Kombination dieser Silben hat Sudre mehrsilbige Wörter gebildet, die man dann je nach Belieben sprechen, singen oder auf einem Musikinstrument spielen konnte. Natürlich wenn man die Wörter als Töne wiedergibt, braucht man, denke ich, ein sehr gutes und sensibles Gehör, um auch zu verstehen, was der Kommunikationspartner mitteilen möchte. Anfang der 1840er-Jahre gab es auch Pläne, die Sprache Solresol in der französischen Armee einzuführen.“
Dazu kam es nicht, wie es nirgends je eine politische oder administrative Entscheidung zugunsten einer Plansprache gegeben hat. Der militärische Einsatz scheint auch besonders abwegig, hat sich mit dem einzig erfolgreichen Esperanto doch ein dezidiert pazifistisches Projekt durchgesetzt.
„Mein Großvater hob den Wert seines Werkes, das auf Verständigung zielt, mit Nachdruck hervor“, sagt der jüngst verstorbene Enkel des Esperanto-Erfinders, Louis-Christophe Zaleski-Zamenhof, in einem langen, als Buch edierten Gespräch. „Ihn interessierte nicht die Sprache als ,Code für Kaufleute’, sondern als Instrument der menschlichen Verständigung im Geist der Brüderlichkeit.“
Esperanto und humanistische Aufbruchsbewegung
„Ich kann immer nicht so richtig nachvollziehen, warum Menschen so eine Antihaltung haben gegen Esperanto“, sagt Iris Wunsch-Teruel. „Ich kann verstehen, wenn man sagt, man möchte es nicht lernen, weil man gerade andere Prioritäten hat. Aber etwas abzulehnen, was in der Grundsache rein positiv ist und was total Weltbejahendes hat, find ich schwer nachvollziehbar.“
Ihre Irritation ist begreiflich, denn Esperanto eignet eine grundgütige Welthaltung. Es entstand im Klima der humanistischen Aufbruchsbewegungen des späten 19. Jahrhunderts. Die Distanzen waren geschrumpft, jetzt sollte die Welt menschlich zusammenwachsen – durch eine „Internationale Sprache“, wie Ludwik Lejzer Zamenhof das zunächst nannte.
Während Prälat Schleyer in Litzelstetten eifersüchtig über sein Volapük wachte und noch im Jahre 1900 über „die Pfuscher-Sprache des Pseudo-Esperanto“ polemisierte, hatte Dr.med. Zamenhof von vornherein weniger eigensüchtige Ziele.
Er schrieb an Schleyer: „Ich arbeite nicht gegen Volapük, sondern für die Idee. (…) Wenn das Urteil der Welt noch nicht abgeschlossen ist, werden die ,Internationale Sprache’ und ,Volapük’ wie zwei Freunde sein, die ein gemeinsames Ziel im Leben haben. Entweder stirbt eine der Sprachen von selbst oder die Menschheit wird zwei Sprachen haben und sogar das wird für die Welt besser sein als ohne Weltsprache zu bleiben.“
„Zamenhof hat in seinem ersten kleinen Büchlein, in dem er das Esperanto bekannt gemacht hat, geschrieben: ´Ich gebe hiermit die Urheberrechte auf und lege die Sprache in die Hände derer, die sie sprechen.‘ Natürlich, als Urheber hat er immer Post gekriegt: ‚Was empfehlen Sie hier?‘ Und das hat er auch dann in Esperanto-Zeitschriften und so beantwortet“, sagt Klaus Schubert.
„Da hat er einmal gesagt: ‚Das was Sie jetzt vorschlagen, das ist gut, das find ich logisch! Ob das dann aber so gesagt wird, wird die Sprachverwendung entscheiden. Das entscheiden die Sprecher des Esperanto und nicht ich.‘“
Was Klaus Schubert erzählt, ist ein Grund für die Erfolgsgeschichte des Esperanto: Sprache gehört den Sprechenden. Ein anderer lag darin, dass Zamenhofs „Universalsprache“ nicht apriorisch, sondern aposteriorisch aufgebaut ist: Sie greift auf vorhandenes Sprachmaterial zurück und bessert es nur aus, indem das grammatische Regelwerk vereinfacht und von jenen Sonderfällen bereinigt wird, die jeden Nicht-Muttersprachler zur Verzweiflung treiben. Tatsächlich kommt einem Esperanto irgendwie bekannt vor.
„Es sind ja vielleicht zwei Drittel der Wortstämme romanisch. Andererseits werden anders als in den romanischen Sprachen Wörter zusammengesetzt, wie wir es im Deutschen auch tun“, erklärt Klaus Schubert.
„Und sehr viel mit Vorsilben Nachsilben abgeleitet, wodurch man ja Lernaufwand spart. Das gibt dann längere Wörter, als wir es aus dem Französischen oder Spanischen kennen. Insofern klingt es nicht so wahnsinnig romanisch. Es hat ein gerolltes R, was ja irgendwie einen spanischen Touch gibt. Es hat schon irgendwie einen eigenen Klang!“
„Die Leichtigkeit des Erlernens ist dermaßen groß, dass ich, als ich vor sechs Jahren eine Grammatik, ein Wörterbuch und in dieser Sprache geschriebene Artikel erhielt, nach nicht mehr als zweistündiger Beschäftigung sie schon, wenn auch nicht schreiben, so diese Sprache wenigstens frei lesen konnte“, schrieb einst Lew Tolstoi, einer der ersten prominenten Esperanto-Anhänger.
Esperanto gilt als einfachste Fremdsprache der Welt und basiert nur auf 16 Regeln, die allesamt auf einen Bierdeckel passen.© Deutschlandradio
Englisch dominiert nach wie vor die Welt
Mag er auch ein wenig übertrieben haben, so stellten doch zahllose Untersuchungen der letzten einhundert Jahre fest, dass sich Esperanto weitaus leichter aneignen lässt als jede natürliche Sprache. „Bei 160 Unterrichtsstunden würde sich die Sprachkompetenz im Französischen auf 35 Prozent belaufen, während sie im Esperanto real Prozent beträgt.“ Das ermittelte eine Studie mit italienischen Schulkindern.
Und in China erfreut sich Esperanto nicht zuletzt deswegen einiger Beliebtheit, weil es einfacher aufgebaut ist als Englisch, man mit Esperanto-Kenntnissen dann aber sehr viel leichter das Englische erlernt. Man könnte dies als eine Art Hebelwirkung bezeichnen. Und die scheint nützlich, denn Englisch dominiert nach wie vor die Welt.
Die Not, eine universale Sprache für alle zu brauchen, brachte allerdings schon in den 1970er-Jahren das für diesen Zweck gar nicht so geeignete Englisch in Bedrängnis. Damals ersann ein amerikanischer Konzern etwas ganz Raffiniertes: Das „Caterpillar Fundamental English“.
„Caterpillar ist ja ein amerikanischer Baumaschinenhersteller. Die haben damals ihre Dokumentationen zum Betrieb und zur Reparatur und Wartung der Maschinen in 40 Sprachen übersetzt. Und irgendein genialer Manager muss draufgekommen sein, dass wir das Geld für diese 40 Übersetzungen doch sparen könnten, indem wir ein einfaches Englisch machen und diese Techniker dann eben schulen in diesem einfachen Englisch in aller Welt“, erzählt Klaus Schubert.
„Das wurde entwickelt, zusammen mit einer Universität, seit 1972 benutzt. Man hat sich orientiert an dem ´Basic English` von Ogden von 1930, der hatte die Sprache reduziert, die englische Sprache, auf 850 Wörter. Das ist sehr, sehr wenig! Das ´Caterpillar Fundamental English` hatte auch 850 Wörter, mit denen man alles umschreiben sollte.“
Was nicht funktionierte. Denn die Autoren und technischen Redakteure der Handbücher hielten sich nicht an das von ihnen als primitiv und unzureichend erachtete Schrumpf-Englisch. Will man – als Lehre daraus – sprachlich innovativ sein, muss man statt mit Vorschriften mit Verführung arbeiten.
Hamlet auf Klingonisch
Tatsächlich beauftragten die Produzenten des „Games of Thrones“-Spektakels einen Linguisten damit, eine künstliche, aber nicht regellose Filmsprache zu entwickeln.
Sogar Selfpublisher-Fantasy-Autoren leisten sich zuweilen solchen Luxus, erzählt Cyril Brosch, der eigentlich nur aus eigenem Antrieb zuweilen Sprachuniversen ausbrütet: „Allerdings habe ich vor ein paar Jahren tatsächlich als bezahltes Projekt auch eine Plansprache für jemanden geschrieben. Das war noch mal ein großer Spaß, dass man sich das leisten konnte. Mal ein paar Wochen wirklich eine neue Sprache zu entwerfen!“, und dabei ein berühmtes Vorbild im Ohr zu haben. Es gibt den kompletten Hamlet auch auf Klingonsich.
„Klingonisch ist Anfang der 1980er-Jahre geschaffen worden für die Fernsehserie ´Startrek`, in der Klingonisch sozusagen die offizielle Sprache des klingonischen Reiches ist“, erklärt Bernhard Tuider.
Und wenn Bernhard Tuider von der Österreichischen Nationalbibliothek Klingonisch-Schnellkurse anbietet, ist die Nachfrage so groß wie bei Esperanto-Angeboten. Was vielleicht damit zusammenhängt, dass Sprache Identität schafft – und man sich mit einem derart exotischen Idiom mal ganz außerirdisch fühlen kann.
Die Ärztin Iris Wunsch-Teruel – Muttersprache Esperanto – schätzt ihre polyglotten Erfahrungen jedenfalls sehr:
„Ich bin ein bisschen anders, wenn ich Spanisch spreche. Ich bin anders, wenn ich Esperanto spreche. Ich bin anders, wenn ich Deutsch spreche, wenn ich Englisch spreche, wenn ich Französisch spreche, wenn ich Portugiesisch spreche“, sagt sie.
„In all diesen Sprachen bin ich einfach, weil ich andere soziale Interaktionen mit den Menschen hab, bin ich auch irgendwie ein anderer Mensch! Mir wird häufig gesagt, dass ich im Spanischen viel lockerer wirke, viel wärmer! Und dabei würde ich sagen, ich bin generell ein warmer Mensch, aber irgendwie in der deutschen Sprache wirkt es anders!“
Dieses individuelle Transformationserlebnis ist vielleicht der eigentliche Mehrwert für den einzelnen Esperantisten, während die kollektiven Weltverbrüderungsvisionen des Dr. Zamenhof doch eher Poesie geblieben denn Politik geworden sind.
„Humphrey Tonkin hat mal in einem Vortrag sehr schön davon gesprochen, dass es diese ´Wenn-nur`-Literatur gäbe, die immer sagt: ´Ja wenn nur dieser eine Punkt anders wäre! Wenn nur die ganze Menschheit dieselbe Sprache sprechen würde!` – Dann hätten wir den Weltfrieden. Und die Klimakatastrophe vermieden und auch noch alles andere“, sagt Klaus Schubert.
„Das ist ja nicht so! Die menschliche Gesellschaft ist sehr komplex, und Menschen haben ihre eigenen Interessen, die häufig nicht unbedingt zum Weltfrieden beitragen. Eine gemeinsame Sprache kann da sehr viel verbessern – aber die Lösung für alles ist sie auch nicht.“
Ein Feature von Florian Felix Weyh
Es sprachen:
Markus Hoffmann
Bettina Kurth
Torsten Föste
Ton: Alexander Brennecke
Regie: Frank Merfort
Redaktion: Martin Hartwig
Hören Sie zum Thema auch ein Gespräch mit Redakteur Martin Hartwig.
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