Podemos heißt "Wir können"

Gegen die Macht der Etablierten in Spanien

Teilnehmer des "Marsches für Veränderung" am 31.1.2015 in der spanischen Hauptstadt Madrid, zu der die neue Partei Podemos aufgerufen hatte.
Teilnehmer des "Marsches für Veränderung" in der spanischen Hauptstadt Madrid, zu der die neue Partei Podemos aufgerufen hatte. © picture-alliance / dpa / Elena Shestenina
Von Daniel Sulzmann |
2015 ist ein Superwahljahr in Spanien. Im Mai werden die Gemeinderäte und 13 Regionalregierungen gewählt. Im Herbst stehen die Parlamentswahlen an. Wegen des rasanten Aufstiegs der neuen Partei Podemos bahnt sich ein radikaler Politikwechsel an.
Jetzt sind es wieder Zehntausende. Zehntausende wie Paloma, die eigens aus Soria angereist ist, das sind gut und gerne 300 Kilometer nach Madrid. Podemos hat zum Marsch für den Wechsel gerufen, will, dass Ministerpräsident Mariano Rajoy die Uhr ticken hört, seine Uhr, die vielleicht abläuft und Menschen wie Paloma machen ihrer Empörung über eine Wirtschaftspolitik Luft, von der sie sich alleine gelassen fühlen:
"Und es wird etwas ändern schon wegen der vielen Leute, die hier sind und wegen der vielen, die aus irgendwelchen Gründen gar nicht kommen konnten, und dieses Land wird sich verändern, dass wir ausgeraubt werden dauert jetzt schon ganz schön lange und dass was sie machen, ist auf unsere Kosten leben."
Ja, wir können. Si, se puede. Hier begann es und hier soll es weitergehen: Puerta del Sol, Zentrum von Madrid. Wer Podemos – wir können – verstehen will, der muss hier hin. Sich umsehen zwischen dem Bären mit dem Erdbeerbaum aus dem Stadtwappen von Madrid, den Pantomimen-Bettlern, die mit ihrer Darstellung den Touristen das Geld aus der Tasche ziehen, dem neuen Apple-Laden, riesig, modern und immer voll, der Werbefigur für den Sherry Tio Pepe auf dem Dach eines der Häuser dieses halbrunden Platzes, - Apple wollte die Figur nicht mehr auf dem Dach ,weil sie Werbung für Alkohol macht - , dieser Platz, auf den alle Straßen Spaniens münden, oder alle hinausgehen. Je nach Perspektive. Hier saßen die Jungen, die Unzufriedenen, die, die das Spanien von heute nicht mehr verstehen wollten und wollten vor knapp vier Jahren alles ändern:
"Wir müssen alles ändern und noch mal von vorne anfangen",
sagt er. Hunderttausende demonstrierten im Mai 2011 im ganzen Land, die Bewegung 15. Mai war geboren. "Echte Demokratie jetzt" war ihr Schlachtruf: "si, se puede" ein anderer. Und vor allem: "Nein, sie repräsentieren uns nicht."
Dicht gedrängt stehen Menschen auf einem Platz, in ihrer Mitte ein Brunnen.
Zehntausende Menschen nahmen am Wochenende in Madrid am "Marsch für Veränderung" teil. © picture alliance / dpa / Chema Moya
Podemos liegt in den Umfragen vorne
Dann wurde es still um die Bewegung 15. Mai. Manchmal traten sie auf, aber im Prinzip waren sie in der Öffentlichkeit nicht mehr da. Einige gingen in die Nachbarschaftshilfe, wollten das Land konkret von unten ändern. Politische Veränderung durch konkrete Arbeit. Andere gingen den politischen Weg, als sie die Chance erkannte: Überraschend, verlinkt, vernetzt, schnell, internet- und medienaffin gründete sich im Januar 2014 Podemos. Trat zur Europawahl an und gewann aus dem Nichts fast 8 Prozent der Stimmen. Überraschung. Erfolg. Und Entsetzen bei den anderen Parteien in Spanien. Immer höher steigt die Partei bei den Umfragen, inzwischen kann sich das Führungsteam von Podemos auf einen stabilen Umfragetrend stützen und liegt dauerhaft vor der regierenden Partido Popular und den oppositionellen Sozialisten.
Szenenwechsel: Juan Carlos Monedero steht in einem Gang der Universität Complutense in Madrid. Hinter ihm lärmen Studenten, gleich ist hier Unterricht. Der Politikprofessor gibt aber vorher noch ein Interview, nicht ohne gutgelaunt seine Studenten aufzufordern, doch jetzt mal bitte den Klassenraum zu betreten:
"Venga, venga!"
"Macht dass ihr rein kommt", sagt er grinsend.
Er ist der dritte Mann von Podemos. Die Partei, die in ihrem Namen schon das "yes, we can" führt – Podemos ist der Shooting Star auf der politischen Bühne Spaniens.
Alternative zu den Traditionsparteien
Und die Partei muss sich viele Fragen gefallen lassen, zum Beispiel, wieso es sie gibt:
"Das Modell der traditionellen Parteien in Spanien hat sich erschöpft, die Parteien bilden ein Kartell, seit den 70ern sind sie alle neo-liberal, sie haben sich in eine ausschließlich auf sich selbst verweisende Kaste verwandelt. Durch die beiden sich ständig abwechselnden Parteien, die alle dasselbe machen, stellen sie sich selbst infrage."
Die Führungscrew besteht vor allem aus Politikwissenschaftlern. Iglesias, Monedero, Perrejon, alle an der Uni. Außerdem die fünf Abgeordneten des Europaparlaments, in dem Podemos im Mai 2014 fünf Sitze erobern konnte. Pablo Iglesias ist jetzt auch im Europaparlament. Hat auch dort eine Bühne. Und die Aufführung beunruhigt die etablierten Parteien in Spanien über alle Maßen. Die konservative Regierungspartei Partido Popular versucht, die Konkurrenten totzuschweigen oder zu diskreditieren.
Pablo Iglesias, Parteivorsitzender der Protestpartei Podemos, bei einer Pressekonferenz.
Pablo Iglesias, Parteivorsitzender von Podemos, bei einer Pressekonferenz.© AFP/Gerard Julien
Eine Art Robin Hood mit Jesus-Optik
Pablo Iglesias, Spitzenkandidat und Generalsekretär von Podemos, generiert schon durch seinen Phänotyp den Wandel. Niemals oder fast nie Krawatte und Anzug, mit Bart, aber trotzdem immer ein wenig jungenhaft und verschmitzt, Typ Klassensprecher, meist im weißen Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, die Stimme immer in einem sanften Murmeln verhaftet - außer bei Reden vor viele Zuhörern unter freiem Himmel. Iglesias hat für manche schon etwas Jesus-Haftes. So eine Art Robin Hood mit Jesus-Aussehen.
Selbst die einfachsten Dinge und Sätze verfangen. Diese junge Frau zum Beispiel läuft Iglesias bei einem Interview mit dem spanischen Fernsehsender La Sexta in Bolivien über den Weg. Sie ist begeistert. Sie benimmt sich, als ob sie ihren Erlöser gefunden hat.
Als sie Pablo Iglesias erkennt, zeigt sie sich sofort begeistert und sagt dem Reporter:
"Das, was mir am meisten gefällt, ist: den Reichen zu nehmen und den Armen zu geben. Das ist so eine Art Robin-Hood-Idee, aber so soll es sein."
Der Reporter wendet ein: "Ein Klassiker, ganz schön vereinfachend".
Die Passantin: "Ja, aber einige haben zu viel, andere gar nichts." –Reporter: "Warum macht jemand so was?"
Passantin: "Weil man zu dem Punkt kommt, dass einem die Dinge nicht gefallen, und er plant den Wechsel."
Gas, Wasser, Strom für alle fast oder gar insgesamt umsonst, die Rente mit 60, ein Grundeinkommen. Das Programm von Podemos liest sich wie ein Versprechen, das alles einlöst, für das einmal der Sozialismus stand und das trotzdem in einer parlamentarischen Monarchie wie Spanien umgesetzt werden soll. Alles mit dem Anspruch moralisch besser zu sein. Podemos unterscheidet zwischen gutem und schlechtem Geld, zwischen guten und schlechten Gewinnen. So wie Pablo Iglesias mit dem Reporter in Ecuador:
"Wenn du mit deiner Bank mit der Vorgängerregierung eine scheinbar betrügerische Übereinkunft getroffen hast, die dir Vorteile verschaffen sollte, werden wir untersuchen, ob es sauber ist - wenn du die Leute nicht ausraubst, brauchst du auch keine Angst haben."
Dieser Anspruch löst prompt dieser Tage die ersten schweren Attacken auf Podemos aus. Juan Carlos Monedero steht im Mittelpunkt der Berichterstattung. Er hat aus Venezuela über 400. 000 Euro angenommen, für eine Stiftung, die angeblich über eine Währungsunion zwischen süd- und mittelamerikanischen Ländern nachdenken sollte. Doch das Geld wurde nicht versteuert, die Nebeneinnahmen, wenn man so will, nicht angegeben.
Angriffe auf die Podemus-Führung
"El Mundo", die konservative Tageszeitung hängt sich seit Tagen in die Geschichte rein, will genau wissen, was hätte die Uni von diesem Geld kriegen müssen, wieviel hätte Monedero versteuern müssen, war das als Nebentätigkeit überhaupt angemeldet usw., usw. Und doch bleiben auch Versuche, die Führungsmannschaft zu diskreditieren, stecken. Das Geld ging an den Podemos eigenen Fernsehsender. Persönlich bereichert hat sich Monedero nicht, auch wenn sein Name fatalerweise "Geldbörse" bedeutet und für die Karikaturisten in diesem Fall ein gefundenes Fressen ist.
Erst meldeten alle, Monedero habe seinen Lebenslauf manipuliert, jetzt müssen alle zurückrudern. Sein Lebenslauf stimmt. Trotzdem wird jede offene Flanke genutzt, die Kolumnisten spotten teilweise schon darüber, dass Podemos ja allen den Kampf angesagt habe und sich jetzt wundere, wenn auch alle Etablierten den Kampf aufnehmen und über die Partei "Artilleriefeuer" hereinbreche.
Alexis Tsipras (l), Chef der griechischen Partei Syriza, und Pablo Iglesias (r), Parteichef der spanischen Podemos, stehen bei einer Wahlveranstaltung am 25.1.2015 in Athen gemeinsam auf der Bühne.
Alexis Tsipras (l) erhielt im griechischen Wahlkampf Unterstützung von seinem Freund Pablo Iglesias (r) aus Spanien. © picture-alliance / dpa / Michael Kappeler
Rückenwind aus Griechenland
Seit der Griechenland-Wahl wissen alle im Land: Podemos könnte tatsächlich ein ganz großer ernstzunehmender Faktor in der spanischen Politik werden. Überraschend kommt das nicht. Schon im Frühjahr waren sie da. Während damals niemand mit Podemos gerechnet hatte, kam etwas zum Vorschein, was in Spanien lange verborgen war: eine fundamentale Unzufriedenheit vieler Menschen mit dem politischen System. Frustration über die Sozialisten, die vielen nicht mehr als links gelten, schon gar nicht den Podemos-Anführern und ihren Anhängern. Die meisten Stimmanteile und schon bei der Europawahl weit über 13 Prozent erreicht Podemos in Asturien.
Eine Region im Norden von Spanien. Quasi eingeklemmt zwischen dem durch den Jakobsweg inzwischen bekannten Galizien und dem noch unbekannteren Kantabrien mit Santander als Hauptstadt. Asturien ist schon immer links. Werften, Stahlproduktion, alles war hier immer irgendwie basissozialistisch organisiert. Jetzt sehen die linken, enttäuschten Frustrierten eigentlichen Stammwähler der Sozialisten und Kommunisten eine neue Möglichkeit ihre Stimme abzugeben. Podemos eben, wir können.
Eine zweite Hochburg: Madrid. Die Hauptstadt. International, offen und für alle, die in Spanien etwas werden wollen unverzichtbar. Das Zentrum, die Kraftquelle und zum Leidwesen von Barcelona immer noch die führende Stadt in Spanien, wenn auch die Touristen lieber nach Katalonien fahren. Hier in Madrid lagen die Stimmanteile bei über 11 Prozent, dann erst kommen die Kanaren und die Balearen, wo Podemos ebenfalls bei der Europawahl Stimmanteile von über 10 Prozent gewinnen konnte. Diese Regionen, Asturien, Madrid und die Inseln zeigen, die Wähler von Podemos sind immer dann zu aktivieren, wenn die Milieus stimmen. Entweder schon immer links, wie in Asturien, oder offen und gemischt, wie in Madrid oder auf den vom Tourismus geprägten Inseln im Atlantik oder Mittelmeer: und das trotz des Geldes der Touristen.
Für mehr Gerechtigkeit und Gleichheit
Auf einer Versammlung in Madrid: Hier dürfen alle die sprechen, die sich links und anders fühlen, die sich nicht mehr von der Sozialistischen Partei angesprochen fühlen, wie diese Lehrerin:
"Also im Prinzip geht es darum, dass man nicht so sehr davon spricht, ob jemand rechts oder links ist, sondern dass man den gesunden Menschenverstand anwendet und dass alle miteinander sprechen. Dann wird man auch mehr Gleichheit und Gerechtigkeit erreichen."
Das Internet ist außerdem wichtig für Podemos: Abstimmungen laufen über das Netz. Schnell und ohne große formale Voraussetzungen. Die Zahl der Stimmen und die Gewichtung zählt, aber das Internet soll eben auch allen die Möglichkeit geben ihre Rechte auszuüben und abzustimmen. Basisdemokratie modern. Fragt man die Führungskräfte, wie sie verhindern wollen, dass sie eine normale, also eine Partei mit all den Schwächen werden wollen, die es abzulösen gilt, werden die altlinken Klassiker ausgegraben: Das imperative Mandat zum Beispiel und andere Maßnahmen.
Juan Carlos Monedero, Politikprofessor, zählt gleich vier Dinge auf, die Podemos anders und besser machen möchte:
"Das Erste: Wir begrenzen das Mandat auf zwei Legislaturperioden, die Begrenzung der Einkommen, wir werden Zusatzeinkommen wie Gerhard Schröder bei Gazprom verhindern und das imperative Mandat. Die Bürgerschaft kann jeden Amtsträger von Podemos wieder zurückrufen, wenn sie der Meinung ist, er erfülle nicht mehr sein Mandat."
Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft
Podemos tritt vor allem an, um "die Kaste" loszuwerden. "La Casta" ist inzwischen in Spanien ein fester Begriff für die unheilvolle Verquickung von Politik und Wirtschaft. Korruption, Vetternwirtschaft, wirtschaftlicher und rechtlicher Niedergang, all das will Podemos bekämpfen. So soll es ein Moratorium für die in Spanien immer noch jedes Jahr zu Zehntausenden durchgeführten Zwangsräumungen von Wohnungen und Häusern geben.
Und jeden Tag kommen neue Fälle von Korruption ans Licht. Inzwischen ist klar, 78 Politiker, Gewerkschafter und hohe Bankangestellte der Sparkasse Madrid haben sich mittels schwarzer Kreditkarten bereichert, 15 Millionen Euro veruntreut.
Aber es ist nicht die Summe, es ist die Symbolkraft, die hinter solchen Fällen liegt. Während die einen zwangsgeräumt werden, gehen die anderen mit Kreditkarten in zweifelhafte Etablissements, kaufen sich Kleider, heben Bargeld ab. Ein Mitglied der Vereinigten Linken soll so im Laufe der Jahre mehr als 400.000 Euro ausgegeben haben. Wohlgemerkt, zusätzlich zu seinem Sälar als Aufsichtsrat und als Mitglied der Nachfolgepartei der Kommunisten in Spanien.
An jeder Ecke läuft etwas schief: Im spanischen Rechnungshof, so hat die Zeitung "El Pais" enthüllt, arbeiten sehr viele Menschen, die in engen Verwandtschaftsverhältnissen stehen, in der IT-Abteilung arbeiten über 60 Menschen, fünf von Ihnen haben eine Ausbildung, die Ihnen Kenntnisse über Computer verschafft hat. Fünf von 60. Das wieder erklärt den Satz des Demonstranten auf der Puerta del Sol:
"Wir müssen alles ändern und noch mal von vorne anfangen."
Und das wiederum ist die Strahlkraft von Podemos. Die Partei hat auch etwas Schickes, sie umweht im Moment noch der Zauber, der jedem Anfang innewohnt, der jugendliche Impetus, das Unverbrauchte. Knapp 2000 Euro von ihrem Abgeordnetengehalt als Europabgeordnete behalten die fünf Podemos-Abgesandten im Parlament. Den Rest spenden sie nach eigenen Angaben.
Von den Ex-Kolonien lernen
Und wer am Ende wissen will, ob das alles ein linkes Experiment werden soll oder erfolgreiche Politik, der bekommt von Pablo Iglesias folgende Antwort:
"Wir nennen uns ja Podemos, weil alle immer gesagt haben, das kann man nicht machen. Eine Steuerreform, damit die Reichen bezahlen, können wir nicht, die Wirtschaft mit öffentlichen Investitionen ankurbeln, können wir nicht, die ganz Welt sagt, das geht nicht, aber in Ländern wie Ecuador und Bolivien, haben sie gesagt, wir machen das und es hat funktioniert. Das geht sogar so weit, dass heute spanische Doktoren in diesen Ländern arbeiten und dort exzellente Arbeit machen."
Spanien soll also unter/mit/und durch Podemos wieder von seinen Ex-Kolonien lernen, die boomen im Moment, bauen Straßen, verbessern ihr Gesundheitssystem. Noch aber weiß niemand, ob es funktioniert und wie. Selbst Podemos weiß nicht, ob der eigene Namen – das "wir können" nur ein Versprechen ist oder im Laufe des Jahres zum Beweis wird. Die Wahlen im Spätherbst in Spanien werden es zeigen.
Hören Sie auch das Gespräch von Daniel Sulzmann mit Isabella Kolar: Podemos-Partei im Aufwind - "Iglesias ist der spanische Tsipras".
Mehr zum Thema