Plastische Chirurgie

Was Schönheitsoperationen über uns aussagen

Eine Frau hat eine weiße Bandage um den Kopf gewickelt. Ihr linkes Auge ist mit einem schwarzen Kasten umrahmt.
Mit Skalpell und Botox zurück zur Natur? © imago / fotoimedia
Von Daniel Hornuff · 30.05.2018
Welche Rolle spielt die ästhetisch-plastische Chirurgie in unserer Gesellschaft, fragt der Philosoph Daniel Hornuff. Einerseits macht sie es möglich, sich selbst zu entwerfen. Andererseits könnte sie bloße Markt- und Wettbewerbslogik auf den Körper übertragen.
Vor wenigen Tagen vollzog sich auf Facebook Erstaunliches. Auslöser war ein Post von Sophia Wollersheim, ein Celebrity und Liebling der Yellow Press. Bekanntheit erlangte sie, indem sie sich über Jahre hinweg unzähligen Schönheitsoperationen unterzog. Neben entnommenen Rippen und diversen Aufplusterungen erfuhr auch das Gesicht massivste Änderungen.

Geltungsdrang und notorische Oberflächlichkeit?

In ihrer Nachricht kündigte Wollersheim an, künftig auf weitere OPs verzichten zu wollen. Sie habe, schreibt sie, schlicht "die Nase voll". Erstaunlich war nun die Reaktion ihrer über 170.000 Follower: In deren Antworten drückten sich fast durchgehend Entsetzen und Traurigkeit aus, ganz so, als ginge ein gemeinsamer Lebensabschnitt zu Ende.
Schnell wurde vermutet, Sophia Wollersheim habe sich nicht aus freien Stücken zum OP-Verzicht durchgerungen – sondern sei letztlich vor ihren Verächtern eingeknickt; vor all jenen also, die ihr krankhafte Züge, übersteigerten Geltungsdrang und notorische Oberflächlichkeit attestierten. Tatsächlich hatte sich Wollersheim bereits vor rund einem Jahr an diejenigen gewandt, aus denen, wie sie meinte, "der pure Hass" spreche. Und in der Tat gehört sie als Figur der Pop-Kultur zu jenen, gegen die besonders offensiv gehetzt wird.
Ihr Körper, der gewiss sämtliche Grenzen des medizinisch Vertretbaren überschritten hat und nunmehr mit grotesken Proportionen aufwartet, wurde über Jahre zum Objekt härtester Diskriminierungen.

Der Vorwurf des Scheins

Ihr Beispiel gibt Anlass, darüber nachzudenken, welche Rolle die ästhetisch-plastische Chirurgie in unserer Gesellschaft spielt. Gilt sie einerseits als Möglichkeit, sich selbst zu entwerfen, steht sie andererseits im Verdacht, eine bloße Markt- und Wettbewerbslogik auf den Körper zu übertragen. Hinzu kommt der Vorwurf des Scheins: Wer sich operieren lasse, wolle ein Sein vortäuschen, das er einzulösen gar nicht im Stande sei.

Den Körper der inneren Verfassung angleichen

Brisant ist nun, dass die Beauty-Kliniken das genaue Gegenteil in Aussicht stellen: Hier ist nämlich davon die Rede, dass man durch entsprechende OPs seinen Körper der gefühlten, inneren Verfassung angleichen könne. Wer wie fünfzig aussehe, sich aber wie dreißig fühle, könne die Entfremdung überwinden, könne seine Hülle dem Geist wieder annähern. Folglich wird die Schönheits-OP als Maßnahme der Wiederherstellung deklariert. Mit kulturkritischen Versatzstücken argumentierend, wird suggeriert, den physischen Zerfall aufhalten und in ein ganzheitliches Stadium zurückführen zu können.

Mit Botox zurück zur Natur

Dazu passt auch, dass die Operationstechniken darauf angelegt sind, den Eingriff als solchen zu kaschieren. Es geht um das Design eines natürlichen Aussehens mithilfe eines künstlichen Verfahrens. Die Rhetorik der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie schöpft aus dem semantischen Fundus Rousseaus: Mit Skalpell und Botox zurück zur Natur!

Die Frage nach unserem Begriff des Menschen

Umso provozierender wirken Figuren, die ihre OPs gezielt ausstellen – und die in ihrer grellen Künstlichkeit mit all den modernen Klischees des Authentischen und Echten brechen. Wie leicht fällt es angesichts solcher Phänomene selbst intellektuell Gebildeten, ihrerseits das hohe Lied vom gesellschaftlichen Verfall anzustimmen – und zu verkünden, dass gerade diese Körper die Folgen zunehmender Oberflächlichkeit dokumentierten! Doch wer so urteilt, schließt von äußeren Merkmalen auf innere Zustände. Und es ist genau dieser Schluss, der Menschen diskriminiert. Die Frage nach unserem Umgang mit dem Design der ästhetisch-plastischen Chirurgie wirft nichts Geringeres als die Frage nach unserem Begriff des Menschen auf.

Daniel Hornuff, geboren 1981, arbeitet als Kunstwissenschaftler an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik, Komparatistik, Kunstwissenschaft und Philosophie promovierte er 2009 und habilitierte sich 2013. Er hatte zahlreiche Lehraufträge inne und publiziert regelmäßig zu kultur-, kunst- und designwissenschaftlichen Themen.

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