"Plötzlich ist wieder Hoffnung da"
Mehrere Monate war Ashraf El Sharkawy mit einem Bus in Ägypten unterwegs, um über Demokratie aufzuklären. Der Trip sei "eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung und Ernüchterung" gewesen, sagt er. Eine Dokumentation der Filmemacherin Fatima Abdollahyan ist nun auf dem Münchner Filmfest zu sehen.
Dieter Kassel: Auf dem Münchner Filmfest feierte gestern ein Film der Regisseurin Fatima Abdollahyan Weltpremiere: "Freedom Bus" zeigt, wie der in Deutschland geborene und aufgewachsene Ashraf El Sharkawy im März 2011 in das Land seiner Eltern ging, um dort mit einer kleinen Gruppe ägyptischer Mitstreiter das Projekt "Freedom Bus" zu initiieren. Der Film heißt nicht nur so, es gibt ihn, diesen "Freedom Bus", und dieser Bus fuhr sechs Monate ungefähr durch Ägypten, um aufzuklären über die Prinzipien der Demokratie.
Der Film endet kurz nach den Parlamentswahlen im September 2011, aus denen die Partei der Muslimbrüder als stärkste Kraft hervorging. Er endet damit, dass Ashraf El Sharkawy in München seine Sachen packt und endgültig nach Ägypten zieht. Was man so endgültig nennt, zumindest für die Zeit, die jetzt herrscht. Im Moment ist er allerdings vorübergehend doch wieder in München, denn dort sitzt er zusammen mit Fatima Abdollahyan für uns im Studio. Schönen guten Morgen, Frau Abdollahyan …
Fatima Abdollahyan: Hallo, ich grüße Sie!
Kassel: … und schönen guten Tag, Herr El Sharkawy!
Ashraf El Sharkawy: Ja, hallo!
Kassel: Als Sie beide damals nach Ägypten gegangen sind, da herrschte große Aufbruchstimmung, und davon haben Sie sich auch zumindest am Anfang mitreißen lassen. Herr El Sharkawy, was herrscht denn heute? Ist das wieder Aufbruchstimmung oder ist das Untergangsstimmung?
El Sharkawy: Da sind zwei Jahre dazwischen, und da war es eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung, Ernüchterung, viel Zynismus und auch so ein bisschen der Glaube an dem, was da vielleicht initiiert worden ist, ja, ist auch verloren gegangen für eine Zeit. Und plötzlich, vor zwei Tagen, standen wieder Millionen von Menschen auf der Straße, und plötzlich ist wieder Hoffnung da, dass es doch noch weiter geht und dass das, was die jungen Leute, die diese Revolution initiiert haben, vielleicht doch noch sich materialisiert.
Kassel: Frau Abdollahyan, Sie sind ja mitgefahren, am Anfang auch von dieser Aufbruchsstimmung begeistert, aber in diesen sechs Monaten ungefähr, die Sie gefilmt haben, unter anderem mit dem "Freedom Bus" auf Marktplätzen oder anderen belebten Orten überall im Land, blieb da die Stimmung bei Ihnen noch erhalten oder wurden Sie doch ein bisschen nachdenklicher?
Fatima Abdollahyan: Also die grundsätzliche Euphorie oder dieser Enthusiasmus, der hat sich eigentlich durch diese ganzen neun Monate Drehzeit gehalten, für mich auf jeden Fall, und trotzdem habe ich in dieser Zeit vieles zu differenzieren gelernt. Also ich hatte tatsächlich bestimmte Dinge nicht auf dem Schirm, und zwar vor allem, wie heterogen die Bedürfnisse, die Ängste, die Problematiken gelagert sind in dieser praktisch aufgebrochenen Gesellschaft.
Kassel: Was war denn das für ein Gefühl, das frage ich Sie jetzt beide, da wirklich auf den Marktplätzen zu stehen und die Leute zu erleben. Ich hab es ja im Film gesehen, da war ja alles dabei von großem Misstrauen bis zu großer Naivität, große Begeisterung, große Ängste – was war das für ein Gefühl?
El Sharkawy: Also, ich war ja immer eher Beobachter der Geschehnisse. Und am Anfang war ich natürlich irgendwie heilfroh und natürlich auch irgendwie stolz, dass dieses Konzept, das einfach nur eine Idee war auf einem Blatt Papier, funktioniert. Und dass die Leute interagieren und dass die wissbegierig sind und sich die Blätter holen und lesen und dann nachfragen, ja, was ist denn das, und was meinst du denn damit, und ganz angeregte Diskussionen stattfanden. Das war eigentlich immer das Hauptfeeling für mich, das Hauptgefühl: Die Leute sind wissbegierig, die wollen wissen, die sind total interessiert. Und nach einer Weile trauen sie einem auch, auch wenn am Anfang immer so ein bisschen Misstrauen einem entgegen kommt. Aber dadurch, dass wir nichts von den Leuten wollten, und das kam auch immer am Ende eines Gespräches, so: Und soll ich jetzt irgendwo unterschreiben, wollt ihr meine Stimme? Nein, wollen wir nicht. Wir wollen gar nichts von dir, wir wollen einfach nur eine Diskussion mit dir führen.
Abdollahyan: Ja, für mich und meine Kamerafrau Jakobine Motz war das Gefühl, wir waren da zwiespältig. Und zwar auf der einen Seite haben wir sehr stark gespürt, wie nah wir an die Menschen in Ägypten herangekommen sind. Wir waren ja nicht nur in Kairo, wir sind ja wirklich in die hintersten Winkel des Landes gefahren, in Dörfer, aufs Land praktisch. Das war irre interessant für uns als Dokumentarfilmer, auf der anderen Seite waren wir ein bisschen im Dilemma, weil wir als Ausländer natürlich auch die Interaktion des "Freedom Bus" mit den Leuten gestört haben. Also das Misstrauen der Leute gegenüber Ausländern, westlichen vor allem, ist enorm groß, und da waren wir immer so ein bisschen im Zwiespalt, wie groß oder wie stark drängen wir uns der Situation auf. Und wann ist es eigentlich besser, sich zurückzuziehen, damit die "Freedom Bus"-Leute und Ashraf ihre Arbeit machen können.
Kassel: Was haben Sie denn eigentlich gesagt, wenn vielleicht mal die Frage auftauchte an Sie, je nachdem wie die Sie gesehen haben, vielleicht wegen Ihres Namens als Iranerin, ansonsten als Deutsche, wenn die Sie gefragt haben, was machst du eigentlich hier, was willst du jetzt hier.
El Sharkawy: Also, das ist wirklich eine gute Frage. Die – erst mal bin ich nicht als Iranerin wahrgenommen worden. Also ich hatte Situationen – also man muss sich das so vorstellen. Ich bin in einem ganz kleinen Team, also ich als Regisseurin, ich mach meinen Ton dann auch selber. Und die Jakobine Motz, die Kamerafrau, wir sind ein Zweierteam, und wir bewegen uns 24 Stunden quasi mit Ashraf über neun Monate mit durch dieses Land. Und dadurch, dass wir dieses Zweiergespann waren, hat man uns erst mal als westliche Menschen wahrgenommen. Ich hatte teilweise die Situation, dass mir die Leute gar nicht abgenommen haben, dass ich Orientalin bin. Ich hatte sogar mal die Situation, dass mich jemand gefragt hat, wie heißt du denn jetzt eigentlich wirklich. Also dass sie wirklich die Idee hatten, dass ich mir den Namen Fatima angelegt hätte, damit ich besser durch dieses Land komme. Das klingt lustig, aber es zeigt eigentlich auch, wie verunsichert diese Gesellschaft ist. Weil sie auch Angst hat, unterwandert zu werden. Das ist ganz klar.
Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Fatima Abdollahyan, der Regisseurin des Films "Freedom Bus", und mit Ashraf El Sharkawy, dem Initiator dieses Projekts. Ich hatte so das Gefühl, Herr El Sharkawy, dieses Problem, manchmal als Fremder wahrgenommen zu werden, hatten Sie gelegentlich auch. Ich meine, Sie kommen aus einer ägyptischen Familie, sprechen arabisch, aber ich darf das verraten, sogar ich als Deutscher hab das gehört in dem Film, zumindest ganz am Anfang auch nicht so völlig holper- und akzentfrei. Das heißt, auch Sie mussten immer erklären manchmal ein bisschen, warum Sie da jetzt plötzlich ankommen und was machen wollen.
El Sharkawy: Ja, ja, definitiv. Weil ich wurde nach den ersten zwei Worten immer ertappt. Ah, woher kommst denn du eigentlich? Und ich bin eigentlich offensiv damit umgegangen. Man sieht das auch in dem Film: Wenn ich mit den Leuten, mit den Freiwilligen, die uns geholfen haben, gesprochen habe, habe ich denen erst mal meine Geschichte erzählt, warum ich hier bin und was mich antreibt. Und das hat, glaube ich, auch so ein bisschen das Misstrauen abgebaut. Auf der Straße selbst habe ich mich wirklich komplett zurückgehalten. Die haben den Job gemacht und ich habe meine Rolle eher darin gesehen, zu beobachten und zu schauen, wo Spannungen vielleicht entstehen und dann versucht, Leute von uns da mit einzubinden, dass sie das Ganze wieder entspannen.
Kassel: Es ist ja in dem Film so, dass gegen Ende dann die Wahlen stattfinden. Und wir erinnern uns daran, die Muslimbrüder, die Partei der Muslimbrüder und die Salafisten zusammen haben zwei Drittel der Stimmen bekommen. In dem Film wird das nicht so ganz groß kommentiert – wie ging es Ihnen denn damit, hatten Sie das Gefühl, oh Gott, jetzt war alles umsonst?
El Sharkawy: Natürlich ist es irgendwie erst mal ernüchternd, aber für mich war das einfach nur der Anfang der Reise. Und ein Anfang wurde gemacht, indem die Leute raus gegangen sind und ihre Stimme abgegeben haben. Und man sieht ja jetzt, dass es nur ein Anfang war. Und plötzlich gehen die Leute wieder raus und sagen: Nein, genug, wir entziehen dir das Vertrauen.
Kassel: Aber ist das nicht auch ein Riesen-Dilemma jetzt, wenn man es einfach auch mal formal sieht. Es geht ja um die Frage, wie weit ist die Demokratie in diesem Land. Das ist eine der Fragen, die sich stellen. Und nun ist ja Mursi, egal, was man von ihm hält, im Prinzip der demokratisch gewählte Präsident und es gibt ein demokratisch gewähltes Parlament. Wenn die Leute jetzt wieder auf dem Tahrir-Platz stehen und anderswo und sagen, der muss weg – wo soll das hinführen?
Abdollahyan: Also ich würde da gerne was zu sagen, weil natürlich – ich verstehe die Frage, aber letztendlich muss man ja auch den Ausdruck analysieren. Also letztendlich ist das, was die Leute dort machen, der Ausdruck dafür, dass sie was gelernt haben, nämlich ihren Willen oder ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Ich meine, der Ashraf hat es gerade angesprochen. Diese Aktion mit den Zetteln, rebelliere, wo jetzt – also das waren so Zettel, diese Zettel-Aktionen, wo drüber stand: Rebelliere. Und dann ein Satz darunter: Ich, Punkt Punkt Punkt, entziehe dir, Mursi, meine Stimme oder mein Vertrauen. Das heißt ja auch, dass sich diese Bevölkerung ein Stück weit wieder selbst befähigt hat. Und das ist ein Schritt von politischer Willensbildung, und das muss man erst mal positiv anerkennen.
El Sharkawy: Und ganz, ganz wichtig: Ganz viele hatten gesagt, jetzt noch keine Wahlen. Wahlen bedeutet nicht Demokratie. Da gehört noch viel, viel mehr dazu. Und dazu gehört eine vernünftige Parteienlandschaft, es gehört eine Medienlandschaft dazu, die professionell und transparent arbeitet, ja, und es gehört ein Meinungsbildungsprozess dazu …
Abdollahyan: … eine Zivilgesellschaft, eine gewachsene …
El Sharkawy: … und all das gab es ja gar nicht.
Kassel: Aber gibt es das jetzt?
El Sharkawy: Nein, auch nicht. Aber was die machen, die Leute, ist zu sagen, wir warten da nicht vier Jahre. Wir sehen, wo er den Karren hin fährt und wir können da nicht einfach mit offenen Augen zuschauen.
Kassel: Herr Sharkawy, ich würde gern noch ein paar Stunden mit Ihnen beiden darüber diskutieren, aber eine Frage zum Schluss: Wenn ich höre, dass sich jetzt der Militärrat wieder so sehr einmischt, dürfen wir nicht vergessen, das war die Organisation, die Mubarak gestützt hat und alle seine Vorgänger – wenn man sieht, wie Ultimaten gestellt werden, auf die Mursi ohne Gesichtsverlust ja nicht ernsthaft eingehen kann – gibt es denn jetzt überhaupt eine Chance für eine friedliche Lösung?
El Sharkawy: Ja, es ist sehr, sehr prekär, die Situation. Also ich kann es nicht einschätzen. Das Militär hat sich bisher im Hintergrund gehalten und hat immer wieder klar gesagt, wir gehören dem Volk und wir unterstützen das Volk, was immer es will. Und jetzt kamen also die Millionen auf die Straße und das Militär hat nachgelegt, hat gemeint, also hier ist eine klare Botschaft ausgesandt worden. Und wir werden diese Botschaft nicht überhören. Was für eine Rolle die spielen werden, ist sehr, sehr fraglich. Ob die sich noch mal nach vorne drängen werden und diese ganzen Schläge abbekommen werden, die sie in den zwei Jahren bekommen haben – ich wage es zu bezweifeln. Die viel komfortablere Situation, die sie haben, ist, so schnell wie möglich wieder in den Hintergrund zu treten und von dort Politik zu spielen.
Kassel: Warten wir ab, was passiert, es lohnt sich auf jeden Fall gerade jetzt ein Rückblick ins Jahr 2011. Und den kann man bekommen in diesem Film "Freedom Bus". Der läuft noch, Premiere war gestern, aber er läuft noch auf dem Münchner Filmfest und wird dann, einen genauen Termin gibt es nicht, voraussichtlich im Herbst auch regulär in deutsche Kinos kommen. Das war Ashraf El Sharkawy, der diesen "Freedom Bus" initiiert hat, und Fatima Abdollahyan, die den Film gedreht hat gleichen Namens. Ich danke Ihnen beiden für Ihre Zeit und fürs Gespräch.
Abdollahyan: Sehr gerne, tschüs!
El Sharkawy: Vielen Dank, tschau!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Film endet kurz nach den Parlamentswahlen im September 2011, aus denen die Partei der Muslimbrüder als stärkste Kraft hervorging. Er endet damit, dass Ashraf El Sharkawy in München seine Sachen packt und endgültig nach Ägypten zieht. Was man so endgültig nennt, zumindest für die Zeit, die jetzt herrscht. Im Moment ist er allerdings vorübergehend doch wieder in München, denn dort sitzt er zusammen mit Fatima Abdollahyan für uns im Studio. Schönen guten Morgen, Frau Abdollahyan …
Fatima Abdollahyan: Hallo, ich grüße Sie!
Kassel: … und schönen guten Tag, Herr El Sharkawy!
Ashraf El Sharkawy: Ja, hallo!
Kassel: Als Sie beide damals nach Ägypten gegangen sind, da herrschte große Aufbruchstimmung, und davon haben Sie sich auch zumindest am Anfang mitreißen lassen. Herr El Sharkawy, was herrscht denn heute? Ist das wieder Aufbruchstimmung oder ist das Untergangsstimmung?
El Sharkawy: Da sind zwei Jahre dazwischen, und da war es eine Achterbahnfahrt zwischen Hoffnung, Ernüchterung, viel Zynismus und auch so ein bisschen der Glaube an dem, was da vielleicht initiiert worden ist, ja, ist auch verloren gegangen für eine Zeit. Und plötzlich, vor zwei Tagen, standen wieder Millionen von Menschen auf der Straße, und plötzlich ist wieder Hoffnung da, dass es doch noch weiter geht und dass das, was die jungen Leute, die diese Revolution initiiert haben, vielleicht doch noch sich materialisiert.
Kassel: Frau Abdollahyan, Sie sind ja mitgefahren, am Anfang auch von dieser Aufbruchsstimmung begeistert, aber in diesen sechs Monaten ungefähr, die Sie gefilmt haben, unter anderem mit dem "Freedom Bus" auf Marktplätzen oder anderen belebten Orten überall im Land, blieb da die Stimmung bei Ihnen noch erhalten oder wurden Sie doch ein bisschen nachdenklicher?
Fatima Abdollahyan: Also die grundsätzliche Euphorie oder dieser Enthusiasmus, der hat sich eigentlich durch diese ganzen neun Monate Drehzeit gehalten, für mich auf jeden Fall, und trotzdem habe ich in dieser Zeit vieles zu differenzieren gelernt. Also ich hatte tatsächlich bestimmte Dinge nicht auf dem Schirm, und zwar vor allem, wie heterogen die Bedürfnisse, die Ängste, die Problematiken gelagert sind in dieser praktisch aufgebrochenen Gesellschaft.
Kassel: Was war denn das für ein Gefühl, das frage ich Sie jetzt beide, da wirklich auf den Marktplätzen zu stehen und die Leute zu erleben. Ich hab es ja im Film gesehen, da war ja alles dabei von großem Misstrauen bis zu großer Naivität, große Begeisterung, große Ängste – was war das für ein Gefühl?
El Sharkawy: Also, ich war ja immer eher Beobachter der Geschehnisse. Und am Anfang war ich natürlich irgendwie heilfroh und natürlich auch irgendwie stolz, dass dieses Konzept, das einfach nur eine Idee war auf einem Blatt Papier, funktioniert. Und dass die Leute interagieren und dass die wissbegierig sind und sich die Blätter holen und lesen und dann nachfragen, ja, was ist denn das, und was meinst du denn damit, und ganz angeregte Diskussionen stattfanden. Das war eigentlich immer das Hauptfeeling für mich, das Hauptgefühl: Die Leute sind wissbegierig, die wollen wissen, die sind total interessiert. Und nach einer Weile trauen sie einem auch, auch wenn am Anfang immer so ein bisschen Misstrauen einem entgegen kommt. Aber dadurch, dass wir nichts von den Leuten wollten, und das kam auch immer am Ende eines Gespräches, so: Und soll ich jetzt irgendwo unterschreiben, wollt ihr meine Stimme? Nein, wollen wir nicht. Wir wollen gar nichts von dir, wir wollen einfach nur eine Diskussion mit dir führen.
Abdollahyan: Ja, für mich und meine Kamerafrau Jakobine Motz war das Gefühl, wir waren da zwiespältig. Und zwar auf der einen Seite haben wir sehr stark gespürt, wie nah wir an die Menschen in Ägypten herangekommen sind. Wir waren ja nicht nur in Kairo, wir sind ja wirklich in die hintersten Winkel des Landes gefahren, in Dörfer, aufs Land praktisch. Das war irre interessant für uns als Dokumentarfilmer, auf der anderen Seite waren wir ein bisschen im Dilemma, weil wir als Ausländer natürlich auch die Interaktion des "Freedom Bus" mit den Leuten gestört haben. Also das Misstrauen der Leute gegenüber Ausländern, westlichen vor allem, ist enorm groß, und da waren wir immer so ein bisschen im Zwiespalt, wie groß oder wie stark drängen wir uns der Situation auf. Und wann ist es eigentlich besser, sich zurückzuziehen, damit die "Freedom Bus"-Leute und Ashraf ihre Arbeit machen können.
Kassel: Was haben Sie denn eigentlich gesagt, wenn vielleicht mal die Frage auftauchte an Sie, je nachdem wie die Sie gesehen haben, vielleicht wegen Ihres Namens als Iranerin, ansonsten als Deutsche, wenn die Sie gefragt haben, was machst du eigentlich hier, was willst du jetzt hier.
El Sharkawy: Also, das ist wirklich eine gute Frage. Die – erst mal bin ich nicht als Iranerin wahrgenommen worden. Also ich hatte Situationen – also man muss sich das so vorstellen. Ich bin in einem ganz kleinen Team, also ich als Regisseurin, ich mach meinen Ton dann auch selber. Und die Jakobine Motz, die Kamerafrau, wir sind ein Zweierteam, und wir bewegen uns 24 Stunden quasi mit Ashraf über neun Monate mit durch dieses Land. Und dadurch, dass wir dieses Zweiergespann waren, hat man uns erst mal als westliche Menschen wahrgenommen. Ich hatte teilweise die Situation, dass mir die Leute gar nicht abgenommen haben, dass ich Orientalin bin. Ich hatte sogar mal die Situation, dass mich jemand gefragt hat, wie heißt du denn jetzt eigentlich wirklich. Also dass sie wirklich die Idee hatten, dass ich mir den Namen Fatima angelegt hätte, damit ich besser durch dieses Land komme. Das klingt lustig, aber es zeigt eigentlich auch, wie verunsichert diese Gesellschaft ist. Weil sie auch Angst hat, unterwandert zu werden. Das ist ganz klar.
Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im Deutschlandradio Kultur mit Fatima Abdollahyan, der Regisseurin des Films "Freedom Bus", und mit Ashraf El Sharkawy, dem Initiator dieses Projekts. Ich hatte so das Gefühl, Herr El Sharkawy, dieses Problem, manchmal als Fremder wahrgenommen zu werden, hatten Sie gelegentlich auch. Ich meine, Sie kommen aus einer ägyptischen Familie, sprechen arabisch, aber ich darf das verraten, sogar ich als Deutscher hab das gehört in dem Film, zumindest ganz am Anfang auch nicht so völlig holper- und akzentfrei. Das heißt, auch Sie mussten immer erklären manchmal ein bisschen, warum Sie da jetzt plötzlich ankommen und was machen wollen.
El Sharkawy: Ja, ja, definitiv. Weil ich wurde nach den ersten zwei Worten immer ertappt. Ah, woher kommst denn du eigentlich? Und ich bin eigentlich offensiv damit umgegangen. Man sieht das auch in dem Film: Wenn ich mit den Leuten, mit den Freiwilligen, die uns geholfen haben, gesprochen habe, habe ich denen erst mal meine Geschichte erzählt, warum ich hier bin und was mich antreibt. Und das hat, glaube ich, auch so ein bisschen das Misstrauen abgebaut. Auf der Straße selbst habe ich mich wirklich komplett zurückgehalten. Die haben den Job gemacht und ich habe meine Rolle eher darin gesehen, zu beobachten und zu schauen, wo Spannungen vielleicht entstehen und dann versucht, Leute von uns da mit einzubinden, dass sie das Ganze wieder entspannen.
Kassel: Es ist ja in dem Film so, dass gegen Ende dann die Wahlen stattfinden. Und wir erinnern uns daran, die Muslimbrüder, die Partei der Muslimbrüder und die Salafisten zusammen haben zwei Drittel der Stimmen bekommen. In dem Film wird das nicht so ganz groß kommentiert – wie ging es Ihnen denn damit, hatten Sie das Gefühl, oh Gott, jetzt war alles umsonst?
El Sharkawy: Natürlich ist es irgendwie erst mal ernüchternd, aber für mich war das einfach nur der Anfang der Reise. Und ein Anfang wurde gemacht, indem die Leute raus gegangen sind und ihre Stimme abgegeben haben. Und man sieht ja jetzt, dass es nur ein Anfang war. Und plötzlich gehen die Leute wieder raus und sagen: Nein, genug, wir entziehen dir das Vertrauen.
Kassel: Aber ist das nicht auch ein Riesen-Dilemma jetzt, wenn man es einfach auch mal formal sieht. Es geht ja um die Frage, wie weit ist die Demokratie in diesem Land. Das ist eine der Fragen, die sich stellen. Und nun ist ja Mursi, egal, was man von ihm hält, im Prinzip der demokratisch gewählte Präsident und es gibt ein demokratisch gewähltes Parlament. Wenn die Leute jetzt wieder auf dem Tahrir-Platz stehen und anderswo und sagen, der muss weg – wo soll das hinführen?
Abdollahyan: Also ich würde da gerne was zu sagen, weil natürlich – ich verstehe die Frage, aber letztendlich muss man ja auch den Ausdruck analysieren. Also letztendlich ist das, was die Leute dort machen, der Ausdruck dafür, dass sie was gelernt haben, nämlich ihren Willen oder ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Ich meine, der Ashraf hat es gerade angesprochen. Diese Aktion mit den Zetteln, rebelliere, wo jetzt – also das waren so Zettel, diese Zettel-Aktionen, wo drüber stand: Rebelliere. Und dann ein Satz darunter: Ich, Punkt Punkt Punkt, entziehe dir, Mursi, meine Stimme oder mein Vertrauen. Das heißt ja auch, dass sich diese Bevölkerung ein Stück weit wieder selbst befähigt hat. Und das ist ein Schritt von politischer Willensbildung, und das muss man erst mal positiv anerkennen.
El Sharkawy: Und ganz, ganz wichtig: Ganz viele hatten gesagt, jetzt noch keine Wahlen. Wahlen bedeutet nicht Demokratie. Da gehört noch viel, viel mehr dazu. Und dazu gehört eine vernünftige Parteienlandschaft, es gehört eine Medienlandschaft dazu, die professionell und transparent arbeitet, ja, und es gehört ein Meinungsbildungsprozess dazu …
Abdollahyan: … eine Zivilgesellschaft, eine gewachsene …
El Sharkawy: … und all das gab es ja gar nicht.
Kassel: Aber gibt es das jetzt?
El Sharkawy: Nein, auch nicht. Aber was die machen, die Leute, ist zu sagen, wir warten da nicht vier Jahre. Wir sehen, wo er den Karren hin fährt und wir können da nicht einfach mit offenen Augen zuschauen.
Kassel: Herr Sharkawy, ich würde gern noch ein paar Stunden mit Ihnen beiden darüber diskutieren, aber eine Frage zum Schluss: Wenn ich höre, dass sich jetzt der Militärrat wieder so sehr einmischt, dürfen wir nicht vergessen, das war die Organisation, die Mubarak gestützt hat und alle seine Vorgänger – wenn man sieht, wie Ultimaten gestellt werden, auf die Mursi ohne Gesichtsverlust ja nicht ernsthaft eingehen kann – gibt es denn jetzt überhaupt eine Chance für eine friedliche Lösung?
El Sharkawy: Ja, es ist sehr, sehr prekär, die Situation. Also ich kann es nicht einschätzen. Das Militär hat sich bisher im Hintergrund gehalten und hat immer wieder klar gesagt, wir gehören dem Volk und wir unterstützen das Volk, was immer es will. Und jetzt kamen also die Millionen auf die Straße und das Militär hat nachgelegt, hat gemeint, also hier ist eine klare Botschaft ausgesandt worden. Und wir werden diese Botschaft nicht überhören. Was für eine Rolle die spielen werden, ist sehr, sehr fraglich. Ob die sich noch mal nach vorne drängen werden und diese ganzen Schläge abbekommen werden, die sie in den zwei Jahren bekommen haben – ich wage es zu bezweifeln. Die viel komfortablere Situation, die sie haben, ist, so schnell wie möglich wieder in den Hintergrund zu treten und von dort Politik zu spielen.
Kassel: Warten wir ab, was passiert, es lohnt sich auf jeden Fall gerade jetzt ein Rückblick ins Jahr 2011. Und den kann man bekommen in diesem Film "Freedom Bus". Der läuft noch, Premiere war gestern, aber er läuft noch auf dem Münchner Filmfest und wird dann, einen genauen Termin gibt es nicht, voraussichtlich im Herbst auch regulär in deutsche Kinos kommen. Das war Ashraf El Sharkawy, der diesen "Freedom Bus" initiiert hat, und Fatima Abdollahyan, die den Film gedreht hat gleichen Namens. Ich danke Ihnen beiden für Ihre Zeit und fürs Gespräch.
Abdollahyan: Sehr gerne, tschüs!
El Sharkawy: Vielen Dank, tschau!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.