Zwischen Nähe, Personenkult und Voyeurismus
48:04 Minuten
Egal, ob Beyoncé, Obama oder Dolly Parton: Podcast-Biografien sind schwer angesagt. Wir reden mit Regisseur Benjamin Teske über den Hype der Porträts und über "Nochmal Nr. 1", seine Podcast-Serie über die Sängerin Irene Sheer.
Das Medium Podcast scheint für Porträts nahezu optimal geeignet: Ohne Längenbeschränkung bietet der Podcast so viel Raum, wie ihn selbst die längsten Magazingeschichten nicht bieten können.
Gleichzeitig kann ein biografischer Podcast die Stärken von Audio nutzen: Wenn die Porträtierten mit ihrer Stimme und eigenen Worten selbst zu hören sind, dann kann das für eine unmittelbare Nähe zu den Hörenden schaffen. Kein Wunder also, dass in den letzten Jahren zahlreiche biografische Podcasts veröffentlicht wurden. Weswegen diese Ausgabe von "Über Podcast" kritisch auf die sogenannten "Biopods", auf die biografischen Podcasts schaut.
"Nochmal Nr. 1"
Einer der deutschsprachigen Porträt-Podcasts, die 2019 erschienen sind: Die achteillige RBB-Podcastserie "Nochmal Nr. 1" über die Schlagersängerin Irene Sheer.
Für diesen Podcast hat sich Benjamin Teske ganz bewusst und offen in eine ihm fremde Welt hineinbegeben, ganze neun Monate lang: "Eigentlich hatte ich gar keinen Bezug zu Schlager. Außer, dass das eine Welt war und ist, die mich sehr fasziniert hat. Weil das so ein deutsches Kulturgut ist, ich mit der Musik selber nicht sehr viel anfangen kann, aber sehr viele Menschen eben schon. Dann kommt der Dokumentarist in mir heraus und sagt: 'Das will ich ergründen.'"
Der Podcast ist ein sehr nahes Porträt der Musikerin Irene Sheer, weswegen die Balance zwischen professioneller Distanz und menschlicher Nähe keine leichte Aufgabe war. Der Ansatz von Benjamin Teske: "Natürlich steht man sehr oft vor der Frage: Soll ich das alles kommentieren und etwas dazu sagen? Aber so oft es möglich ist, lasse ich Dinge gerne für sich stehen. Weil ich das spannender finde. Deswegen gibt es viele Dinge, die ich nicht explizit benannt habe. Weil man das ruhig entdecken darf und sich sein eigenes Urteil bilden soll."
"Making Beyoncé": Eine bewunderndes Porträt
"Making Beyoncé" ist genau genommen die bereits dritte Staffel dieses Podcasts. Zuvor hatte der US-Radiosender WBEZ bereits Oprah Winfrey und US-Präsident Barack Obama jeweils eine Staffel gewidmet, ihre Biografien und Werdegänge nachgezeichnet: Gut recherchiert, mit Zeitdokumenten und Wegbegleitern eher wenig kommentierend erzählt, stellenweise aber trotzdem mit einem Hang zum Personenkult.
Die "Making"-Staffeln haben das Genre der Biografie-Podcasts in den USA maßgeblich geprägt. Der Podcast setzt erkennbar auf die Prominenz und die Fans der Porträtierten, konnte sowohl Oprah als auch Obama selbst für Interviews gewinnen. Anders im Dreiteiler "Making Beyoncé": Die Musikerin taucht nicht direkt persönlich im Podcast auf. Stellvertretend erzählt ihr Vater Mathew Knowles die Geschichte, wie aus seiner Tochter der Superstar Beyoncé wurde.
"Über Podcast"-Moderatorin Anna Bühler hat dieses Konzept der stellvertretenden Erzählung nicht überzeugt: "Ich erwarte, dass ich dieser Figur näher komme und das hat dieser Podcast leider nicht geleistet. Er hat mit vielen Leuten aus ihrer Umgebung gesprochen - aber mehr auch nicht."
"Kramer": Freundschaft, Fiktion und die Ironie des Erfolges
Der Podcast "Kramer" des Berliner Podcastlabels Viertausendhertz widmet sich dem New Yorker Kenny Kramer. Der dürfte allerhöchstens obsessiven Fans der TV-Sitcom "Seinfeld" ein Begriff sein: Kenny Kramer ist ziemlich eindeutig Inspiration für die Figur "Cosmo Kramer", war er doch in den 1970ern jahrelang der Nachbar von "Seinfeld"-Erfinder Larry David.
Für sein vierteiliges Podcast-Porträt besuchte Hendrik Efert den echten "Kramer". Er erkundet, wie sich der "echte" Kramer mit seinem unfreiwilligen Porträt durch die TV-Comedy fühlt. Efert zeigt, wie die schrägen Feedbackschleifen zwischen der fiktiven TV-Figur und dem reale Menschen das ganze Leben von Kenny Kramer prägen.
Für "Über Podcast"-Moderator Heiko Behr ist "Kramer" deswegen ein zeitloser Hörtipp: "Selbst wenn einem die Serie 'Seinfeld' egal ist, selbst wenn einem dieser unterhaltsame Typ aus New York egal ist: Es geht bei 'Kramer' um Freundschaft, positiv durch das Leben zu gehen, nach vorne zu gucken und sich nicht unterkriegen zu lassen. Also wirklich so ganz große, irgendwie einfache Themen - aber anrührend erzählt."
"Missing Richard Simmons": Unfreiwillig zum Podcast-Thema
Richard Simmons, US-Fitness-Ikone der 1970er und 1980er, ist seit einigen Jahren komplett aus der Öffentlichkeit "verschwunden", so die Prämisse des US-Podcasts "Missing Richard Simmons". Der Fitness-Guru hat sich scheinbar bewusst aus den Medien zurückgezogen - der Podcast will nichtdestotrotz genauestens ergründen, warum.
In der Anmutung irgendwo zwischen True-Crime-Recherche und Porträt angesiedelt, ist "Missing Richard Simmons" zwar ein packender Podcast, schrammt aber mit seinen Spekulationen für Heiko Behr und Anna Bühler oft an den Grenzen eines verantwortungsvollen Journalismus. "Der Podcast ist eine sehr spannende Reporterreise, die hier und da in die Falle tappt, vielleicht einen Schritt zu weit zu gehen. Wahrscheinlich ist das aber für jeden Hörer und jede Hörerin anders", vermutet Anna Bühler.