Wie Internetsperren Existenzen zerstören
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Vor allem Länder mit autoritären Regierungen benutzten das Netz als Mittel zum Machterhalt: Es wird gedrosselt, geblockt, heruntergefahren, und vielen Menschen damit die Lebensgrundlage entzogen. Über die Folgen berichtet der neue Podcast "Kill Switch".
"Das Internet im ganzen Land ist seit fast einer Woche abgeschaltet. Dir war gar nicht bewusst, wie viele Aspekte deines Alltags darauf angewiesen waren. Du fragst dich, wie oft deine Mutter versucht hat, dir zu schreiben, um zu erfahren, ob du sicher bist. Doch die Nachrichten kommen nie an." So beginnt die zweite Folge von "Kill Switch", einem Podcast von Access Now, einer Menschenrechtsorganisation mit Digitalfokus, die sich mit Internet-Shutdowns auf der gesamten Welt beschäftigt.
Das heißt, dass vor allem autoritäre Staaten den Zugang zu sozialen Netzen blockieren, das Internet drosseln oder sogar ganz abschalten, um unliebsame Berichterstattung und Proteste zu unterdrücken. Ein Phänomen, von dem wir in der westlichen Welt erstaunlich wenig mitbekommen.
Weit mehr als ein Zensurwerkzeug
"Access Now hat 2019 mehr als 213 Teil- und Vollshutdowns dokumentiert. Manche dauerten nur Stunden. Andere Monate. Wenn Sie noch nichts über den dramatischen Anstieg von Internet-Shutdowns auf der ganzen Welt gehört haben, dann dürfte das daran liegen, dass sie sehr effektiv darin sind, ihr Ziel durchzusetzen."
Die Internetaktivistin Felicia Anthonio ist die Moderatorin des Podcasts. Sie macht deutlich, wie wichtig Shutdowns als Zensurwerkzeug für autoritäre Regierungen wie in Myanmar oder dem Sudan geworden sind. Ein Extrembeispiel, das in dem Podcast genannt wird, ist die Region Wana in Pakistan.
"In Wana, Südwasiristan, gab es einen Internetshutdown, der 3411 Tage dauerte. Der Kill Switch blieb einfach auf aus."
So ein Shutdown bedeutet nicht nur, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu Netflix oder Social Media hat – manchmal werden sogar ganze Lebensgrundlagen vernichtet. Das sagt Alp Toker von der NGO Netblocks, die Internet-Shutdowns weltweit dokumentiert:
"Da sind zum Beispiel Landwirte, die auf einer Jahresmenge Getreide sitzenbleiben, weil WhatsApp nicht funktioniert hat. Auch die Einschränkung von Protesten ist ein Faktor, der durch die Pandemie sogar noch verstärkt wird. Schließlich sind Onlinespaces ein Ort für Demonstrationen geworden. Vor ein, zwei Jahren ging es darum, zu verhindern, dass Leute auf die Straße gehen. Jetzt geht es darum, die Proteste selbst zu blockieren, weil sie online stattfinden."
Bisweilen wird nur die Übertragungsgeschwindigkeit gedrosselt
Und nicht nur die Organisation von Protesten wird durch Shutdowns schwierig bis unmöglich. Auch die freien Medien sind darauf angewiesen, dass es einen Zugang zum Internet gibt, um ihre Arbeit zu veröffentlichen, aber auch für Recherche, die gerade in Bezug auf Proteste auch über Facebook, Twitter und Co. läuft.
Darum reicht es oft sogar, wenn Regierungen gar nicht das ganze Internet abschalten, sondern nur die sozialen Netzwerke. Oder sie drossel die Geschwindigkeit so stark, dass es zwar noch möglich ist, Texte zu versenden, aber keine Bilder oder Videos – die häufig das Schrecken und die Grausamkeit von staatlicher Gewalt stärker vermitteln, als Wörter es können.
Interessant sind die Gründe, die die Regierungen nennen, um die Zensur zu rechtfertigen. Oliver Spencer, Aktivist der Organisation Free Expression Myanmar, beschreibt in "Kill Switch", was er schon alles gehört hat:
"Was sie in kurzen Statements gesagt haben, ist, dass es um Störung des Friedens geht. Um koordinierte kriminelle Aktivität. Nationale Sicherheit. Wir haben auch schon gehört, dass es um öffentliches Interesse oder Hassrede geht."
Die Internetanbieter werden oft zum Schweigen verpflichtet
Diese Erklärungen werden von Bevölkerung und Medien natürlich oft hinterfragt, was auch die Regierungen wissen. Alp Toker von Netblocks sagt, dass Internetausfälle bei Protesten oder Militäraktionen oft mit externen Faktoren begründet werden.
"Die Regierungen machen es sich einfach, indem sie die Internetanbieter zum Schweigen verpflichten. Dadurch können sie den Shutdown aufs Wetter schieben – oder auf Tiere, die ein Kabel angenagt haben."
Zu Beginn der Coronapandemie gab es wenig Internetsperren
Zu Beginn der Coronapandemie wurde übrigens so wenig abgeschaltet wie nie zuvor, hat Netblocks beobachtet. Zum einen, weil eine Bevölkerung eher zu Hause bleibt, wenn sie Netflix, Youtube und andere Unterhaltung zur Verfügung hat – aber auch, weil die Regierungen einen Kommunikationskanal für wichtige Botschaften offen lassen mussten. Doch das war nur anfangs so. Mittlerweile beobachtet die NGO das genaue Gegenteil.
"Sie sind jetzt mit aller Macht zurück. Wir haben es in Äthiopien beobachtet, das gerade aus einem der größten Nationalen Shutdowns der Geschichte zurück ist – das war ein Desaster. Tschad blockiert WhatsApp. Das ist ein kleines Land, das sehr auf Messengerdienste angewiesen ist. Das ist also eine sehr gezielte Einschränkung. Es gibt auch andere enttäuschende Einschränkungen. Jordanien, das sich ja gerne als sehr demokratisch positioniert, zum Beispiel. Das Königreich blockiert jeden Tag Facebook Livestreams. Das führt zur einer Art Ausgangssperre ohne rechtliche Basis."
Doch während die NGO Netblocks eine Verschlechterung der Lage beobachtet, freut man sich im Podcast "Kill Switch" auch über die kleinen Erfolge. Zum Beispiel mit einer Geschichte von Shahadad Azim, deren Vater vor einem sudanesischen Gericht ein Ende der Netzsperren erwirkte.
"Als das Internet zurück war, hat er uns angerufen und gesagt: 'Ist dir aufgefallen, dass ich über WhatsApp und nicht über das normale Telefonnetz anrufe?' Und ich meinte nur: 'Nein, ist es nicht.' Aber dann habe ich nachgesehen und nur gesagt: 'Er hat das Internet zurückbekommen!' Und dann hat er uns ein Bild von sich vor dem Gerichtsgebäude geschickt", sagt die sudanesische Aktivistin in "Kill Switch".
Ein lohnenswerter Podcast
Ein lohnenswerter Podcast, weil er nicht nur über ein Thema berichtet, über das wir im Westen wenig hören, sondern auch von Menschen gemacht wird, die Shutdowns miterleben und dagegen kämpfen.