Plädoyer für serielles Bauen

Kommt die Platte wieder?

Symetrische Frontalansicht der Fassade eines sanierten DDR-Plattenbaus.
Bei Plattenbau denken viele zunächst an einheitliche Wohnblöcke. Das serielle Bauen bietet aber viel mehr Möglichkeiten, so Klaus Englert. © picture alliance / Zoonar / Heiko Kueverling
Ein Kommentar von Klaus Englert · 23.02.2022
Die Bundesregierung will 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen lassen. Dafür braucht man serielles Bauen – bekannt geworden vor allem durch die DDR-Plattenbauten. Es steckt aber viel mehr darin als nur einförmiges Bauen, meint Architekturkritiker Klaus Englert.
Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung heißt es: „Wir wollen modulares und serielles Bauen und Sanieren durch Typengenehmigungen beschleunigen. Wir wollen Normung und Standardisierung so anpassen, dass Bauen günstiger wird.“
Was steckt hinter diesem Architektenlatein? Läuft das hinaus auf eine Renaissance der Plattenbauten? Mitnichten, die Forderungen sind ein Weg aus der unverdrossenen Massivhaus-Euphorie, um letztendlich das Bauen sozialer, klimagerechter und preisgünstiger zu machen.

Vordenker Walter Gropius

Erstmals wurde serielles Bauen propagiert von Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Durch „Industrialisierung des Hausbaus“ und den „Bau von Montagehäusern“ wollte er Wohnungen für alle ermöglichen. Sein erster Coup waren 314 Reihenhäuser, die er in der Modellsiedlung Dessau-Törten errichtete. Sozialer Wohnungsbau wie man heute sagen würde. Durch den Einsatz moderner Bautechnologien sollte schnelleres und preiswerteres Bauen für breite Schichten möglich werden.
Gropius versprach, dass industrielle Vorfertigung, die Verwendung von Betonfertigteilen, vereinfachte Planungs- und Errichtungsprozesse die Baukosten deutlich drücken werden. Natürlich: Dessau-Törten war eine Pioniersiedlung mit allen planerischen Mängeln, die derartige Pilotprojekte mit sich führen. Tatsächlich aber war die Siedlung nach nur zweijähriger Bauzeit bereits fertiggestellt.

Moderner Wohnungsbau in Karlsruhe

Nach seiner Bauhaus-Zeit errichtete Gropius die Mustersiedlung Karlsruhe-Dammerstock. Im Rahmen einer Bau- und Wohnungsausstellung ließen sich die Karlsruher im Krisenjahr 1929 davon überzeugen, dass moderner Wohnungsbau durch standardisierte Bauelemente preiswert ist. Denn Module wie Badezimmer und Kleinstküchen wurden außerhalb der Baustelle vorgefertigt. Besonders wichtig: Die Badezimmer waren hygienisch und die Küchen funktionsfähig. Der neue Wohnungsbau sollte Qualität für breitere Schichten bieten.
Ausgerechnet Gropius‘ junger Kollege Konrad Wachsmann erregte 1929 Aufsehen, als er für Albert Einstein ein wegweisendes, industriell vorgefertigtes Sommerhaus aus Holz im brandenburgischen Caputh errichtete. Das Holzgerippe des Hauses wurde in der Oberlausitz errichtet, dann wieder zerlegt und an die Baustelle verschickt. Für Rohbau und Fassadenverkleidung benötigten die Arbeiter zwei Wochen, zwei weitere für den Innenausbau.

Albert Einsteins Holzhaus

Kurz darauf konnten Elsa und Albert Einstein in die Sommerresidenz einziehen. Jahre später entwickelten dann Wachsmann und Gropius im amerikanischen Exil ein Fertighaussystem in Holzbauweise, das in weniger als neun Stunden von fünf ungelernten Arbeitern aufgestellt werden konnte. Auf diese Weise wurde serielles Bauen nicht nur preiswert und schnell, sondern auch nachhaltig.
Was bewegt also die Regierung dazu, serielles Bauen zu fördern? Die Berliner Architekten Sauerbruch & Hutton halten Wachsmanns und Gropius‘ Erbe lebendig. Erst dieser Tage errichteten sie für den Bundestag ein Abgeordnetenhaus mit 400 Arbeitsräumen. Die Vorzüge: Das Gebäude wurde komplett aus Holzmodulen errichtet, genauer: aus 460 Massivholzmodulen, die in Köpenick montiert wurden. Ausgewählt wurde also ein nachwachsender Baustoff, der für Klimaneutralität steht.

Vorteile der Holzmodule

Zudem: Die Büroräume garantieren eine angenehme, gesunde Raumatmosphäre. Ein weiterer Vorteil: Das Gebäude lässt sich einfach rückbauen, denn die einzelnen Module können ersetzt oder recycelt werden. Noch ein Vorzug: Die bei seriellen Bauten oft kritisierte Monotonie wurde aufgebrochen, denn Farbstreifen schmücken die Hausfassade.
Schließlich: Auch wirtschaftlich schlug der Bau Rekorde. In der Hauptstadt der Dauerbaustellen ist das Abgeordnetenhaus „das schnellst errichtete Regierungsgebäude der Berliner Republik“. Insgesamt betrug die Bauzeit 14 Monate. Zum Vergleich: der „Willy-Brandt-Flughafen“ benötigte 14 Jahre.

Klaus Englert ist Journalist und Buchautor. Er schreibt für Zeitungen und den Hörfunk, vornehmlich über architektonische und philosophische Themen. Zudem ist er als Kurator für Architekturausstellungen tätig. 2019 ist bei Reclam sein aktuelles Buch erschienen: „Wie wir wohnen werden: Die Entwicklung der Wohnung und die Architektur von morgen“.

Klaus Englert steht im Freien vor grünen Bäumen und blickt in die Kamera.
© Quelle: privat
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