Podcast “Caliphate” der New York Times

Hätte es diesen Podcast nie geben dürfen?

11:22 Minuten
Das Bild zeigt ein Straßenschild mit der Aufschrift "Wrong Way" und dieses steht vor dem New-York-Times-Gebäude.
Infolge der Enthüllungen um "Caliphate" musste die New York Times mehrere Auszeichnungen für den Podcast zurückgeben. © Unsplash / Jakayla Toney
Erik Wemple im Gespräch mit Katja Bigalke und Martin Böttcher |
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Schon vor der Veröffentlichung von “Caliphate” gab es Bedenken wegen der Arbeitsweise von Rukmini Callimachi. Dann fällt die Journalistin noch auf einen Betrüger rein. Alleine Schuld ist sie dennoch nicht, meint Erik Wemple.
Die Geschichte klingt von Beginn an zu gut um wahr zu sein. Jahrelang gilt Rukmini Callimachi von der "New York Times" als Terrorismusexpertin und Starreporterin auf ihrem Gebiet. Dann stößt sie eines Tages auf Abu Huzaifa al-Kanadi. So möchte er genannt werden. Der Kanadier berichtet ihr von seinen Gräueltaten, die er für den Islamischen Staat (IS) begangen haben soll. Seine Berichte sind zentrale Bestandteile von "Caliphate".
"Der Podcast verbringt die ersten fünf Episoden damit zu erzählen, was für ein erstaunlich-schrecklicher IS-Terrorist dieser Mann ist, der Menschen tötet und so weiter", erzählt Erik Wemple. Der Medienjournalist von der "Washington Post" wird schon nach dem ersten Höreindruck misstrauisch.
Dann geben die Macher selbst zu, dass es Unstimmigkeiten in der Geschichte des Mannes gibt. Die "New York Times" beauftragt daraufhin verschiedene Reporter, die sich mit der Nationalen Sicherheit beschäftigen, um der Geschichte auf den Grund zu gehen. "Deswegen habe ich mich damals schon dafür interessiert, habe aber nicht darüber geschrieben – obwohl ich die Sache auf dem Schirm hatte. Und was ich jetzt rückblickend natürlich bereue, dass ich damals nicht mehr nachgeforscht habe", erklärt Erik Wemple weiter.

Tiefer Fall

Dennoch nehmen die Begeisterungsstürme für den Podcast zunächst nicht ab. Die Macher werden 2018 sogar mit dem renommierten Peabody Award ausgezeichnet. Auch für den Pulitzer sind sie nominiert. Doch dann wird im Herbst 2020 ein Mann namens Shehroze Chaudhry von der kanadischen Polizei festgenommen. Ihm wird vorgeworfen terroristische Straftaten vorgetäuscht zu haben. Er stellt sich heraus: Shehroze Chaudhry und Abu Huzaifa al-Kanadi sind die gleiche Person. Die Geschichte, die er in "Caliphate" erzählt ist also teilweise, eventuell sogar ganz, gelogen. Die "New York Times" startet daraufhin interne Ermittlungen.
Der Podcast wird allerdings nicht offline genommen, sondern lediglich mit einem Warnhinweis versehen und es folgt eine Folge, die die Ereignisse verarbeitet. Erik Wemple hält diese Vorgehensweise für richtig: "Ich hätte es auch für keine gute Idee gehalten, den Podcast komplett offline zu nehmen, weil das wäre dann eine mediale Gedächtnislücke, von der niemand lernen kann und niemand nachvollziehen kann, welche Fehler gemacht wurden."

Zu wenig Kontrolle und Sorgfalt für Audio-Inhalte

Trotzdem bleibt die Frage der Schuld, also an welcher Stelle die Macher Fehler begangen haben und ob sie sich dieser bewusst waren. Erik Wemple merkt an: "Da ist eine Reporterin und ein Team, die quasi bei der Geschichte mitfiebern. Sie wollen, dass die Geschichte wahr ist. Und als dann Unstimmigkeiten und Probleme mit der Glaubwürdigkeit des Protagonisten auftauchen, da fängt das Podcast-Team an, eine neue zeitliche Abfolge für ihn zu erfinden. Sie setzen quasi alles daran, seine Geschichte zu unterstützen und zu retten."
Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass bereits im Vorfeld der Entstehung von "Caliphate" Reporterinnen und Reporter der "New York Times" Bedenken gegen die Arbeitsweise von Rukmini Callimachi angemeldet hatten und es im eigenen Haus auch weniger Kontrolle der Audio-Abteilung im Vergleich mit der Abteilungfür geschriebenes Wort gab. "Deswegen stellt sich jetzt die Frage, ob dieses Projekt hätte jemals starten dürfen."
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