Eine Schaustickerei spiegelt europäische Industriegeschichte
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Fördermittel der Europäischen Union fließen nicht nur an große Projekte, sondern auch an kleine. Etwa in die sächsische Stadt Plauen, wo eine Schaustickerei erhalten wurde und zu besichtigen ist – dank einiger tausend Euro aus Brüssel.
"Also der Sticker saß hier, hier ist der Wagen, wir haben jetzt die Kluppen auf der rechten Seite."
Die Europäische Union stickt ein bisschen mit, wenn Frank Luft – Brille, kariertes Hemd und schwarze Weste – die Geräte in der Plauener Schaustickerei vorführt. Gegründet von einigen Enthusiasten hat die Schaustickerei auch Geld aus EU-Mitteln erhalten, um Arbeitsplätze hier im Vogtland zu fördern, hier in der einstigen deutsch-deutschen Grenzregion, unweit der heute kaum noch sichtbaren deutsch-tschechischen Grenze. Bundesweit war das Vogtland zuletzt wieder in den Schlagzeilen nach einem Neonazi-Aufmarsch.
Auf seiner Führung zeigt Frank Luft, der im Museum als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt ist, auf die lange Reihe von Klemmen an dem über fünf Meter langen Stickrahmen. Sie bewegen die Nadel durch den aufgespannten Stoff: "Jetzt haben wir durch den Stoff durchgestochen. Und jetzt hat er die Kluppe auf der anderen Seite gefasst."
Eine europäische Besonderheit
Frank Luft zieht am Hebel einer der ältesten Maschinen hier. Eine, die mit Muskelkraft bedient wird. Konzentriert fährt er mit einer Metallspitze ein stark vergrößertes Stickmuster Punkt für Punkt nach. Jedes Mal, wenn er den Hebel zieht, wird der Faden durch den Stoff durchgestoßen. Die Maschine überträgt und vervielfältigt so das Muster auf ein fünf Meter langes Stoffband. Die Kluppe, die Klemme, auf der anderen Seite nimmt den Faden wieder entgegen, und so geht es hin und her.
"Und das haben die Sticker 12, 14 Stunden gemacht damals. Das verlangt doch einen relativ großen Kraftaufwand, und das war auch die Zeit, wo die Stickerei von der Frauen- auf die Männerarbeit übergegangen ist. Hier saßen dann männliche Sticker und haben den Wagen hin- und her bewegt."
Die ersten Maschinen dieses Typs kamen 1857 nach Plauen aus der Schweiz, wo sich im Kanton St. Gallen das zweite europäische Stick- und Spitzenzentrum befand. "Der sächsische Maschinenbau war damals noch nicht in der Lage, solche Maschinen zu produzieren. In Plauen wurden dann noch weitere Maschinen aus der Schweiz gekauft. Aber schon 1861 beginnt dann auch der sächsische Maschinenbau, diese Schweizer Maschinen nachzubauen, macht dazu eigene Patente."
Die sächsischen Maschinenbauer legten nach, dann kamen wieder die Schweizer, und schon bald war der gesamte Stickvorgang hier wie da automatisiert. Ein Stück europäische Industriegeschichte, die hier in Plauen erlebbar wird.
In der Schaustickerei können Besucher die Maschinen von damals in Betrieb sehen. Und sie können nicht nur den Aufstieg, sondern auch die schwierigen Zeiten nachvollziehen – in Plauen wie Europa. Die Krise vor dem Ersten Weltkrieg, schließlich die Verstaatlichungen der vielen kleinen Betriebe in der DDR, wovon auch die Stickerei im Plauener Osten betroffen war, in der sich heute die Schaustickerei befindet.
Lochbänder steuern die Maschinenarbeit
Längst hatten Lochbandmaschinen die Produktion übernommen, die nur noch von wenigen Menschen überwacht werden mussten. Nach der Wende wurden hier, jetzt wieder privatwirtschaftlich, noch einige Jahre Gardinen hergestellt. "Das sind die Maschinen, die bis 1996 gelaufen sind, sogar in den 1990er-Jahren teilweise noch dreischichtig im Einsatz waren, Anfang der 90er-Jahre, kurz nach der Wende. Aber die Zeit war dann relativ schnell vorbei, Mitte der 90er-Jahre lässt das Interesse an Stickereiprodukten dann auch nach, die Löhne in der ehemaligen DDR sind dann auch dementsprechend gestiegen. Und es war dann weniger attraktiv, hier noch Stickereien herzustellen."
Wohin mit den ausgemusterten Maschinen? Engagierte Menschen setzten sich dafür ein, einige zu erhalten und immer wieder auch vorzuführen – und das in Umbruchzeiten mit hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Unsicherheit. So entstand über viele Jahre aus einem Verein die Schaustickerei – durch die ehrenamtliche Arbeit von Menschen wie Gabriele Rudolph, die seit 2015 das Museum leitet. Gabriele Rudolph, halblange blonde Haare, ist gelernte Textildesignerin und trägt, natürlich, einen blauen Spitzenschal, denn: Das kulturelle Erbe der Stadt Plauen sichtbar zu machen, sei die wichtigste Aufgabe des Museums.
Die Stadt der Spitzen
"Weil die Biografien vieler Menschen, die hier gearbeitet haben, eng mit der Stickerei verbunden sind. Und auch die Stadt ja die Stadt der Spitzen ist. Und viele Leute kommen dann hierher und sagen: 'Ach hier, ach so ist das entstanden. Jetzt haben wir zu den Deckchen, die wir immer so viel bekommen haben, ein ganz anderes Bild.'"
Förderungswürdig, finden Stadt und Landkreis. Sie unterstützen den Trägerverein des Museums "Vogtländische Textilgeschichte" mit regelmäßigen Zahlungen. Auch die Europäische Union hat das Engagement der Menschen in der Schaustickerei finanziell unterstützt. Im Verein und seiner Arbeit sieht die EU ein gutes Beispiel für "bürgerschaftliches Engagement", eines der EU-Ziele.
Mit dem Programm "Lokales Kapital für soziale Zwecke" wurden Arbeitsplätze in der Schaustickerei gefördert. "Das ist natürlich schon schön, wenn man sieht, dass das auch ein bisschen über Plauen hinausgeht und über den Kulturraum Vogtland und über die Stadt. Das ist doch eine Anerkennung für die Einrichtung."
Stellen auf Honorarbasis und Ehrenamtliche
Anerkennung – etwas, worüber derzeit in Sachsen viel diskutiert wird, genau wie über die Zeit nach 1990, die Umbrüche, die Massenarbeitslosigkeit. Immer wieder gab es geförderte Stellen in der Schaustickerei. Volle Stellen gibt es auch heute nicht im Museum, vieles findet auf Honorar- und auch auf ehrenamtlicher Basis statt. Geld könnte sowieso immer mehr da sein: Auch an den Gebäuden gibt es eigentlich immer etwas zu sanieren oder auszubessern. Aber: Verein und die Schaustickerei laufen heute auf sicheren Schienen, sagt Museumsleiterin Gabriele Rudolf – und sieht sich seit einigen Jahren vor neuen internationalen Herausforderungen.
"Wir bekommen auch viele Gäste aus dem Ausland, aus Frankreich, aus der Tschechoslowakei. Wir haben englischsprachige Führungen, die allerdings vorher besser angemeldet werden…" Zuletzt wurde die Website nach dem Englischen auch ins Französische übersetzt. Eine Sprache, mit der sich auch der europäische Kreis in die Schweiz schließt, von wo vor über 150 Jahren die ersten Stickmaschinen nach Plauen gekommen waren. "Es ist ein großes freundschaftliches Verhältnis zwischen den Schweizern und uns. Und viele Besucher aus der Schweiz kommen und viele Museumsbesucher, die schon in der Schweiz waren und sagen: 'Wir wollen auch mal hier das Zentrum der Stickerei sehen.'"