Wann ist eine Schönheits-OP medizinisch sinnvoll?
Bei plastischer Chirurgie denkt man zuerst an Fettabsaugen, Lifting oder Botox. Doch Schönheitschirurgen behandeln auch Verbrennungsopfer oder Krebspatienten. Wie passt das zusammen? Unsere Autorin Jennifer Rieger hat nachgefragt.
"We are going to sing together but not like in a church please, okay? Here we go!"
Die Rapperin und Aktivistin Sister Fa singt auf der gemeinsamen Jahrestagung von DGPRÄC und VDÄPC, also der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen und der Vereinigung der Ästhetisch-Plastischen Chirurgen.
Die gebürtige Senegalesin lebt seit 2006 in Berlin und engagiert sich im Kampf gegen die rituelle Beschneidung von Frauen. Dabei werden Klitoris und innere und äußere Schamlippen teilweise oder völlig entfernt, meist im Mädchenalter. Eine barbarische Praxis, die international als Menschenrechtsverletzung anerkannt wird. Meist haben die Betroffenen lebenslange gesundheitliche Probleme, von den seelischen Verletzungen ganz zu schweigen.
"Sie haben wahrscheinlich verstanden, warum uns das Thema am Herzen liegt. Ich glaube, das ist wirklich etwas, was uns angeht. 80.000 Frauen in Deutschland, davon gehen wir aus, es werden jeden Tag mehr durch diese Flüchtlingswelle, wir werden damit konfrontiert."
Uwe von Fritschen ist Tagungspräsident und Chefarzt an der Helios Klinik Emil-von-Behring in Berlin-Zehlendorf. Von Fritschen arbeitet außerdem im Desert Flower Center, wo Opfer von Genitalverstümmelung medizinisch und psychologisch betreut werden.
"Also es ist Aufklärung erforderlich, es muss über dieses Thema geredet werden und ich denke, wir müssen uns dieser Sache annehmen."
Die vier Säulen der plastischen Chirurgie
Eine Bestätigung, wie wichtig das Fach der ästhetisch-plastischen Chirurgie sei, betont von Fritschens Nachredner. Die plastische Chirurgie ruht auf vier Säulen:
Fritschen: "Einmal die rekonstruktive Chirurgie, die Verbrennungschirurgie, die Handchirurgie und dann ein relativ kleiner Aspekt, was häufig überbewertet wird, das ist die ästhetische Chirurgie."
Überbewertet findet auch von Fritschens Kollegin Isabel Edusei den ästhetischen Teil ihres Berufsfeldes:
"Wir lassen uns ungerne reduzieren auf die reine Schönheitschirurgie. Wir sind ästhetische Chirurgen und haben eine jahrelange Ausbildung genossen, die ganz viele Aspekte beinhaltet."
In den Vortragssälen auf der Jahrestagung werden der Reiz des Fachs schnell klar: Es ist faszinierend, was die Chirurgen am menschlichen Körper leisten können. Isabel Edusei gefällt vor allem die Vielfalt ihrer Aufgaben:
"Und die Kreativität. Man muss natürlich ein großes Repertoire an Standardtechniken beherrschen und wenn man das kann, dann kommt eigentlich diese Kreativität und die Möglichkeit, verschiedene Lösungswege zu finden und das ist bei jeder Operation eine neue Herausforderung und das macht es jeden Tag wieder neu spannend."
Sicher ist: Die Tätigkeit plastischer Chirurgen geht weit über Liften und Fettabsaugen hinaus. Sie rekonstruieren Brüste nach Brustkrebs, flicken Nervenbahnen zusammen, die bei Unfällen durchtrennt wurden und korrigieren Kiefer-Lippen-Gaumenspalten. Dennoch sind die ästhetischen Operationen ein wichtiges wirtschaftliches Standbein für plastische Chirurgen. Eine Serviceleistung für den Patienten.
Umfragen der DGPRÄC zufolge machen ästhetische Operationen etwa 30 Prozent aller Eingriffe aus. Im Jahr 2014 waren das insgesamt knapp 140.000 OPs. Hinzu kommen ungefähr noch einmal so viele Faltenunterspritzungen mit Botulinumtoxin, Eigenfett, Hyaluronsäure und anderen Präparaten. Die Zahlen basieren auf den Angaben von ungefähr einem Drittel der Mitglieder der DGPRÄC, die in Deutschland zurzeit 1030 ordentliche Mitglieder hat. Die Rücklaufquote der Umfragen ist damit relativ hoch. Trotzdem ist die tatsächliche Zahl der Eingriffe schwer zu schätzen. Denn es ist auch nicht immer klar, was Schönheitsoperation ist und was nicht.
Ästhetische Eingriffe sind umsatzsteuerpflichtig
Die DGPRÄC definiert umsatzsteuerpflichtige Behandlungen als ästhetische Eingriffe. Das können Brustvergrößerungen sein, Liftings oder Nasenkorrekturen, die keinen therapeutischen Nutzen haben. Unter Umständen – zum Beispiel bei besonderer psychischer Belastung – kann aber auch eine Schönheits-OP als medizinisch notwendig eingestuft und damit von der Steuerpflicht ausgenommen werden. Gehört Schönheit einfach zum Wohlbefinden dazu? Die Webseiten der Schönheitskliniken betonen immer wieder den Wert guten Aussehens für das Wohlbefinden.
Doch was ist medizinisch notwendig? Wann wird aus dem Wunsch, schön zu sein ein pathologischer Befund? Und ist der Arzt in der Lage, diesen Unterschied zu erkennen? Dr. Heinrich Schoeneich hält die ästhetische Chirurgie nicht für reinen Luxus:
"Man kann manchmal mit dem Messer die Seele heilen, das ist auch ein Punkt, den man lernt. Das sind ja auch Frauen, die in unserem Gesellschaftssystem so leben und durch die Werbung, durch die Medien ein anderes Körperbewusstsein induziert bekommen, was sie vielleicht vorher gar nicht hätten und dann haben sie ihre Problemzonen. Das sind Dinge, die die Gesellschaft heute akzeptiert."
Schoeneich betreibt eine Praxis in München. Dort bietet er das gesamte Spektrum der Schönheitschirurgie an – Lidstraffung, Brustvergrößerung, Schweißdrüsen veröden. Zusätzlich fährt er regelmäßig mit der Organisation Interplast nach Burma, Afghanistan oder Nepal und behandelt dort Kriegsopfer und Kinder mit Missbildungen:
"In Burma machen wir 80 Prozent Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Wir operieren 120, 150 Spalten in zehn Tagen an vier Tischen aber immer mit Burmesen zusammen. Wir sind nie alleine, sondern machen das immer in der Partnerschaft."
Wo die Grenze zwischen Heilen und Optimieren in der plastischen Chirurgie verläuft, muss wohl jeder einzelne Arzt selbst entscheiden. Diese Balance hat viel mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun.
Schoeneich: "Es gibt einen überzüchteten Markt, das muss man schon sagen. Schlagen Sie mal Zeitschriften auf, was da alles angeboten wird, die Wellnessbereiche, überall nur Wellness, Wellness, Anti-Aging… Schauen Sie sich die Webseiten der Kollegen an, da wird mir übel. Ich bin da auf ein Level gekommen, das ich für mich vertreten kann."