"Plündernde Landsknechte, Hungersnot und politisches Chaos"
Ein facettenreiches Bild des Dreißigjährigen Kriegs geben die Herausgeber Dietmar Pieper und Johannes Saltzwedel mit diesem Sammelband. 30 Beiträge von 23 Autoren beleuchten den mörderischen Kampf um Religion und Macht in Europa von 1618 bis 1648.
Der Dreißigjährige Krieg hat in großen Teilen Deutschlands ungeheuere Verheerungen angerichtet und im deutschen Gedächtnis traumatische Spuren hinterlassen. Dieser Epoche haftet "unauslöschlich das Siegel des Grauens" an, meint Johannes Saltzwedel:
"Dreißigjähriger Krieg: Damit verbinden sich im Schulbuchwissen Konfessionshader und plündernde Landsknechte, Massenschlachten, Verwüstungen, Hungersnot und politisches Chaos. Teuerung, Seuchen und Schübe von Hexenwahn vervollständigen das Horrordrama zum Urbild im kollektiven Unbewussten vor allem der Deutschen: Diese Ballung des Schreckens war ein grauenhaftes Naturereignis, ein 'Strafgericht Gottes', Vorschein der Hölle auf Erden."
Das fast 300-seitige Buch bietet eine Art Kaleidoskop des Dreißigjährigen Kriegs, keine "große Erzählung" oder gar eine schlüssige Gesamterklärung. Denn dieser Krieg ist längst noch nicht hinreichend erforscht und verstanden, weshalb die Historiker auch zu keinem allgemein akzeptierten Ansatz kommen. Zwar verstehen sie einzelne Ereignisse, Ursachen, Konflikte ganz gut - aber noch keineswegs den Krieg als Ganzes.
Manche bezweifeln sogar, dass man bei der oft zusammenhanglos erscheinenden Vielfalt der Geschehnisse überhaupt von dem einen Dreißigjährigen Krieg sprechen kann. Sie fragen sich auch: War dieser Krieg wirklich - wie für den Dichter und Geschichtsprofessor Friedrich Schiller - ein Konfessionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten? Oder nicht vielmehr ein Kampf um neue politische Souveränitäten und Unabhängigkeiten, ein "Staatsbildungskrieg", wie heute die These des Historikers Johannes Burkhardt lautet - die sein Kollege Georg Schmidt aber nicht ganz teilt:
"Die These ist faszinierend und fruchtbar, nur kann man sie nicht verallgemeinern. Für die Niederlande trifft sie sicher zu, dort findet ja wirklich das Experiment einer Staatsgründung statt: Aus einer spanischen Kolonie soll eine eigenständige Republik werden. In Böhmen will sich die alte Nation von habsburgischen Ansprüchen emanzipieren - doch es bleibt beim Versuch. Im Reich und für andere Gegenden Europas würde ich die These Burkhardts mit Fragezeichen versehen."
Vielerlei Faktoren zum Verständnis der Ursachen und langen Dauer des Dreißigjährigen Kriegs werden in dem Buch genannt: die Großmachtambitionen Habsburgs, Schwedens und Frankreichs; der Kampf um die sogenannte "Spanische Straße", den Nachschubweg der Spanier über die Alpen bis in die Niederlande; wirtschaftliche Probleme, Missernten aufgrund des damals besonders kalten Klimas.
Aber deutlich wird auch, dass zumindest anfangs der Glaubenskrieg im Vordergrund steht. Der Versuch von Kaiser und Papst, den Protestantismus in Deutschland und Böhmen zu eliminieren. Was misslingt, weil König Gustav Adolf von Schweden militärisch interveniert und so den Protestantismus in Deutschland rettet; ein bleibendes Verdienst des Schwedenkönigs bis heute, betont Uwe Klußmann:
"Er hat den Sieg der katholischen Reaktion und Gegenreformation in Deutschland verhindert."
Mentalitätsgeschichtlich gibt das Buch leider nur wenig her. Immerhin wird erkennbar, wie die prominenten Kriegsakteure auf katholischer Seite, Kaiser Ferdinand II., Herzog Maximilian von Bayern, General von Tilly von Kindheit an klerikal indoktriniert wurden. Wie ihre Erzieher und Beichtväter, militante gegenreformatorische Jesuiten - religiöse Fanatiker würden wir heute sagen - in ihre Seelen Hass gegen die Protestanten säten und so die künftigen Herrscher und Feldherren auf ihre Aufgabe einschworen: die Rekatholisierung der protestantischen Länder, notfalls mit Gewalt.
Auf diese Weise religiös geimpft ließ Tilly das protestantische Magdeburg von seinen Truppen mit dem katholischen Schlachtruf "Jesus Maria" stürmen und 20.000 Menschen niedermetzeln, zwei Drittel der Einwohner Magdeburgs. Bis heute wird Tilly von vielen Katholiken als frommer Glaubensstreiter gesehen, den man zurecht im bayerischen Marienwallfahrtsort Altötting in einem gläsernen Sarg zur Verehrung ausstellt. Bertolt Brecht hat darüber ein Gedicht geschrieben:
"Es ist doch merkwürdig, wie auch die Größten vergehen
Und nichts bleibt außer Staub. Wie Gras!
Und es ist selten etwas so schrecklich und unaufgeklärt wie das.
In Altötting zum Beispiel ist der katholische Feldherr Tilly
im Sarge zu sehen
Gegen zwei Mark Eintritt für Erwachsene präpariert unter Glas.
Es steht darauf: Tilly nicht berühren!"
Das Brecht-Gedicht gehört für mich zu den überraschenden Fundstücken in dem vorgestellten Buch, ebenso die erschütternden Tagebuchaufzeichnungen von einfachen Leuten im Dreißigjährigen Krieg - Bauern, Landsknechte, Nonnen, Handwerker. Und auch die expressiven Radierungen des Augsburger Künstlers Hans Ulrich Franck um 1650 - gespenstische Gewalt- und Todesszenarien. In diesen schwarzen, düsteren Graphiken gibt es keine Spur mehr von Lebenssinn, Glaube oder Hoffnung, der Krieg hat alles vernichtet. Bernd Roeck, der Züricher Historiker, sieht Francks Bilder so:
"Kein Gott hält die Dinge gütig im Lot, jeder heilsgeschichtliche Zusammenhang scheint verloren. Ein blindes Schicksal verschont oder schlägt zu, je nach Lust und Laune."
Dietmar Pieper, Johannes Saltzwedel (Hrg.): Der Dreißigjährige Krieg. Europa im Kampf um Glaube und Macht 1618 - 1648
DVA Deutsche Verlagsanstalt, München 2012
"Dreißigjähriger Krieg: Damit verbinden sich im Schulbuchwissen Konfessionshader und plündernde Landsknechte, Massenschlachten, Verwüstungen, Hungersnot und politisches Chaos. Teuerung, Seuchen und Schübe von Hexenwahn vervollständigen das Horrordrama zum Urbild im kollektiven Unbewussten vor allem der Deutschen: Diese Ballung des Schreckens war ein grauenhaftes Naturereignis, ein 'Strafgericht Gottes', Vorschein der Hölle auf Erden."
Das fast 300-seitige Buch bietet eine Art Kaleidoskop des Dreißigjährigen Kriegs, keine "große Erzählung" oder gar eine schlüssige Gesamterklärung. Denn dieser Krieg ist längst noch nicht hinreichend erforscht und verstanden, weshalb die Historiker auch zu keinem allgemein akzeptierten Ansatz kommen. Zwar verstehen sie einzelne Ereignisse, Ursachen, Konflikte ganz gut - aber noch keineswegs den Krieg als Ganzes.
Manche bezweifeln sogar, dass man bei der oft zusammenhanglos erscheinenden Vielfalt der Geschehnisse überhaupt von dem einen Dreißigjährigen Krieg sprechen kann. Sie fragen sich auch: War dieser Krieg wirklich - wie für den Dichter und Geschichtsprofessor Friedrich Schiller - ein Konfessionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten? Oder nicht vielmehr ein Kampf um neue politische Souveränitäten und Unabhängigkeiten, ein "Staatsbildungskrieg", wie heute die These des Historikers Johannes Burkhardt lautet - die sein Kollege Georg Schmidt aber nicht ganz teilt:
"Die These ist faszinierend und fruchtbar, nur kann man sie nicht verallgemeinern. Für die Niederlande trifft sie sicher zu, dort findet ja wirklich das Experiment einer Staatsgründung statt: Aus einer spanischen Kolonie soll eine eigenständige Republik werden. In Böhmen will sich die alte Nation von habsburgischen Ansprüchen emanzipieren - doch es bleibt beim Versuch. Im Reich und für andere Gegenden Europas würde ich die These Burkhardts mit Fragezeichen versehen."
Vielerlei Faktoren zum Verständnis der Ursachen und langen Dauer des Dreißigjährigen Kriegs werden in dem Buch genannt: die Großmachtambitionen Habsburgs, Schwedens und Frankreichs; der Kampf um die sogenannte "Spanische Straße", den Nachschubweg der Spanier über die Alpen bis in die Niederlande; wirtschaftliche Probleme, Missernten aufgrund des damals besonders kalten Klimas.
Aber deutlich wird auch, dass zumindest anfangs der Glaubenskrieg im Vordergrund steht. Der Versuch von Kaiser und Papst, den Protestantismus in Deutschland und Böhmen zu eliminieren. Was misslingt, weil König Gustav Adolf von Schweden militärisch interveniert und so den Protestantismus in Deutschland rettet; ein bleibendes Verdienst des Schwedenkönigs bis heute, betont Uwe Klußmann:
"Er hat den Sieg der katholischen Reaktion und Gegenreformation in Deutschland verhindert."
Mentalitätsgeschichtlich gibt das Buch leider nur wenig her. Immerhin wird erkennbar, wie die prominenten Kriegsakteure auf katholischer Seite, Kaiser Ferdinand II., Herzog Maximilian von Bayern, General von Tilly von Kindheit an klerikal indoktriniert wurden. Wie ihre Erzieher und Beichtväter, militante gegenreformatorische Jesuiten - religiöse Fanatiker würden wir heute sagen - in ihre Seelen Hass gegen die Protestanten säten und so die künftigen Herrscher und Feldherren auf ihre Aufgabe einschworen: die Rekatholisierung der protestantischen Länder, notfalls mit Gewalt.
Auf diese Weise religiös geimpft ließ Tilly das protestantische Magdeburg von seinen Truppen mit dem katholischen Schlachtruf "Jesus Maria" stürmen und 20.000 Menschen niedermetzeln, zwei Drittel der Einwohner Magdeburgs. Bis heute wird Tilly von vielen Katholiken als frommer Glaubensstreiter gesehen, den man zurecht im bayerischen Marienwallfahrtsort Altötting in einem gläsernen Sarg zur Verehrung ausstellt. Bertolt Brecht hat darüber ein Gedicht geschrieben:
"Es ist doch merkwürdig, wie auch die Größten vergehen
Und nichts bleibt außer Staub. Wie Gras!
Und es ist selten etwas so schrecklich und unaufgeklärt wie das.
In Altötting zum Beispiel ist der katholische Feldherr Tilly
im Sarge zu sehen
Gegen zwei Mark Eintritt für Erwachsene präpariert unter Glas.
Es steht darauf: Tilly nicht berühren!"
Das Brecht-Gedicht gehört für mich zu den überraschenden Fundstücken in dem vorgestellten Buch, ebenso die erschütternden Tagebuchaufzeichnungen von einfachen Leuten im Dreißigjährigen Krieg - Bauern, Landsknechte, Nonnen, Handwerker. Und auch die expressiven Radierungen des Augsburger Künstlers Hans Ulrich Franck um 1650 - gespenstische Gewalt- und Todesszenarien. In diesen schwarzen, düsteren Graphiken gibt es keine Spur mehr von Lebenssinn, Glaube oder Hoffnung, der Krieg hat alles vernichtet. Bernd Roeck, der Züricher Historiker, sieht Francks Bilder so:
"Kein Gott hält die Dinge gütig im Lot, jeder heilsgeschichtliche Zusammenhang scheint verloren. Ein blindes Schicksal verschont oder schlägt zu, je nach Lust und Laune."
Dietmar Pieper, Johannes Saltzwedel (Hrg.): Der Dreißigjährige Krieg. Europa im Kampf um Glaube und Macht 1618 - 1648
DVA Deutsche Verlagsanstalt, München 2012