"Planung wird zum Albtraum"
Syrische Flüchtlinge in Deutschland - für den Direktor für internationale Kommunikation der Hilfsorganisation Care Deutschland, Thomas Schwarz, kein undenkbares Szenario mehr. Denn Syriens Nachbarländer stießen inzwischen an ihre Grenzen.
Ute Welty: 100.000 Menschen haben in diesem August Syrien verlassen. Damit hat sich die Zahl der Flüchtlinge innerhalb der letzten vier Wochen nahezu verdoppelt. Das jedenfalls meldet das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, und Außenminister Guido Westerwelle warnt vor einem Kollaps in Syrien.
Guido Westerwelle:Deutschland hat bereits 22 Millionen Euro für die Versorgung der Opfer des Syrien-Konfliktes zur Verfügung gestellt. Wir sind der Überzeugung, dass diese Mittel sowohl der notleidenden Bevölkerung in Syrien zugutekommen müssen wie aber auch den Flüchtlingen in den Nachbarländern, denn die Gefahr ist unverändert groß, dass ja aus dem Konflikt in Syrien auch ein Flächenbrand und Instabilitäten in der gesamten Region entstehen können. Deswegen ist es nicht nur humanitär, es ist nicht nur mitmenschlich wichtig, den Flüchlingen beizustehen und ihnen zu helfen, sondern es ist auch im Interesse der Stabilisierung der gesamten Region.
Ute Welty: Westerwelle hat vor allem der Türkei Hilfe angeboten bei der Versorgung der Flüchtlinge, die aber auch in Jordanien Schutz suchen. Dort befindet sich auch Thomas Schwarz von der Hilfsorganisation Care. Guten Morgen, Herr Schwarz!
Thomas Schwarz: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Haben Sie sich schon einen Überblick verschaffen können über das, was gut läuft und das woran es fehlt?
Schwarz: Ja, das sind ja viele Dinge, die Sie fragen in einer kurzen Frage. Ich konnte mir einen Überblick verschaffen, das kann man sicher sagen. Ich hab mit ganz vielen Flüchtlingen schon sprechen können. Wir müssen sehen, dass es hier eine Flüchtlingsbewegung vor allem im August gegeben hat, die auch in dieser Form, in dieser Stärke nicht wirklich zu erwarten war. Und das ist das Entscheidende, wenn wir auf die Konflikte – manche sagen, Konflikte sei gar nicht mehr der richtige Ausdruck – schauen, dass sich das dynamisiert hat in den letzten Wochen, dass die Zahlen explodiert sind. Sie haben das eben angesprochen, dadurch, dass das eben nicht genau vorhersehbar ist, ist es auch sehr schwierig, gezielt und präzise zu helfen.
Welty: Was läuft denn gut?
Schwarz: Nun, was gut läuft, dass nicht nur wir, Care, hier als Organisation helfen, dass die Vereinten Nationen viel tun, dass es andere Hilfsorganisationen gibt, die nicht nur hier in Jordanien, sondern auch im Libanon, wo ich ja auch war, in der Türkei helfen. Das relativ schnell geholfen wurde, dass man Menschen direkt erreichen kann. Das ist gut, das ist ja auch nicht in allen Krisen oder Katastrophen der Fall. Wenn wir über die Menschen sprechen, die über die Grenzen flüchten. In Syrien selbst ist es ja extrem schwierig, das wissen wir alle, an die Flüchtlinge im eigenen Land heranzukommen, an die, die betroffen sind, die verletzt sind, die irgendwohin gelaufen sind, im wahrsten Sinne des Wortes, weil sie zu Hause nicht mehr sicher waren. Das ist sicher nicht gut.
Welty: Sie haben eben gesagt, Sie haben auch mit Flüchtlingen selbst sprechen können. Was berichten die?
Schwarz: Das sind zum Teil sehr erschütternde Berichte. Ich nehme mal zwei Beispiele heraus. Ich war an der Grenze zu Syrien hier in Jordanien, habe dort unter anderem mit einer Familie gesprochen, deren Vater bei den Kämpfen umgekommen ist, die Mutter und die Kinder haben das über eine Fernsehberichterstattung erfahren. Daraufhin hat das jüngste Mitglied der Familie, ein Mädchen, drei, vier Jahre alt, einen derartigen Schock erlitten, eine Schockstarre erlitten, dass sie an einer kleinen Stelle auf dem Kopf Haare verloren hat. Diese Kinder sind total traumatisiert, wissen natürlich überhaupt nicht, wie sie mit dieser Sache umgehen sollen. Und das ist eine Geschichte, die mich persönlich am Herzen betroffen hat. Im Libanon habe ich Flüchtlingsfamilien kennengelernt in einer Fabrik in Sidon an der Küste, die dort in einer Fabrik leben, in der zweiten Etage, in denen unten Ziegen geschlachtet werden. Und der Gestank 24 Stunden da ist, wo es natürlich keine Aircondition gibt, wo es keine abgeschlossenen Räume gibt, wo sie sich hin zurückziehen können. Die Felle der toten Tiere werden oben genau dort getrocknet, wo die Flüchtlinge leben. Das sind so zwei Beispiele. Die Menschen haben Angst, sich zu zeigen, sich fotografieren oder filmen zu lassen, jedenfalls ganz, ganz viele, weil sie irgendeine Art von Vergeltung fürchten, wenn sie wieder nach Hause kommen. Das ist zum Teil ganz diffus. Sie können das nicht genau beschreiben, was das ist, aber sie haben Angst, auch hier noch auf der Flucht in den Ländern, in die sie hineinfliehen.
Welty: Die Deutlichkeit dieser Berichte lässt befürchten, dass die Flüchtlingszahlen nicht kleiner werden und damit auch die Probleme nicht. Wenn Sie sich anschauen, woran es jetzt schon fehlt, was müssen Sie da befürchten?
Schwarz: Nun, die Herausforderung besteht für alle, die dort helfen, in der Unvorhersehbarkeit der Entwicklung. Wenn Sie mit den Flüchtlingen sprechen und sie zum Beispiel fragen, was glauben Sie, wie lange wird das denn noch dauern, wann können Sie denn wieder nach Hause, dann kriegen Sie ganz unterschiedliche Antworten. Ende Juli, Anfang August haben mir Flüchtlinge gesagt, ja, das dauert noch vier Wochen, vielleicht zwei Monate, dann ist das dort entschieden, dann können wir wieder nach Hause gehen. Wir haben ja alle nicht den Eindruck, dass das der Fall sein wird. Ich habe noch gestern und vorgestern an Sitzungen teilgenommen, bei denen auch viele andere Hilfsorganisationen zusammen waren mit den Vereinten Nationen – niemand wagt dort auch nur im Ansatz eine Prognose, wie lange es noch dauern wird. Das Problem ist, dass Sie zum Beispiel hier in Jordanien jetzt ein Flüchtlingslager haben, dass von den Vereinten Nationen geleitet wird in Zusammenarbeit mit der jordanischen Regierung. Dort leben jetzt etwa 30.000, 35.000 Flüchtlinge. Das ist ausgelegt für bis zu 120.000 bis 130.000 Flüchtlinge. Das heißt, man rechnet durchaus damit, dass es mehr werden kann. Aber es könnte natürlich genauso gut sein, dass innerhalb der nächsten vier Wochen, zwei Monate, drei Monate es irgendeine Art von Lösung oder Entscheidung in Syrien gibt. Das macht die Planung im Grunde genommen zu einem Albtraum.
Welty: Hilfe vor Ort hat Vorrang. Das ist bisher das Credo der Bundesregierung, mit ersten vorsichtigen Einschränkungen gerade auch vom Außenminister. Können Sie nachvollziehen, warum sich Westerwelle schwer damit tut, Flüchtlinge aufzunehmen?
Schwarz: Ich glaube, dass es immer eine schwierige Diskussion ist in einem Land davon zu sprechen, dass möglicherweise bald viele Flüchtlinge kommen. Deutschland hat ja eine gute Tradition, finde ich, wenn man an die Flüchtlinge denkt, die aus dem Balkan gekommen sind. Die aus einer ganz schwierigen, zum Teil brutalen Kriegs- und Bürgerkriegssituation zu uns gekommen sind. Wenn Sie sich einmal die Dimensionen anhand der Zahlen deutlich machen – und ich nenne wirklich nicht viele –, dann müssen wir uns nur Jordanien ansehen, ein kleines Land, eines der fünf bis zehn wasserärmsten Länder der Erde mit 170.000, 180.000 Flüchtlingen, die Regierung spricht hier davon, dass es bis zu 240.000 werden können. Wenn wir das auf Deutschland übertragen, würde das bedeuten, dass in Deutschland zurzeit zwischen anderthalb und knapp zwei Millionen Flüchtlinge leben würden. Ein Land wie Jordanien kann alles versuchen, die Flüchtlinge aufzunehmen, mit ihnen gut umzugehen, mit den Hilfsorganisationen wie Care und der UN und anderen zusammenzuarbeiten. Aber irgendwann ist die Kapazität möglicherweise begrenzt. Und dann müssen wir unserer humanitären Pflicht nachkommen und darüber nachdenken, dass wir selbstverständlich aus diesem humanitären Ansatz auch möglicherweise Flüchtlinge aufnehmen müssen.
Welty: Thomas Schwarz von Care besucht Flüchtlingslager von Syrern in Jordanien. Ich danke für das Gespräch und wünsche Erfolg für die Arbeit!
Schwarz: Herzlichen Dank nach Berlin!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Guido Westerwelle:Deutschland hat bereits 22 Millionen Euro für die Versorgung der Opfer des Syrien-Konfliktes zur Verfügung gestellt. Wir sind der Überzeugung, dass diese Mittel sowohl der notleidenden Bevölkerung in Syrien zugutekommen müssen wie aber auch den Flüchtlingen in den Nachbarländern, denn die Gefahr ist unverändert groß, dass ja aus dem Konflikt in Syrien auch ein Flächenbrand und Instabilitäten in der gesamten Region entstehen können. Deswegen ist es nicht nur humanitär, es ist nicht nur mitmenschlich wichtig, den Flüchlingen beizustehen und ihnen zu helfen, sondern es ist auch im Interesse der Stabilisierung der gesamten Region.
Ute Welty: Westerwelle hat vor allem der Türkei Hilfe angeboten bei der Versorgung der Flüchtlinge, die aber auch in Jordanien Schutz suchen. Dort befindet sich auch Thomas Schwarz von der Hilfsorganisation Care. Guten Morgen, Herr Schwarz!
Thomas Schwarz: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Haben Sie sich schon einen Überblick verschaffen können über das, was gut läuft und das woran es fehlt?
Schwarz: Ja, das sind ja viele Dinge, die Sie fragen in einer kurzen Frage. Ich konnte mir einen Überblick verschaffen, das kann man sicher sagen. Ich hab mit ganz vielen Flüchtlingen schon sprechen können. Wir müssen sehen, dass es hier eine Flüchtlingsbewegung vor allem im August gegeben hat, die auch in dieser Form, in dieser Stärke nicht wirklich zu erwarten war. Und das ist das Entscheidende, wenn wir auf die Konflikte – manche sagen, Konflikte sei gar nicht mehr der richtige Ausdruck – schauen, dass sich das dynamisiert hat in den letzten Wochen, dass die Zahlen explodiert sind. Sie haben das eben angesprochen, dadurch, dass das eben nicht genau vorhersehbar ist, ist es auch sehr schwierig, gezielt und präzise zu helfen.
Welty: Was läuft denn gut?
Schwarz: Nun, was gut läuft, dass nicht nur wir, Care, hier als Organisation helfen, dass die Vereinten Nationen viel tun, dass es andere Hilfsorganisationen gibt, die nicht nur hier in Jordanien, sondern auch im Libanon, wo ich ja auch war, in der Türkei helfen. Das relativ schnell geholfen wurde, dass man Menschen direkt erreichen kann. Das ist gut, das ist ja auch nicht in allen Krisen oder Katastrophen der Fall. Wenn wir über die Menschen sprechen, die über die Grenzen flüchten. In Syrien selbst ist es ja extrem schwierig, das wissen wir alle, an die Flüchtlinge im eigenen Land heranzukommen, an die, die betroffen sind, die verletzt sind, die irgendwohin gelaufen sind, im wahrsten Sinne des Wortes, weil sie zu Hause nicht mehr sicher waren. Das ist sicher nicht gut.
Welty: Sie haben eben gesagt, Sie haben auch mit Flüchtlingen selbst sprechen können. Was berichten die?
Schwarz: Das sind zum Teil sehr erschütternde Berichte. Ich nehme mal zwei Beispiele heraus. Ich war an der Grenze zu Syrien hier in Jordanien, habe dort unter anderem mit einer Familie gesprochen, deren Vater bei den Kämpfen umgekommen ist, die Mutter und die Kinder haben das über eine Fernsehberichterstattung erfahren. Daraufhin hat das jüngste Mitglied der Familie, ein Mädchen, drei, vier Jahre alt, einen derartigen Schock erlitten, eine Schockstarre erlitten, dass sie an einer kleinen Stelle auf dem Kopf Haare verloren hat. Diese Kinder sind total traumatisiert, wissen natürlich überhaupt nicht, wie sie mit dieser Sache umgehen sollen. Und das ist eine Geschichte, die mich persönlich am Herzen betroffen hat. Im Libanon habe ich Flüchtlingsfamilien kennengelernt in einer Fabrik in Sidon an der Küste, die dort in einer Fabrik leben, in der zweiten Etage, in denen unten Ziegen geschlachtet werden. Und der Gestank 24 Stunden da ist, wo es natürlich keine Aircondition gibt, wo es keine abgeschlossenen Räume gibt, wo sie sich hin zurückziehen können. Die Felle der toten Tiere werden oben genau dort getrocknet, wo die Flüchtlinge leben. Das sind so zwei Beispiele. Die Menschen haben Angst, sich zu zeigen, sich fotografieren oder filmen zu lassen, jedenfalls ganz, ganz viele, weil sie irgendeine Art von Vergeltung fürchten, wenn sie wieder nach Hause kommen. Das ist zum Teil ganz diffus. Sie können das nicht genau beschreiben, was das ist, aber sie haben Angst, auch hier noch auf der Flucht in den Ländern, in die sie hineinfliehen.
Welty: Die Deutlichkeit dieser Berichte lässt befürchten, dass die Flüchtlingszahlen nicht kleiner werden und damit auch die Probleme nicht. Wenn Sie sich anschauen, woran es jetzt schon fehlt, was müssen Sie da befürchten?
Schwarz: Nun, die Herausforderung besteht für alle, die dort helfen, in der Unvorhersehbarkeit der Entwicklung. Wenn Sie mit den Flüchtlingen sprechen und sie zum Beispiel fragen, was glauben Sie, wie lange wird das denn noch dauern, wann können Sie denn wieder nach Hause, dann kriegen Sie ganz unterschiedliche Antworten. Ende Juli, Anfang August haben mir Flüchtlinge gesagt, ja, das dauert noch vier Wochen, vielleicht zwei Monate, dann ist das dort entschieden, dann können wir wieder nach Hause gehen. Wir haben ja alle nicht den Eindruck, dass das der Fall sein wird. Ich habe noch gestern und vorgestern an Sitzungen teilgenommen, bei denen auch viele andere Hilfsorganisationen zusammen waren mit den Vereinten Nationen – niemand wagt dort auch nur im Ansatz eine Prognose, wie lange es noch dauern wird. Das Problem ist, dass Sie zum Beispiel hier in Jordanien jetzt ein Flüchtlingslager haben, dass von den Vereinten Nationen geleitet wird in Zusammenarbeit mit der jordanischen Regierung. Dort leben jetzt etwa 30.000, 35.000 Flüchtlinge. Das ist ausgelegt für bis zu 120.000 bis 130.000 Flüchtlinge. Das heißt, man rechnet durchaus damit, dass es mehr werden kann. Aber es könnte natürlich genauso gut sein, dass innerhalb der nächsten vier Wochen, zwei Monate, drei Monate es irgendeine Art von Lösung oder Entscheidung in Syrien gibt. Das macht die Planung im Grunde genommen zu einem Albtraum.
Welty: Hilfe vor Ort hat Vorrang. Das ist bisher das Credo der Bundesregierung, mit ersten vorsichtigen Einschränkungen gerade auch vom Außenminister. Können Sie nachvollziehen, warum sich Westerwelle schwer damit tut, Flüchtlinge aufzunehmen?
Schwarz: Ich glaube, dass es immer eine schwierige Diskussion ist in einem Land davon zu sprechen, dass möglicherweise bald viele Flüchtlinge kommen. Deutschland hat ja eine gute Tradition, finde ich, wenn man an die Flüchtlinge denkt, die aus dem Balkan gekommen sind. Die aus einer ganz schwierigen, zum Teil brutalen Kriegs- und Bürgerkriegssituation zu uns gekommen sind. Wenn Sie sich einmal die Dimensionen anhand der Zahlen deutlich machen – und ich nenne wirklich nicht viele –, dann müssen wir uns nur Jordanien ansehen, ein kleines Land, eines der fünf bis zehn wasserärmsten Länder der Erde mit 170.000, 180.000 Flüchtlingen, die Regierung spricht hier davon, dass es bis zu 240.000 werden können. Wenn wir das auf Deutschland übertragen, würde das bedeuten, dass in Deutschland zurzeit zwischen anderthalb und knapp zwei Millionen Flüchtlinge leben würden. Ein Land wie Jordanien kann alles versuchen, die Flüchtlinge aufzunehmen, mit ihnen gut umzugehen, mit den Hilfsorganisationen wie Care und der UN und anderen zusammenzuarbeiten. Aber irgendwann ist die Kapazität möglicherweise begrenzt. Und dann müssen wir unserer humanitären Pflicht nachkommen und darüber nachdenken, dass wir selbstverständlich aus diesem humanitären Ansatz auch möglicherweise Flüchtlinge aufnehmen müssen.
Welty: Thomas Schwarz von Care besucht Flüchtlingslager von Syrern in Jordanien. Ich danke für das Gespräch und wünsche Erfolg für die Arbeit!
Schwarz: Herzlichen Dank nach Berlin!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.