"Iglesias ist der spanische Tsipras"
Der Erfolg von Syriza hat die Spanier ermutigt, dem Beispiel der Griechen zu folgen. Sollte die Podemos-Bewegung bei den Wahlen im Spätherbst gewinnen, wäre ihr Anführer Pablo Iglesias der "spanische Tsipras", sagt unser Madrid-Korrespondent Daniel Sulzmann.
Isabella Kolar: Noch vorgestern war das Zentrum von Madrid voll mit demonstrierenden Menschen beim sogenannten Marsch für Veränderung. "Ticktack, ticktack, die Stunde der Veränderung ist da", war einer ihrer Slogans. Daniel Sulzmann, unser Korrespondent in Madrid, hat die Podemos-Demonstration am Samstag für uns begleitet. Nach der Wahl in Griechenland konnte man ja gespannt sein, wie viele Menschen sich einfinden und wie das Ganze abläuft. Ihr Eindruck?
Daniel Sulzmann: Es haben sich sehr viele eingefunden, es sind sehr viele dem Aufruf von Podemos gefolgt zu demonstrieren für einen kompletten, ja, wie soll man das sagen, systemischen Wandel in Spanien, und es waren übrigens auch sehr viele Griechenland-Flaggen zu sehen. Also, die Leute, die dort auf der Straße standen, haben schon auch unmittelbar Bezug genommen auf das griechische Wahlergebnis, und mit wem ich auch immer gesprochen habe, hat gesagt, das ist für uns auch noch mal Ansporn, hier auf die Straße zu gehen und zu zeigen, wir können es auch anders machen in Spanien und dem Beispiel der Griechen folgen!
Kolar: Das waren vorwiegend junge, wütende Menschen?
"Die Stimmung war sehr friedfertig"
Sulzmann: Nein, das war eine bunte Mischung. Es waren schon überwiegend Jüngere, aber auch ganz viel Ältere, ich habe auch viele Rentner getroffen, die wütend über die politische Entwicklung in Spanien sind, aber das ist eine Wut, wie soll ich sagen, die Sie nicht als Beobachter zu spüren bekommen und schon gar nicht als deutscher Journalist, sondern eine aufs System. Und die Stimmung war eher sehr friedfertig. Also, es war so tatsächlich eine Stimmung von Bürgern, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen, und die Polizei hatte sich für spanische Verhältnisse auch sehr zurückgenommen. Also, man hat kaum diese Polizeiwagen gesehen, diese Mannschaftswagen, die dann oft bei anderen Demonstrationen schon gleich sehr präsent da stehen. Da gab es von beiden Seiten, glaube ich, eine gute Absprache. Und deswegen hat das auch alles weitestgehend so funktioniert, wie es vorhergesagt war.
Kolar: Bleiben wir doch beim Thema Wut: Pablo Iglesias ist ja in der Öffentlichkeit sehr präsent, nicht nur bei Demonstrationen. Nach dem furiosen Wahlsieg der Links-Allianz Syriza in Griechenland sagte er Folgendes:
O-Ton Pablo Iglesias: Ich glaube, der klare Sieg von Syriza wird etwas Neues bewirken. Die Griechen werden einen wirklich griechischen Präsidenten haben, keinen Abgesandten von Angela Merkel. Und dieser griechische Präsident wird die Interessen seines Landes und seines Volkes in den Vordergrund stellen.
Kolar: Was hat Iglesias gegen Angela Merkel, hat er sie überhaupt schon mal getroffen?
Die Kanzlerin als "Feindbild"
Sulzmann: Nein, getroffen hat er sie offenbar noch nicht, aber er macht sie natürlich einfach für die Sparpolitik in Spanien verantwortlich. Es ist ja erklärtes Ziel von Podemos, diese Austeritätspolitik zu ändern. Sie wollen auch einen Schuldenschnitt erreichen, auch wenn Spanien im Gesamtverhältnis, weil es die viertgrößte Volkswirtschaft ist, noch längst nicht so verschuldet ist wie Griechenland, das muss man ganz klar sagen, und auch nicht unter dem Diktat der Troika steht. Er wird wirklich nicht müde, immer Angela Merkel zu nennen als Feindbild. Ich habe dann in der Demonstration mich auch mal ein bisschen umgehört und habe gesagt, ist das nicht eine schlechte Strategie so für ein vereintes Europa, wenn man Angela Merkel immer nennt, und dann haben die alle gesagt: Nee, aber die ist wirklich schuld dran, weil unser Regierungschef hier macht, was sie sagt, und deswegen solle man das ruhig machen. Das würde aber nicht bedeuten, dass die Demonstranten gegen ein vereintes Europa seien, nur eben mit anderen Regeln.
Kolar: Also Angela Merkel einfach als Sündenbock?
Sulzmann: Genau.
Kolar: Podemos will Veränderung, sagen Sie, Podemos feierte den Wahlausgang deshalb auch in Griechenland als Beginn der Hoffnung und Ende der Angst. Iglesias und Tsipras kennen sich wohl ganz gut, Tsipras ist im November nach Madrid gereist, als Iglesias zum Generalsekretär von Podemos gewählt wurde, Iglesias hat Tsipras im Wahlkampf in Athen unterstützt. Ist Iglesias der spanische Tsipras? Und wenn ja, was bedeutet das für Europa?
"Viel Taktik und viel Strategie"
Sulzmann: Ja, ich glaube, er ist der spanische Tsipras, wenn er erfolgreich ist bei den Wahlen im Spätherbst, die anstehen, dann kann man das schon so sagen. Die unterstützen sich tatsächlich, die kennen sich gut, Iglesias spricht auch ab und zu immer mal eine Botschaft auf Griechisch, um da seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Ich glaube, das ist auch das, was Podemos will: Sie wollen ein Gefühl erzeugen, bei dem die anderen ein bisschen Angst kriegen. Man sieht das ja auch jetzt auch an dieser Diskussion, die die Griechen führen mit der EU, erst mal voranpreschen und dann wieder zurückrudern und so. Also, da gibt es viel Taktik und viel Strategie und deswegen kann man schon sagen, die beiden haben sich immer unterstützt, Tsipras und Iglesias, und ja: Iglesias ist der spanische Tsipras.
Kolar: Und wenn sie dann an der Macht sind, werden sie weniger radikal? Iglesias hat ja zum Beispiel schon mal sein Piercing abgenommen, und je näher der Wahltermin im Herbst rückt, desto gemäßigter werden die Parolen, kann man davon ausgehen?
Sulzmann: Nein, das glaube ich nicht. Er hat am Samstag bei der Demonstration auch noch mal gesagt: Wir träumen von einer komplett anderen Welt, aber wir nehmen unsere Träume ernst. Gehen wir doch mal zurück auf die Leute, die da standen auf der Straße und die natürlich am Ende jemandem wie Iglesias nachfolgen wollen als politischem Anführer: Die sagen halt wirklich, die Kaste, wie sie es hier nennen, die raubt uns aus, die spanische Oberschicht, die natürlich nicht so genau benannt werden kann, und diese ganzen radikalen Vorschläge, das ist was, was die Menschen hier sehr fasziniert und auch attraktiv ist für viele, weil das politische System hier so weit nach unten gekommen ist. Die Sozialisten sind ja im Prinzip überhaupt keine Alternative mehr. Es ist ja auch sehr bezeichnend, dass eigentlich alle nur noch von Podemos reden und kaum noch von der eigentlichen Oppositionspartei. Wir wollen noch mal daran denken: Podemos ist in Spanien noch nicht im Parlament, sie müssen erst noch rein. Die Sozialisten sitzen schon von Anbeginn der Zeiten da drin, haben aber ein Führungsproblem, sind zerstritten und Teil des Establishments. Und deswegen, glaube ich, haben sie große Angst, dass sie von diesen Podemos-Anhängern und deren Führungsspitze bei den Wahlen im Herbst überrannt werden.
Kolar: Pablo Iglesias sagte immer, der Wandel in Europa geht vom Süden aus, zumindest ist das sein Plan. Hören wir dazu Juan Carlos Monedero, ebenfalls Politologe und Mitinitiator von Podemos!
O-Ton Juan Carlos Monedero: Im 21. Jahrhundert gibt es keine isolierten Lösungen. Wer glaubt, dass er glatt alleine etwas ändern könnte und dass die nationalen Identitäten gestärkt werden müssten, hat nichts verstanden. Das ist absurd. Wo wollen diese Leute denn hin, die fordern, wir Spanier sollten aus dem Euro raus? Das ist völlig zwecklos. Aber wir könnten uns mit den Portugiesen, den Griechen, den Italienern und ganz sicher auch mit einem Teil der Franzosen verständigen!
Kolar: Das Ziel, sich also mit all jenen verständigen, die den strikten Sparkurs lockern wollen. Brüssel ist ja schon jetzt "not amused" über einen wie Tsipras. Kommt da noch einiges auf die EU zu?
"Dann kommt tatsächlich auf die EU einiges zu"
Sulzmann: Also, wenn Podemos es tatsächlich schafft, hier im Herbst die Parlamentswahlen zu gewinnen, stärkste Kraft zu werden und tatsächlich wirklich politischen Einfluss hier auf die Geschehnisse in Spanien zu nehmen, dann kommt tatsächlich auf die EU einiges zu. Spanien ist die viertgrößte Volkswirtschaft, das ist nicht wie Griechenland. Also, wir wollen immer noch mal dran denken: Griechenland sind irgendwie mehr oder weniger zehn Millionen Leute, Spanien sind 46 Millionen. Ich glaube, wenn es hier einen entscheidenden Kurswechsel gäbe, dann müssten sich die Menschen in Brüssel und anderswo in Europa schon Gedanken machen, wie sie mit diesem großen Land umgehen. Und das wissen die Podemos-Leute natürlich und spielen auch damit. Das sehen sie auch quasi als die große Chance, dass eben dann mal eines der großen Länder sagt, wir wollen nicht mehr weitermachen, wir bluten für andere und so weiter. Wie realistisch das alles ist, das muss man dann sehen. Aber es gibt hier einfach ein unglaubliches Bedürfnis, das spürt man richtig auf der Straße, bei vielen Menschen, dass sich komplett etwas ändern muss. Also, dieses Gefühl ist so stark, dass ich glaube, dass viele Menschen Podemos wählen werden. Und dann, wenn die eine starke Position haben, werden sie sie in das europäische Konzert reinbringen.
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