Platte Blumen, platte Totenmesse

Von Jörn Florian Fuchs |
Die letzte Premiere der Salzburger Festspielsaison ist ein Zwitter aus Musiktheater, Schauspiel (oder eher Rezitation), modern dance und Popkonzert. Leider bewegt sich Jan Fabre eher ungeschickt zwischen den Genres, die Tanzbewegungen sind zuweilen eher vormodern denn modern, das musiktheatrale Element besteht vor allem aus nervösem Herumgerenne zu nervöser Musik - womit wir beim Popkonzert sind: hauptsächlich Schwermetall-Klänge sind zu hören, eine dunkel gewandete Big-Band liefert jede Menge elektronisch verstärkter Beats bis an die Grenze des Erträglichen.
Geschauspielert wird auch, vor allem an der Rampe erzählen uns eigenartige Gestalten Witze sowie tragische Lebens- und Sterbensgeschichten. Manchmal rezitieren sie auch lateinische oder griechische Sinnsprüche, die übersetzt zum Beispiel lauten: Kurz ist das Leben, lang ist die Kunst. Dazwischen gibt es Hitlerwitze, Folterszenen und ein paar echte Schmetterlinge, die verzweifelt durch die Felsenreitschule fliegen.

Jan Fabre hat sein Requiem formal nach der herkömmlichen Struktur ausgerichtet. Acht Szenen, vom Introitus über Offertorium und Sanctus bis Lux Aeterna reicht das Spektrum, allein in den jeweiligen Requiemsteilen geschieht doch etwas ganz anderes als bei Kirchens. Jedes Stück stellt einen Charakter, einen Beruf vor, der sich mit dem Tod befasst. Da ist der Palliativ-Pfleger, der einen AIDS-Kranken bis zuletzt begleitet, da ist die "Thanato-Visagistin", die dem Antlitz der Toten einen letzten, endgültigen Glanz verleiht, da ist die Sargtischlerin, die nurmehr ethisch einwandfreie Biosärge herstellt.

Fabre gelingen einige berührende und auch ein paar wunderbar groteske Momente - allerdings vorwiegend auf dem Papier. Im Textbuch für neun Euro findet sich deutlich mehr von Fabres Suche nach dem Tod im Leben und umgekehrt. Die Idee einer ständigen Transformation der Materie und des an sie gekoppelten Geistigen wird durchgespielt, es ist eine Totenmesse, ein Totentanz, der manchmal platt, manchmal aber sehr poetisch das Leben feiern will.

Der Palliativpfleger etwa wird mit einem ungewöhnlichen Wunsch seines Patienten konfrontiert, dieser möchte nämlich die proteinreichen Larven von Schmetterlingen essen. Unzerkaut schluckt er sie runter - und stirbt doch bald darauf. Plötzlich aber erwachen die Luftwesen im Magen des Toten und heben ihn sanft gen Himmel. Auf der Bühne sieht man davon nichts, die Geschichte wird einfach heruntererzählt. Haupterzähler des Abends sind ein Schmetterlingsforscher, der an Jan Fabres Vorfahren, den berühmten Forscher Jean-Henri Fabre erinnert, und eine Tänzerin, die einen Schmetterling darstellt und die immer wieder mit umherschwirrenden, bösen Schlupfwespen zu kämpfen hat.

Nicht nur hier erreicht der Abend eine Albernheit, die bestenfalls mit rheinischem Frohsinn und viel Alkohol zu ertragen ist. Auch die immer wieder durchs Bild huschenden nackten Männlein und Weiblein, die sich mit allerlei Schlingen, vorwiegend aus Gedärm, selbst meucheln wollen, wirken ebenso infantil-absurd wie die hübsche, agile, junge Tänzerin, die plötzlich mit einer gigantischen schwarzen Spinne zu kopulieren beginnt. Dazu kracht, stöhnt und dröhnt es fast unentwegt wie in Wacken, nur schlechter. Serge Verstockt hat einen grotesk primitiven Soundtrack geschrieben, gleich vier E-Gitarren, eine Basstuba, elektronische Orgeln und ein schwer definierbarer Instrumentenrest überrollen alles.

An den wenigen ruhigeren Stellen wird die Musik interessanter, da wandern Klänge mittels aufwändig installierter Lautsprecherbatterien durch den Raum und die Sprechstimmen werden mittels Ringmodulatoren effektvoll verändert. Leider sind solche musikalischen Momente spärlich gesät, dafür verschaffen sich immer wieder Tonbandstimmen aus dem New York des elften September 2001 und von diversen sonstigen Menschheits- oder Naturkatastrophen Gehör. Platter geht's wirklich nimmer.

Noch was? Ach ja, der Bühnenboden. Der besteht aus rund 40.000 Blumen, die nach jeder Aufführung erneuert werden müssen. Nicht nur weil alle ständig auf ihnen herumtrampeln, sondern weil am Schluss ein wahres Massaker in Form von Rupfen, Reißen und Wegschmeißen veranstaltet wird. Die Szene übrigens ist als Ode ans (Über-)Leben gedacht. Mit einem Wort: dieses Requiem ist einfach nur blümerant.