Pola Oloixaracs "Wilde Theorien"

"Nerds sind die Helden unserer Zeit"

05:46 Minuten
Poträtaufnahme von Pola Oloixarac vor einem bordeauxfarbenen Hintergrund.
Die Hauptfigur in Pola Oloixaracs Buch ist Philosophiestudentin, die Autorin Philosophin. © imago images / ZUMA Press
Von Tobias Wenzel |
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Im Debütroman der Argentinierin Pola Oloixarac geht es um junge Kreative, die mit dem Internet & Co. die Welt verändern wollen. Ihre respektlose Darstellung der linken Guerilla löste einen Skandal aus. Nun ist der Roman auf Deutsch zu lesen.
"Philosophiestudenten stellen eine Gefahr für die Gesellschaft dar, das ist sicher", sagt Pola Oloixarac - zugeschaltet aus einem Studio in Barcelona, wo sie lebt. In "Wilde Theorien", dem Debüt der argentinischen Autorin, läuft eine Philosophiestudentin mit einer dreisprachigen Ausgabe der "Metaphysik" des Aristoteles herum und erklärt als Ich-Erzählerin überheblich, nur sie könne die Theorie ihres Professors zu etwas Bedeutendem vervollständigen.
Wenn man das liest, kann man schon befürchten, dass Pola Oloixarac, die selbst Philosophie studiert hat, eine Gefahr für Journalisten darstellt. Also zitiere ich Kant im Original und verstecke mich hinter seinen Worten wie hinter einem Schutzschild. Und dann entschuldigt sich die Autorin für ihre Deutsch-Kenntnisse. Sie schämt sich. Und ich schäme mich dafür, dass sie sich meinetwegen schämt. Aber dann sprechen wir über Nerds und ein berührendes Gespräch entsteht.
"Ich liebe Nerds. Ich halte sie für die Helden unserer Zeit", sagt Oloixarac.
"Wilde Theorien" ist in den Nullerjahren in Buenos Aires angesiedelt: Junge, verrückte Kreative glauben noch, sie könnten mithilfe des Internets, mit Blogs und selbst programmierten Computerspielen, die Welt verbessern. Sie hacken den virtuellen Globus von Google Earth. Als Oloixaracs Debüt 2008 erschien, wurde die Autorin in Argentinien angefeindet. Denn im Buch wird deutlich, dass sie nichts davon hielt und hält, dass die argentinische Regierung die Montoneros, die Mitglieder der Stadtguerilla der 70er-Jahre, zu Helden verklärte.

Ex-Guerillakämpfer verführt und lächerlich gemacht

"Stellen wir uns vor, Angela Merkel würde die Baader-Meinhof-Gruppe, die RAF, romantisieren", zieht Pola Oloixarac einen Vergleich. "Das wäre ein unmöglicher Skandal. In Argentinien wurde ich wegen meiner Kritik aufgefordert, mich von meinem Roman zu distanzieren. An meiner Universität gab es Aushänge, auf denen stand, ich sei eine Schande für die Universität. Das war einerseits ein sehr amüsanter, aber für mich auch etwas beängstigender Skandal."
Die Wucht der Proteste gegen das Buch hatte wohl auch damit zu tun, dass da nicht nur eine junge Autorin intelligent und frech über Sexualität schrieb und Rollenbilder auf den Kopf stellte, sondern die Ich-Erzählerin auch noch einen Ex-Guerillakämpfer verführt und ihn dann im entscheidenden Moment der Lächerlichkeit preisgibt: Als er sich voller Lust auf sie stürzt, lässt sie ihn zappeln und alte Guerillalieder singen. 1976, als die Guerilla noch aktiv war, begann in Argentinien die Militärdiktatur.

Militärdiktatur auch Thema des Romans

"Als ich 1977 geboren wurde, war meine Tante verschwunden. Deshalb heiße ich mit meinem zweiten Vornamen Marta, wie meine Tante. Dann ist sie wieder aufgetaucht. Da sie in Peru geboren war, konnte sie der Militärdiktatur entkommen. Ihre Kollegen sind aber ermordet worden. Und sie selbst ist durch eine Scheinhinrichtung gefoltert worden."
Auch im Roman taucht dieses finstere Kapitel der argentinischen Geschichte auf. Pola Oloixarac ist mit "Wilde Theorien" ein fulminantes, sprachlich herausragendes Debüt geglückt. Ein anregendes Feuerwerk intellektueller Ideen und skurriler Einfälle. So wird etwa eine Kakerlake zur Muse. Es ist eine entlarvende Komödie mit ernstem Kern, der die Frage aufwirft, was den Menschen zum Menschen oder eben zum Unmenschen macht.

Ich-Erzählerin ist einem nicht geheuer

Ein Roman mit einer Philosophie-Studentin als Ich-Erzählerin, die einem schon bald nicht mehr geheuer ist. Doch auf die Figuren, die von sich selbst so sehr überzeugt erscheinen, blickt die Autorin letztlich doch liebevoll. Etwa, wenn sie beschreibt, wie sich zwei Nerds, Pablo und eine junge Frau namens Kamtchowsky, im Kino kennenlernen.
"Sie ignorierte Pablo vorsätzlich über die gesamte Dauer des Films", heißt es in "Wilde Theorien". "Er schlich sich an sie heran und flüsterte ihr ins Ohr: ‚Du kleine Schlampe‘, stand auf und ging. Als Kamtchowsky nach der Vorführung den Kinosaal verließ, wartete Pablo draußen mit einem kleinen Strauß Grünzeug, das er irgendwo herausgerissen hatte. ‚Entschuldige, dass ich dich beleidigt habe, aber ich wollte nicht gleich am Anfang so offensichtlich sein und dir sagen, dass du mir gefällst.‘ Sie gab sich überaus verständnisvoll und zeigte ihm, wie er sie mit Sweet-Mints-Röllchen befriedigen konnte.

Pola Oloixaracs: "Wilde Theorien"
Wagenbach, 2021
256 Seiten, 22 Euro

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