Plaudernde Ankläger

Von Jan Mönikes |
In unserer Mediengesellschaft droht heute jedem schon bei der ersten öffentlichen Verlautbarung einer Staatsanwaltschaft, sie würde wegen einer "schmuddeligen" Straftat ermitteln, der Verlust des öffentlichen Ansehens. Einem Fernsehmoderator, einem Politiker oder anderen Prominenten droht aber mehr: Die soziale "Exekution", selbst dann, wenn sich alle Anschuldigungen am Ende als haltlos erweisen.
In unserer Mediengesellschaft droht heute jedem schon bei der ersten öffentlichen Verlautbarung einer Staatsanwaltschaft, sie würde wegen einer "schmuddeligen" Straftat ermitteln, der Verlust des öffentlichen Ansehens. Einem Fernsehmoderator, einem Politiker oder anderen Prominenten droht aber mehr: Die soziale "Exekution", selbst dann, wenn sich alle Anschuldigungen am Ende als haltlos erweisen.

Und mag auch das Strafrecht wegen der konkreten Tat eigentlich nur eine Geldbuße oder Bewährungsstrafe androhen, bei Prominenten kommt ein faktisches Berufsverbot als Strafe oben drauf. Wie selbstverständlich fordern die Medien daher inzwischen von einem bekannten Beschuldigten den sofortigen Rücktritt, das Urteil eines Gerichtes wird gar nicht mehr abgewartet.

Eine völlig unangemessene Entwicklung, denn ausgerechnet herausragende Mitbürger haben so kaum noch eine Chance zu einer beruflichen Rehabilitierung. Selbst wenn Herr Kachelmann freigesprochen wird - ins Fernsehen wird er wohl nicht wieder zurück können. Genauso wenig wie es der Moderator Andreas Türck vermocht hat, obwohl er vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde.
Ein bekannter Name, ein schwerer Vorwurf, ein neugieriges Publikum und Medien, die es zu bedienen verstehen. Muss man sich damit abfinden, dass es so ist? Wohl ja. Aber auch, wie es ist? Eher nein.
Im Fall Kachelmann haben die Ermittler der Öffentlichkeit geradezu aufgenötigt, wie es ihrer Meinung nach um die Sexualmoral des Beschuldigten bestellt und wie glaubwürdig ihre Zeugin sei, welche Beweise es noch gebe – und haben so über die Medien die Verteidigung in eine Art öffentliches Vorverfahren gezwungen. Etwas, was dem deutschen Rechtsystem völlig zuwider läuft, inzwischen aber leider keine Ausnahme mehr ist. Vergleichbares konnte man in letzter Zeit auch bei zahlreichen anderen prominenten Namen wie Zumwinkel, Pechstein, Tauss und Benaissa erleben.

Mit dieser Entwicklung verlieren aber nicht nur die prominenten Betroffenen, sondern verlieren wir alle - nicht nur das rechte Maß, sondern auch eines der wichtigsten Prinzipien unseres Rechtsstaates: die Unschuldsvermutung. Die aber gilt es entschieden zu verteidigen. Und eigentlich ist gerade unsere Justiz dazu berufen: In Deutschland werden nämlich nur rund ein Drittel aller einer Tat namentlich Beschuldigten am Ende rechtskräftig verurteilt. Das heißt, in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle erweisen sich die Verdächtigungen von Polizei und Staatsanwaltschaft als nicht stichhaltig und haben die Betroffenen daher auch in Zukunft als unschuldig zu gelten.

Darum weiß auch die Staatsanwaltschaft. Doch anstatt ihrer Verantwortung gerecht zu werden und schon deswegen gerade bei gesellschaftlich stark tabuisierten Vorwürfen gegen bekannte Personen besonders zurückhaltend zu kommunizieren, glaubt sie selbst offenbar zusehends daran, die "objektivste Behörde der Welt" zu sein. Anstatt die ihr zugewiesene Rolle anzunehmen, dass nicht sie, sondern ausschließlich ein Richter für das Urteil zu sorgen hat, leitet sie für sich daraus immer öfter die Berechtigung ab, eine aktive Öffentlichkeitsarbeit besonders zu Lasten prominenter Verdächtiger betreiben zu dürfen.

Selbst wenn sie damit wie im Falle Kachelmann eine Vorverurteilung befördert, durch die Prozess und Urteil des Gerichtes entwertet werden.
Natürlich hat die Öffentlichkeit ein Recht zu erfahren, wenn jemand in U-Haft genommen wird und wessen man ihn beschuldigt. Mehr an Information der Presse bedarf es in diesem Stadium der Ermittlungen jedoch nicht. Bis zur Entscheidung des Richters gebietet die Unschuldsvermutung den Ermittlern im Zweifel sogar striktes Schweigen, selbst wenn sie sich in den Medien unverstanden fühlen sollten.

Denn nicht das Pressegespräch, sondern die öffentliche Hauptverhandlung im Gerichtssaal ist die rechte Zeit und der Ort, an dem die Staatsanwaltschaft, aber eben auch die Verteidigung, der Angeklagte und die Zeugen im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gleichermaßen zu Wort kommen sollen. Nur so besteht für die Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich selbst eine Meinung zu dem Fall zu bilden und ein eigenes Urteil zu fällen. Eines, das mehr ist, als ein Vorurteil und damit den Betroffenen überhaupt noch die Chance einer Rehabilitation eröffnet.
An dem Problem wird sich nichts ändern, bis die zuständigen Justizminister neue und eindeutigere Regeln für die Informationspolitik ihrer Ermittlungsbehörden erlassen.

Die wenigen bestehenden Vorschriften der Vergangenheit reichen für die heutige Medienwirklichkeit offensichtlich nicht mehr aus. Zudem ist der Umgang der Ermittlungsbehörden mit der Presse zu professionalisieren und in einen rechtlich voll überprüfbaren Rahmen zu überführen. Sonst droht die "Öffentlichkeitsarbeit" der Ermittler immer mehr zu einer willkürlichen Waffe zu werden, die jedermann bedroht – nicht nur prominente Namen.


Jan Mönikes, geb. 1970 in Oldenburg i. O., ist Rechtsanwalt und Justitiar des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher (BdP) und des europäischen Pressesprecherverbandes EACD. Als Partner einer Berliner Kanzlei berät er mit Tätigkeitsschwerpunkt Internet- und Presserecht bekannte Unternehmen, Pressesprecher und Einzelpersonen auch bei Berichten über Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft.
Jan Mönikes
Jan Mönikes© privat