''Plattdütsk bi'd Arbeid''

Von Folkert Lenz |
Plattdeutsch: Für viele Menschen gilt es gerade mal als Mundart. Doch das Niederdeutsche ist mehr als ein Bauerndialekt. Noch sprechen fast sechs Millionen Menschen "Platt". Tendenz: abnehmend. Doch jetzt wird in friesischen Firmen, Amtsstuben und Läden wieder Platt propagiert.
Denn der Vorteil von Zweisprachigkeit ist erkannt. Kinder lernen besser, plattdeutsch sprechende Mitarbeiter gelten als flexibler und kundennäher. Die Aktion "Plattdütsk bi'd Arbeid" - letzte Rettung für das aussterbende Niederdeutsche? Eine Sprachstandserhebung zwischen Hamburg und Holland...

Morgenrunde in der Rappelkiste. Der Tag in dem Kindergarten am Stadtrand von Aurich: Er beginnt auf Plattdeutsch. Keine Selbstverständlichkeit, obwohl Ostfriesland so etwas wie das Mutterland des Niederdeutschen ist. Doch gerade eine Handvoll der 75 Rappelkisten-Kinder kann noch "Platt proten", nutzt es also als Alltagssprache. Trotzdem: Ohne Platt geht im Hort gar nichts.

"Alles wird hier auf Platt beredet. Und wenn uns einer mal nicht so ganz versteht, dann benutzen wir die Kinder selbst als Dolmetscher. Aber normalerweise verstehen die uns von Anfang an. Notfalls müssen wir Füße und Hände dazunehmen zum Erklären. Dann verstehen die uns schon."

Die Rappelkistenchefin Maria Ganter redet mit den Kindern nur Niederdeutsch. Eine zweite Kollegin in der Gruppe dagegen bleibt durchgängig beim Hochdeutschen. Der Kindergarten ist einer von mittlerweile 50 in Ostfriesland, in denen die Sprachen parallel verwendet werden. Andere Einrichtungen beschränken sich auf wenige Stunden in der Woche.

"Ja, das ist hier durchaus nicht normal. Ganz wenige Einrichtungen sind das nur, die so viel Platt sprechen wie wir. Manche Einrichtungen arbeiten bloß zeitmäßig auf Platt, also dass sie das eine bestimmte Zeit am Tag machen. Aber wir machen das durchgängig: Dass immer eine Person in der Gruppe Platt spricht und die andere Hochdeutsch."

Platt den lieben langen Tag? Die Kinder haben sich offenbar daran gewöhnt. Ganz anders die Erzieherinnen. Ihnen ist die Regionalsprache zwar geläufiger als den Kleinen. Doch eine Umstellung war die Zweisprachigkeit auch für sie, erinnert sich die Betreuerin Annchen Giesenberg.

"Am Anfang ist mir das ziemlich schwer gefallen. Weil wir hier im Kindergarten ja auch immer Hochdeutsch gesprochen haben. Zu Hause weniger. Aber auch mit den eigenen Kindern habe ich Hochdeutsch gesprochen. Die sind schon ein bisschen älter, und das war eben so damals. Und das hat bestimmt ein halbes Jahr gedauert, bis ich das so drin hatte, nur Plattdeutsch zu reden."

Die Kinder verstehen Annchen Giesenberg, Maria Ganter und ihre Kolleginnen ohne Probleme. Eine Hoffnung hat sich aber nicht erfüllt: Dass die Kleinen Platt einfach übernehmen und selbst gebrauchen. Wie unterhalten sie sich untereinander beim Spielen, Lernen oder gemeinsamen Essen?

"Eigentlich nur Hochdeutsch. – Alles auf Hochdeutsch. Weil ich ein Einzelkind bei Mama bin. Die spricht auch Hochdeutsch. Und mein Papa spricht auch Hochdeutsch. – Ich kann kein Plattdeutsch reden."

Während anderenorts darüber diskutiert wird, Englisch oder Französisch im Bereich der frühkindlichen Bildung einzusetzen, wollen Pädagogen in vielen Teilen Norddeutschlands die eigenen Sprachressourcen nutzen. Warum mühsam eine Fremdsprache einführen, wenn doch Zweisprachigkeit vor Ort schon vorhanden ist, fragt sich auch Maria Ganter.

"Also wir versprechen uns als Kindergarten davon, dass die Kinder einfach ein bisschen flexibler werden, was überhaupt Sprachen angeht. Dass sie bereit sind, umzuschalten von einer in die andere Sprache. Und natürlich haben wir auch im Hinterkopf, dass wir nicht wollen, dass diese schöne Sprache verloren geht."

Sprachenrettung ist das eine. Doch auch aus pädagogischen Gründen setzt sich die Erzieherin Annchen Giesenberg für das Plattdeutsche in ihrem Kindergarten ein.

"Erstmal ist das unsere Regionalsprache hier. Das ist wichtig. Und außerdem wollen wir die Kinder mit einer anderen Sprache in Verbindung bringen. Das beinhaltet einen großen Anspruch vom Kopf her. Dass sie, wenn sie später in der Schule Englisch lernen oder was auch immer, dass sie dann schon eine zweite Sprache kennen. Und dann fällt ihnen das Lernen auch leichter. Das ist so!"

Doch diese Einsicht fehlt scheinbar vielen Eltern. Und so verfallen Maria, Luk und die anderen Rappelkisten-Kinder beim Spielen nur selten ins Platt. Kein Wunder, denn zu Hause lernen sie ihre Regionalsprache oft gar nicht mehr kennen, hat die Pädagogin Ganter beobachtet.

"Die Omas und Opas von den Kindern sprechen meistens noch durchgängig Platt. Aber die haben damals angefangen, mit ihren Kindern Hochdeutsch zu sprechen, weil sie geglaubt haben, dass die sonst was verpassen. Und diese Generation spricht nun mit unseren heutigen Kindergartenkindern auch fast nur noch Hochdeutsch. Aber wir arbeiten ordentlich dagegen an und machen das Plattdeutsche publik und dass den Kindern nichts fehlt, wenn sie mit Plattdeutsch aufwachsen. Aber die Eltern haben nicht allzu viel Mut, das durchzuziehen."

Diesen Eindruck bestätigt auch Cornelia Nath. Sie ist Deutschlands einzige hauptamtliche Plattdeutsch-Beauftragte. Auch sie glaubt, dass das Niederdeutsche von Kindesbeinen an trainiert werden muss. Doch sie hat Verständnis dafür, dass der Alltag in den Familien anders aussieht.

"Es ist so, dass viele Eltern, die heute kleine Kinder haben, Plattdeutsch gehört haben von ihren Eltern, aber nicht selber auf Plattdeutsch erzogen worden sind, also nicht aktiv mit der Sprache angesprochen wurden und insofern die Sprache nicht mehr als ihre Muttersprache empfinden. Und dann im Umgang mit ihren eigenen Kindern natürlich – und das ist auch richtig – Hochdeutsch wählen. Denn ich sollte ja mit meinen Kindern die Sprache sprechen, die ich selbst am besten kann und die mir von Herzen kommt. Und wenn das nun mal Hochdeutsch ist, dann ist das Hochdeutsch."

Vor 14 Jahren hat die studierte Politologin und Romanistin Nath das Plattdütsk-Büro im niedersächsischen Aurich gegründet – eine Einrichtung des Kulturverbandes Ostfriesische Landschaft, die das Niederdeutsche vor dem Aussterben bewahren will. Und lebenserhaltende Maßnahmen scheinen auch dringend notwendig. Zwar gibt es in Norddeutschland noch rund sechs Millionen Menschen, die die Regionalsprache kennen und benutzen. Doch nur noch in jeder zehnten Familie spielt sich auch der Alltag auf Platt ab - zu wenig, um den Fortbestand der Sprache zu sichern.

Dabei ist Platt viel mehr als eine lokale Mundart. Die älteste überlieferte Form ist das Altsächsische, das von 800 bis 1100 nach Christus gesprochen wurde. Zwar hört sich Platt manchmal wie eine Mischung aus Hochdeutsch und Niederländisch an. Doch stellt Platt in der Sprachenfamilie einen Extraspross dar und hat sich über Jahrhunderte eigenständig entwickelt. Mit der Rettung von Folklore haben die Bemühungen um das Niederdeutsche nichts zu tun, stellt Cornelia Nath deshalb klar.

"In Ostfriesland werden sie entrüstete Stimmen hören, wenn sie von Folklore reden, weil es eben doch noch Alltagssprache ist. In manchen Städten weniger, auf dem Lande und in Aurich zum Beispiel sehr viel noch. Das ist unterschiedlich. Aber die Sprache ist doch den älteren Menschen als Muttersprache vertraut. Den jüngeren Menschen zumindest vom Verstehen her vertraut. Und insofern also doch Alltagssprache immer noch."

Allerdings: Im Selbstverständnis vieler Ostfriesen gilt der kommunikative Schatz immer noch als hässliche Mundart, die man besser nicht an seine Kinder weitergeben sollte. Auch gegen diese Haltung müssen die Retter des Plattdeutschen ankämpfen. Und natürlich haben die meisten der Plattsprecher schon selbst diskriminierende Erfahrungen gemacht. Auch deswegen gilt die Sprache bisweilen als Bildungshemmnis. Platt – nur ein Bauerndialekt? Cornelia Nath widerspricht:

"Es ist eine Sprache, die auf dem Land gesprochen wird. Und ganz Ostfriesland ist eine ländliche Region, wenn Sie so wollen. Also das ist nicht so sehr dicht besiedelt. Aber gesprochen wird es von allen. Wir haben Umfragen gemacht in den berufsbildenden Schulen. Wir haben also Lehrlinge gefragt: Wie ist denn das bei Euch am Arbeitsplatz? Und wir haben festgestellt, dass in Ostfriesland doch immer noch zu fast 50 Prozent die Sprache unter den Kollegen, oder auch die Sprache, die mit der Kundschaft oder im Publikumsverkehr gesprochen wird, Plattdeutsch ist."

Trotzdem kennt Cornelia Nath die Vorbehalte gegenüber der Regionalsprache nur allzu gut. Die Tierarzttochter stammt aus einem kleinen Dorf nahe dem ostniedersächsischen Peine. Auch dort war Platt verpönt, erzählt die 51-Jährige. Sie selbst habe sich erst für das Niederdeutsche interessiert, als sie nach Ostfriesland gegangen sei, sagt Nath weiter. Nun bemüht sie sich in ihrer Wahlheimat schon seit mehr als 20 Jahren um seine Rettung.

Cornelia Nath gilt mittlerweile als Botschafterin des Platt – ein nicht ganz einfacher Job. Denn mancher hält ihre Arbeit schlicht für überflüssig. Schließlich werde im Ostfriesischen schon seit hunderten von Jahren Platt gesprochen – warum also heute so viel Aufhebens darum machen? Eine Frage, die sich viele stellen, die das Niederdeutsche nicht als Kulturgut betrachten, sondern als Instrument der Alltagsverständigung. Doch Cornelia Nath warnt:

"Das wird natürlich in den nächsten Jahrzehnten rapide abnehmen, weil die Muttersprachler nach und nach in eine Altersstufe kommen, wo sie auch verschwinden. Und die Nachwachsenden natürlich nicht mehr im gleichen Maße die Sprache sprechen."

Fachleute geben dem Platt nur noch ein oder zwei Generationen – trotz millionenfacher Verbreitung. Erst jüngst hat eine Studie des Kulturverbandes Ostfriesische Landschaft belegt, dass das Niederdeutsche dramatisch im Rückgang begriffen ist. In den vergangenen zehn Jahren hat sich danach die Anzahl der Kinder, die zu Hause Platt lernen, um die Hälfte verringert: Nur noch jeder zwanzigste Jugendliche kommt regelmäßig mit dem Niederdeutschen in Berührung. Ein Ergebnis dieser Untersuchung: Nicht dass die jungen Eltern die Zweitsprache ablehnten, sei der Grund. Sie können die Sprache schlicht nicht mehr aktiv, so das Fazit. Doch wenn nur noch fünf Prozent der Norddeutschen Platt sprechen, ist der Erhalt gefährdet.

Cornelia Nath und ihre Kollegen versuchen, dagegen anzuarbeiten. Zum Beispiel, in dem sie das Netzwerk ostfriesischer Horte gegründet haben, die "Tweesprakigheid" - also Zweisprachigkeit – im Kindergartenbetrieb leben – zumindest stundenweise.

"Wir bilden auch die Erzieherinnen dann fort. So dass die dann auch im Kontakt mit den Eltern, die ihre Kinder in den Kindergarten bringen, darauf aufmerksam machen, welche Vorteile es hat für die Kinder, wenn die nicht nur eine Sprache lernen, sondern gleich von klein auf zwei Sprachen lernen."

In Kindergarten und Schule kann jeder Ostfriese ohne Platt auskommen. Doch spätestens beim Einstieg in den Beruf gibt es Probleme – jedenfalls für die Jugendlichen, die nicht in die weit entfernten Großstädte abwandern, sondern einen Job in der Heimat annehmen. Denn viele Firmen legen Wert darauf, dass der Nachwuchs zumindest Niederdeutsch versteht und auch ein paar Brocken parat hat. Das Auricher Plattdütsk-Büro unterstützt diese Haltung, sagt die Leiterin Nath:

"Wir machen seit vier Jahren in jedem Jahr einen Aktionsmonat im September, wo wir für Plattdeutsch im Alltagsgebrauch – gerade im Arbeitsleben – werben. Wir haben in diese Aktion eingebunden gerade auch die berufsbildenden Schulen. Wir haben die Betriebe, die selbst betriebsinterne Ausbildung machen, eingebunden. Selbst auch im Laden die Kassiererin: Wenn ein Kind an der Kasse steht - also überall, wo Publikumsverkehr ist – die Erwachsenen zu ermuntern, Kinder ruhig auf Plattdeutsch anzusprechen..."

Gerade Auszubildende und Berufsanfänger stellen heute vermehrt fest, dass sie die Zweitsprache im Job benötigen, wenn sie in den ländlichen Regionen Norddeutschlands arbeiten wollen. "Plattdütsk bi’d Arbeid" – Plattdeutsch im Betrieb heißt deshalb die Aktion, der sich mehr und mehr Firmen anschließen. In Läden, auf Ämtern, am Arbeitsplatz sollen sich die Menschen trauen, ihr Gegenüber in der Regionalsprache anzusprechen – auch wenn Zweifel bestehen, ob der andere das versteht. Die Initiative kommt unterschiedlich an, hat Cornelia Nath beobachtet:

"Überall dort, wo Handel ist oder bei den Verwaltungen, wo Publikumsverkehr ist, wird es sehr gut aufgenommen. Dort, wo mehr technische Sachen betriebsintern gemacht werden, wo auch eher interne Verwaltungsabläufe sind, denkt man sich natürlich öfter auch, dass man darauf verzichten kann. Aber auch bei VW zum Beispiel oder auf den Werften, in diesen Großbetrieben, wird ja sehr viel Plattdeutsch gesprochen."

Bei der Ostfriesischen Landschaftlichen Brandkasse zum Beispiel müssen nicht nur die Auszubildenden Plattdeutsch können. Zweisprachigkeit wird von fast allen der 200 Mitarbeiter bei dem Auricher Versicherer gefordert. Und: Plattdeutsch ist Bestandteil der Ausbildung, sagt Hans-Jürgen Parlitz.

"Die Berufsschule in Emden, mit der wir sehr stark zusammenarbeiten, vermittelt im Wahlpflichtunterricht die plattdeutsche Sprache. Dort lernt man Grundkenntnisse, dass man sich zumindest unterhalten kann oder verständigen kann. Eine ganz tolle Sache ist unsere gemeinsame Teepause. Dort sitzen wir zusammen und dort wird überwiegend Plattdeutsch gesprochen."

Standard in den Auricher Büros ist das Niederdeutsche. Nicht per Verordnung, sondern weil es normal ist. Allerdings legt man bei der Brandkasse ganz bewusst auch Wert auf die Zweisprachigkeit, erklärt Ausbildungsleiter Parlitz:

"Ein Mitarbeiter von uns, der nur Hochdeutsch sprechen kann, der hat Berührungsängste. Und die plattdeutsche Sprache nimmt Hindernisse, Barrieren. Wenn ich einen auf Plattdeutsch ansprechen kann oder mich am Telefon auf Plattdeutsch melden kann, dann merkt man manchmal, dass dem Kunden in der Leitung ein Stein vom Herzen fällt."

Rund zwei Drittel aller Gespräche mit Kunden finden in der norddeutschen Regionalsprache statt, schätzt Parlitz. Vor allem im Außendienst, wenn es aufs Land, auf die Bauernhöfe geht. Weil die Betreuer der Ostfriesischen Landschaftlichen Brandkasse Platt drauf haben, bricht das Eis zwischen Makler und Geschäftspartner schnell, bemerkt auch der angehende Versicherungskaufmann Jörg Dirks immer wieder.

"Manche Kunden sprechen natürlich gern Plattdeutsch. Das ist ja auch unsere Regionalsprache. Und man merkt doch, wenn man da anruft, dass sie lieber Plattdeutsch sprechen und sich auch wohler fühlen dabei. Ich bin selbst Ostfriese und ich finde es wichtig, dass man diese Regionalsprache erhält. Es ist doch ein wichtiges Stück Kultur, und man sollte doch was dafür tun, dass man die Sprache wieder fördert."

Der 18-Jährige wurde hochdeutsch erzogen. Trotzdem: Mit Altersgenossen redet er zur Hälfte auf Platt. Jedenfalls im privaten Umfeld. Wenn es in die größeren Städte der Umgebung geht, dann ist keine Mundart angesagt, gibt Jörg Dirks schmunzelnd zu.

"Also mit manchen Freunden spreche ich Hochdeutsch, aber meistens auch Plattdeutsch. Also das ist immer unterschiedlich, fifty-fifty ungefähr. Das kommt ganz drauf an, in welchen Kreisen man auch ist. Also wenn man jetzt zum Beispiel in Oldenburg oder Bremen ist, wo halt mehr Hochdeutsch gesprochen wird, da spricht man auch mehr Hochdeutsch."

In seiner Firma muss sich Jörg Dirks nicht verstellen – im Gegenteil. Die Brandkasse versteht sich als regional orientiertes Unternehmen. Und die Geschäftspartner nehmen das auch wahr, glaubt Dirks.

"Man merkt doch, dass man die Kunden halt sich ranziehen kann durch die Regionalsprache. Dass sie einfach sagen: Ja komm, das ist ein Plattdeutsch sprechender Ansprechpartner. Der weiß, was ich will. Der weiß, wo ich herkomme. Und so kann man halt die Barriere brechen. Das merkt man schon, dass die Kunden sich wohler fühlen."

Die Brandkasse nutzt die Verbundenheit zur Region. Es steckt viel persönliches Engagement der Mitarbeiter dahinter, dass der Versicherer sich an "Plattdütsk bi’d Arbeid" beteiligt. Zugleich umgarnt das Unternehmen damit Kunden, lässt Sprecherin Signe Foetzki durchblicken:

"Wir versuchen jetzt gerade zum Beispiel mit solchen Sprüchen wie ‚Plattdeutsch ist cool’ das einfach rüber zu bringen: Meine Güte, das ist ein Stück Heimat. Und wir als Ostfriesische Landschaftliche Brandkasse sind nicht nur die Versicherung Ostfrieslands, sondern kümmern uns auch um das Wohl Ostfrieslands. Und die Sprache Plattdeutsch ist ein Stück Kulturgut. Und wir kümmern uns um solche Kulturgüter."

Dass ein solches Konzept bei der Werbung aufgeht, weiß man auch bei der Konkurrenz: Nur wenige Dutzend Kilometer entfernt, in Neuharlingersiel, sitzt die NV-Versicherung - ein Unternehmen, direkt am Nordseedeich. Hier wird kein Hehl daraus gemacht, dass man nah am Wasser gebaut hat. NV-Vorstandschef Heiner Enno Groenhagen.

"Also das Motto der NV lautet: All up Stee. Das bedeutet, übersetzt in Hochdeutsch: Alles in Ordnung. Für Außerfriesische erklären wir das so. Weltweit könnte man auch sagen: Okay, das stimmt, die Richtung ist in Ordnung. All up Stee, das ist so ein geflügeltes Wort."

Man gibt sich friesisch. Ob Broschüren, Geschäftsbericht oder Internet-Auftritt: Wellen, Kutter, Maritimes und Watt schmücken das Werbematerial der NV. Und Plattdeutsch ist im öffentlichen Auftreten der Versicherungsgesellschaft gang und gäbe. Kein Wunder, fast 80 Prozent der Kundengespräche laufen eben nicht auf Hochdeutsch, schätzt NV-Vorstand Johann Cremer:

"Ich denke, dass die Regionalität sehr wichtig ist. Wir müssen uns immer auch besinnen, wo wir herkommen. Wir sitzen hier in Neuharlingersiel. Hinter uns ist nur die Ebbe, das Wasser. Da können wir nicht weiter hinaus. Das heißt also: Wir müssen weiter gen Süden gehen."

Mittlerweile vermittelt die NV Versicherungsverträge bundesweit per Internet – und das extrem erfolgreich. Auf Plattdeutsch als Imageträger will die NV trotzdem nicht verzichten.

Auch andere norddeutsche Firmen haben die Zweisprachigkeit mittlerweile als Potenzial erkannt. Selbst Behörden wie das Wasser- und Schifffahrtsamt im niedersächsischen Emden engagieren sich für die Rettung des Platt, aber auch kleine Gemeinden wie Hesel: Eine 10.000-Seelen-Kommune in der Nähe des ostfriesischen Leer. Zweisprachige Schilder am Rathaus, niederdeutsche Bezeichnungen im Ort sollen die Tradition bewahren helfen. Und Platt wird ausdrücklich gewünscht, wenn die Verwaltung Stellen ausschreibt, erklärt der stellvertretende Gemeindechef Martin Feldkamp:

"Da steht dann zum Beispiel drin: Van Vördeel weer ook, wenn Se Plattdütsk proten kunnen. Das heißt dann also: Von Vorteil wäre es, wenn Sie Plattdeutsch können."

Denn Besucher des Heseler Jugend- oder Sozialamtes, bei der Wohnungsstelle oder der Baubehörde sollen angemessen bedient werden, findet Feldkamp:

"Der Bürger hat davon, dass er die Zweisprachigkeit oder auch die Heimatsprache erlebt, hier vor Ort. Und sich auch in seiner Heimatsprache hier verständigen kann mit uns. Also er muss jetzt nicht seinen Behördengang mit Bedenken antreten, dass er sprachlich nicht klarkommt. Also auch der Plattdeutsche kommt hier klar. Das ist ein wichtiges Anliegen."

Redner bei Sitzungen des Heseler Rates wählen oft das Plattdeutsche, allein: die Protokolle des Kommunalparlaments werden in Hochdeutsch verfasst. Die örtlichen Behörden sind sogar verpflichtet, in der Regionalsprache zu antworten, wenn sich ein Antragsteller auf Platt an sie wendet. Doch das komme in der Praxis selten vor, sagt Martin Feldkamp. Trotzdem erklärt er den Spracherhalt zur Staatsaufgabe.

"Also ich sehe das schon so, dass es auch von Amts wegen zu erhalten ist. Wir haben ja auch die europäische Charta der nationalen Minderheitensprachen. Und wir haben uns als Land Niedersachsen auch verpflichtet das zu tun. Und wir müssen uns alle anstrengen in Ostfriesland, die plattdeutsche Sprache zu fördern und auch sie einzusetzen im Alltag. Und auch im Büroalltag. Das ist wichtig. Da kann jede Gemeinde eine ganze Menge tun. Und es gibt sicherlich auch Gemeinden, die können da weitaus mehr noch tun als das bisher ist."

Das Ganze ist dabei nicht nur die Marotte einer Minderheit, betont Martin Feldkamp. Denn schließlich biete Plattdeutsch einen Bildungsvorteil:

"Wir müssen ja sehen, dass wir eine Sprachkompetenz besitzen mit der zweiten Sprache. Und die hat man gelernt, ohne dass man dafür einen Tag zur Schule gegangen ist. Das hat man eigentlich von Kind auf an mitgekriegt. Jedenfalls diejenigen, die das zu Hause gelernt haben. Und man ist also komplett zweisprachig, ohne dass man die zweite Sprache eben schulisch erlernt hat."

In der Jugend liegt offenbar die einzige Zukunft des Niederdeutschen. So nimmt die Sprachenretterin Cornelia Nath vom Auricher Plattdütsk-Büro jetzt die Schulen in den Blick. Die könnten als Wahlpflichtfach Plattdeutsch oder bilingualen Unterricht einführen. Unverdrossen kämpft Nath bei den Lehrern dafür, die Bildungsressource "Plattdeutsch" nicht zu verschleudern.

"Man muss es nicht erhalten. Man muss auch die verschiedenen Tierarten und Pflanzenarten nicht erhalten, wir können alles vereinheitlichen. Eine Art mehr, oder eine Sprache mehr: Ob wir uns diesen Reichtum leisten wollen oder nicht leisten wollen, das ist eine Frage der Ökologie. Und in diesem Falle der Sprachenökologie."

Doch nur wenn der Nachwuchs um die Bedeutung des Niederdeutschen weiß, hat die Regionalsprache eine Chance. Dass sich schon 50 niedersächsische Kindergärten als "tweesprakig Kinnergaarn" verstehen, das ist auch Cornelia Naths Verdienst. In der Auricher Rappelkiste hat die plattdeutsche Zukunft jedenfalls schon längst begonnen.