Poetische Texte

Rezensiert von Helmut Böttiger |
Mit "Gestern unterwegs" setzt Handke die Reihe von poetischen Tagebüchern fort, die er gelegentlich veröffentlicht hat. Es sind kurze, voneinander unabhängige Texte ohne eindeutigen "roten Faden" aus dem Zeitraum von 1987 bis 1990.
Immer, wenn in letzter Zeit ein neues Buch von Peter Handke erscheint, kommt sofort der Medienreflex: Hat er sich wieder zu Jugoslawien geäußert? Hat er wieder etwas Relativierendes über Slobodan Milosevic gesagt? Der Komplex "Politik" bei Peter Handke ist weitaus komplizierter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Aber bei dem neuen, 550 Seiten dicken Buch von ihm kann man von vornherein Entwarnung geben, hier gibt es keine Nachricht, hier gibt es nichts vordergründig Sensationelles zu vermelden. "Gestern unterwegs" setzt die Reihe von poetischen Tagebüchern, von "Aufzeichnungen" fort, die Handke im Lauf der Zeit gelegentlich veröffentlicht hat.

Es sind kurze, voneinander unabhängige Notate ohne einen eindeutigen "roten Faden". Der Zeitraum von November 1987 bis Juli 1990, über den sich das neue Tagebuch erstreckt, war für Handke charakterisiert durch ein bewusstes nomadisches Dasein: Er streifte, ohne festen Wohnsitz, durch die Welt, und zwar wortwörtlich: Er geht über Ägypten bis nach Japan und Alaska. Über weite Strecken spielt sich das Geschehen allerdings in den für Handke wichtigsten Regionen ab, in Frankreich, Spanien und dem italienisch-slowenischen Karst, der Traumlandschaft seiner Kindheit - er ist in Kärnten, an der slowenischen Grenze, aufgewachsen.

Mit dem Aufbruch über Slowenien nach Kroatien, Mazedonien und Griechenland beginnt denn auch das Buch - es war die Zeit, in der es noch das Staatsgebilde namens "Jugoslawien" gab. Beiläufig wird in diesen Notaten die Bedeutung kenntlich, die das benachbarte Südslawische für Handkes literarische Vergewisserungen hat. Wer hier eindeutige politische Statements erwartet, wird enttäuscht. Handkes Aufzeichnungen sind kein Tagebuch im üblichen Sinne. Es ist ein Skizzenbuch, hier werden einzelne Beobachtungen notiert, die sich vielleicht später zur literarischen Ausgestaltung eignen, und es sind Überlegungen zur Poesie und zur eigenen Poetik. Der zunehmende Mond, die karge Karstlandschaft, die Wacholderbeeren werden immer wieder gedanklich umkreist. Handke liest auf diesen Reisen alte Meister wie Dante oder Tschechow, schließt Überlegungen an, und in Jugoslawien hat er Hölderlin dabei. Die Vorahnung, die ihn bei der Hölderlin-Lektüre einmal beschleicht, ist das Äußerste, was an tagespolitischen Bezügen erkennbar wird, aber es geht weit darüber hinaus: "Gott, bewahre uns vor einem nationalen Aufbruch! Das dachte ich heute im makedonischen Zug beim Lesen der frühen Gedichte von Hölderlin."

Es gibt Leitmotive in diesen Aufzeichnungen: die romanische Kunst zum Beispiel, die Handke als die ihm gemäße erkennt, und er assoziiert gelegentlich Formen und Eindrücke aus den verschiedenen Weltgegenden, so dass ein eigener Raum der Poesie entsteht: "Wiederkehr des Alaskahimmels jetzt mit seinen weit geschweiften haarfeinen Wolken im Marmortischmuster eines Cafés in Coimbra" (in Portugal) - so lautet eine charakteristische Notiz. Aus dem Flickenteppich dieser Notate, poetischen Sentenzen, Augenblicksbildern bildet sich der gesamte Handkesche Kosmos ab. Das Provokative daran ist, dass hier eine radikal poetische Gegenwelt zu der uns geläufigen entsteht.


Peter Handke: Gestern unterwegs. Aufzeichnungen November 1987 bis Juli 1990. Verlag Jung und Jung, Salzburg, 550 Seiten, 25 Euro.