Elektronische Kunststoff-Klänge
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PVC-Panflöten, Plastikbürsten, Tüten: Die Band Matmos verwendet für ihr neues Album Plastik. Ist dem Elektro-Duo der Plastik-Müll in den Meeren und den Mägen von Tieren egal? Oder ist "Plastic Anniversary" ein Protestalbum?
Die marschierenden Klänge im Titeltrack "Plastic Anniversary" sind - bevor sie vom Duo Matmos gesampelt und zum Song verarbeitet wurden - eingespielt von Schülern einer High School Marching Band: auf Plastikeimern und Blasinstrumenten aus Kunststoff.
Ja, in den USA lernen Kinder tatsächlich auf Plastik-Posaunen und -Trompeten. Und auch sonst stehen die Segnungen der Kunststoff-Industrie noch über den Problemen durch deren Müll.
"In der US-Öffentlichkeit gibt es da gar kein Problembewusstsein", erklärt Martin C. Schmidt von Matmos. "Im Supermarkt wird mein Milchkarton in zwei Plastiktüten verpackt. Unser Land bewegt sich bei sowas fürchterlich langsam."
Styroporboxen, PVC-Panflöten und synthetisches Fett
Einer der wenigen erkennbaren Plastik-Klänge: Das Schwirren eines PVC-Schlauches, hier drei Meter lang und mit Plastikbürsten beklopft.
Hauptinstrument von Matmos und Mitmusikern ist sonst eine überdimensionale Arzneikapsel, verwendet werden auch Styropor-Kühlboxen, PVC-Panflöten, synthetisches Fett und LEGO-Steine.
Das Wiener Vegetable Orchestra macht dagegen Musik auch auf außergewöhnlichen Instrumenten - aus Gemüse. Zeitgemäß nachhaltig wird das anschließend verspeist.Ist Matmos der Plastik-Müll in den Meeren und den Mägen von Tieren egal? Oder ist "Plastic Anniversary" ein Protest-Album?
"Ehrlich gesagt: Unser Ansatz ist kein super intellektueller oder ökologischer, das ist kein politisches Statement. Naja, vielleicht ein bisschen, mehr als sonst …"
Immerhin: Das Backcover-Bild des neuen Albums zeigt den Plastik-Mageninhalt eines Albatros. Eine Sonderauflage unterstützt wohltätige Zwecke. Und Martin C. Schmidt sieht auch, dass wir "in dunklen Zeiten leben". Einer politischen Ära, in der das Falsche, das Negieren von wissenschaftlichen Wahrheiten wie der Umweltschädlichkeit von Plastikmüll normal geworden ist.
Warum Plastik nicht grundsätzlich schlecht ist
Aber: "Mit der Musik feiern und verurteilen wir gleichzeitig. 'Plastik ist grundsätzlich schlecht', wäre eine törichte Aussage. Denn das ist es offensichtlich nicht."
Zum Beispiel in der Medizin. Und so machen Matmos auch eine betörende Basslinie aus einem - halb geniale Idee, halb Cronenbergscher Körperhorror – Silikon-Brustimplantat.
Bei ihrer laufenden "Plastic Anniversary"-Tour haben Matmos nicht alle verwendeten Plastik-Objekte dabei. Das Brustimplantat ist zu leise, andere Kunststoff-Körper passen nicht in die Instrumentenkoffer. Dafür können die Musiker ihre Computer und Synthesizer in Luftpolsterfolie einpacken, die dann auch als Instrument dient.
"Live sieht elektronische Musik immer etwas wie eine Wissenschaftsmesse aus. Wir versuchen eine aufregendere Version zu bieten, als nur Knöpfe zu drücken: Ich spiele auf den Plastik-Objekten und Drew sampelt das und baut daraus die Songs wie im Studio. Ein bisschen wie in einer Kochshow."
Sampling-Sounds und Minimalismus
Was die zwei Köche jetzt zubereiten, klingt etwas nach den frühen Sampling-Sounds von Depeche Mode und dem Minimalismus von Michael Nyman. Und ist das Rhythmischste und manchmal auch Melodischste, was Matmos zuletzt produziert haben.
Aber sollten die Elektro-Avantgardisten nicht nach 25 Jahren einen Schritt weitergehen? Musik aus künstlicher Intelligenz statt aus der immer gleichen Sampling-Technologie?
"Sampling ist nicht überholt. Wenn ich an Pierre Schaeffer denke, den Pionier von Sampling und musique concrete – seine Musik ist noch vital. Und es gibt immer wieder aufregende Musik, gemacht aus Aufnahmen anderer Gegenstände. Nein, das bleibt immer neu."